Kolumne: Rituale, denen wir seit der Kindheit folgen

Immer wieder führe ich Gespräche mit Freunden und Bekannten, in denen wir uns an unsere Kindheit erinnerten. Wir erinnerten uns an Dinge, die es heute nicht mehr käuflich zu erwerben gibt und an Dinge, an die wir uns als Kinder selbstverständlich heran gewagt haben. Irgendwann sprachen wir auch über Rituale und schnell fiel folgendes auf: Ein jeder lächelte, schaute verträumt und brachte Bezeichnungen wie „Lassie“, „Wetten, dass“, „ZDF-Sommerprogramm“ oder „Nüsse für Aschenbrödel“ ins Spiel.
Ja, wir Erwachsenen, aus den 60er Geburtenjahrgängen verbinden Rituale in der Kindheit oft mit Fernsehen. Wer kann sich heute noch vorstellen, dass das Anschauen einer Fernsehsendung ein kleines Familienevent war? Dass es nicht ein Rund-um-die-Uhr Fernsehprogramm gab? Ja, dass es sogar ein Standbild gab oder nur ein rauschen nach der letzten ausgestrahlten Sendung? Nein, ich bin keine 100 Jahre alt, sondern „erst“ 50 Jahre.
Mit Freundinnen wurde in der Vorweihnachtszeit „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ in geschaut und an Walnüssen geknabbert, während auf das Happy End gewartet wurde. Zu dem Zeitpunkt wurden tschechische Filme von uns geliebt. Sie verfügten über eine Detailtreue und über schöne Kostüme. Sie waren irgendwie anders und dadurch umso schöner.
Auch dieses Jahr werde ich mir den Film anschauen. Eingemummelt auf dem Sofa sitzen, mit einem Becher Tee und Strickzeug. Und nichts, so gar nichts, darf mich in dieser Zeit stören. Wie viele Menschen werden sich den Film anschauen, an ihre Kindheit denken, vielleicht einige Dialoge mitsprechen können und trotzdem neue Details im Film erkennen?
Mit der Familie wurde die „Hitparade“ geschaut. Der Ablauf dort war meist gleich: Dieter Thomas Heck sprach schnell und hektisch ins Mikrofon, insbesondere am Ende der Sendung.
Manchmal wurde ich enttäuscht, dass ich Howard Carpendale nicht erneut sehen konnte, da er mit seinem aktuellen Lied bereits dreimal aufgetreten war. Nach dreimal war Schluß mit den Auftritten..
Wurde dort nicht mehrmals eine Frau im Publikum angesprochen, die bei jeder Sendung der „Hitparade“ im Publikum war?
Stets schrieb ich die Autogrammadressen mit. Manchmal wurden sie mir von meiner Mutter oder meinem Vater diktiert. Ich konnte sei meist nicht so schnell alleine mitscheiben. Mein Büchlein war gefüllt mit Autogrammadressen verschiedenster Künstler. Nicht eines habe ich mir bestellt, doch das mitschreiben gehörte dazu. Genauso wie die Hebebühne, die die Künstler (meist die auf Nr.1 Platzierten) in die Höhe hob. Nicht zu vergessen die Windmaschine, die einige Male das lange Haar der verschiedensten Sängerinnen durch die Luft wirbelte.
Lange ist es her. Heute schaue ich mir noch nicht einmal VIVA oder MTV an, denn Musik bekomme ich dort nicht zu hören. Weiterlesen

Dave Eggers: The Circle

Klappentext:
Huxleys »Schöne neue Welt« reloaded: Die 24-jährige Mae Holland ist überglücklich. Sie hat einen Job ergattert in der hippsten Firma der Welt, beim »Circle«, einem freundlichen Internetkonzern mit Sitz in Kalifornien, der die Geschäftsfelder von Google, Apple, Facebook und Twitter geschluckt hat, indem er alle Kunden mit einer einzigen Internetidentität ausstattet, über die einfach alles abgewickelt werden kann. Mit dem Wegfall der Anonymität im Netz – so ein Ziel der »drei Weisen«, die den Konzern leiten – wird es keinen Schmutz mehr geben im Internet und auch keine Kriminalität. Mae stürzt sich voller Begeisterung in diese schöne neue Welt mit ihren lichtdurchfluteten Büros und High-Class-Restaurants, wo Sterneköche kostenlose Mahlzeiten für die Mitarbeiter kreieren, wo internationale Popstars Gratis-Konzerte geben und fast jeden Abend coole Partys gefeiert werden. Sie wird zur Vorzeigemitarbeiterin und treibt den Wahn, alles müsse transparent sein, auf die Spitze. Doch eine Begegnung mit einem mysteriösen Kollegen ändert alles … Mit seinem neuen Roman »Der Circle« hat Dave Eggers ein packendes Buch über eine bestürzend nahe Zukunft geschrieben, einen Thriller, der uns ganz neu über die Bedeutung von Privatsphäre, Demokratie und Öffentlichkeit nachdenken und den Wunsch aufkommen lässt, die Welt und das Netz mögen uns bitte manchmal vergessen.


„The Circle“, das Buch welches gefeiert wurde als neues „1984“ fand irgendwann auch den Weg auf meinen Büchertisch.Ich mag Dave Eggers Schreibstil, ihn als Person, ihn in Interviews und war ganz neugierig auf sein  Werk. Ja, auch ich sprach schon von Werk, weniger von Buch. Als ich es in den Händen hielt, war die Erwartungshaltung groß: Das Buch ist in einem schönen knalligen orange gestaltet. Das Firmensymbol des „Circle“ auf dem Cover abgebildet und das Buch beinhaltet gute 500 Seiten. Die Vorfreude nahm überhand und ich begann zu lesen.
Traurig zu lesen… denn meine Erwartungshaltung wurde so gar nicht erfüllt. Die 24-jährige Mae beginnt bei der tollen Firma „Circle“ zu arbeiten. Circle hat Google, Apple, Facebook, Twitter geschluckt und alle Kunden erhalten eine einzige Internetidentität, über die alles abgewickelt werden kann. Ob Handy, GPS, Blogs – alles wird von „The Circle“ verwaltet. Anonymität fällt weg, jeder ist durchsichtig im Netz mit der Folge, dass es Schmutz, Trolls im Internet nicht mehr gibt.
Die Firma ist ja ach so toll: Auf einem Camps angesiedelt, mit tollen Restaurants, hochwertiger Mitarbeiterbespassung, coolen Partys.
So ungewöhnlich finde ich DAS nicht. Wer schon einmal bei einer amerikanischen Firma gearbeitet hat, kennt ähnliche Ideen auf einem Campus, um seine Mitarbeiter zu bespassen, wenn auch nicht auf so hohem Niveau.
Mich schreckt auch die Idee der absoluten Transparenz durch das Internet nicht ab. Wir sind bereits auf dem Weg dorthin und nehmen es teilweise bewusst in Kauf.
Diese Ideen sind also nicht so neu und innovativ, dass von einem neuen „1984“ geschrieben werden kann. Never, ever! An diese revolutionären Vorstellungen und Visionen reicht „The Circle“ einfach nicht heran. Auch nicht an den zeitlichen Rahmen. In „1984“ wurden Dinge beschrieben, die 60 Jahre später wahr wurden. Hier geht es um ein Visiönchen, welches in absehbarer Zeit wahr werden kann. Nichts Revolutionäres.
Um auf Mae zurück zu kommen: Erfreut über ihren Job mausert sie sich schnell zur Vorzeigemitarbeiterin. Einer Mitarbeiterin, die nichts hinterfragt. Sie macht mich in ihrer Naivität  aggressiv. Was beim Lesen manchmal dazu führt, dass ich laut dachte: Du blöde Kuh, das ist doch nicht Dein Ernst??
Sie ist für die absolute Transparenz, entwickelt weitere Ideen dafür und merkt nicht, dass es zu Lasten der Freiheit geht.
Was geschieht mit den Menschen, die nicht absolut transparent sein wollen? Dies wird am Beispiel ihres Ex-Freundes gezeigt und selbst hier bekommt sie nicht die Kurve, um zu hinter fragen. Ich schrieb nur wenige Zeilen zuvor: Blöde Kuh….
Eine Solche Wortwahl und eigene Reaktion kenne ich eigentlich nur aus einem schlechten Film. Dann schalte ich als Konsequenz ab. Tja, ist das Buch deshalb schlecht?
Es ist schlecht in Anführungszeichen, weil es mich enttäuscht hat. Ich durch Interviews und auch durch Denis Scheck, den ich beinahe bewundere, geködert wurde mit einem angeblichen Meisterwerk. Diese Erwartungshaltung wurde nicht erfüllt und ich bin halt enttäuscht.
Was bleibt vom Buch übrig?
Gute und einfach gezeichnete Charaktere, keine parallelen Handlungsstränge, so dass es sich einfach und leicht lesen lässt. Ich moniere es, denn einfach und leicht zu lesen ist für mich kein Qualitätsmerkmal.
„The Circle“ wird ausschließlich aus Maes Perspektive erzählt. Da diese manchmal recht naiv und einfach gestrickt rüber kommt, fühle ich mich als Leser manchmal weiter denkend als sie.
Ich fühlte mich genervt.. Man möchte sie schütteln, schlagen, damit sie aufwacht. Denn die einige Chance, dem Treiben ein Ende zu setzen…. vermasselt sie. In dem Sinne gibt es kein Happy End.
Fazit: Normale Lektüre, normaler Roman, der den Hype nicht wert war. Definitiv kein Buch mit neuen Visionen, sondern der Ansatz einer Beschreibung, wie es in wenigen Jahren sein könnte. Eine Entwicklung, die jeder nachvollziehen kann. Unterbrechen kann?

Leïla Slimanis: Dann schlaf auch du

Klappentext:
Der Preis des Glücks
Sie wollen das perfekte Paar sein, Kinder und Beruf unter einen Hut bringen, alles irgendwie richtig machen. Und sie finden die ideale Nanny, die ihnen das alles erst möglich macht. Doch wie gut kann man einen fremden Menschen kennen? Und wie sehr kann man ihm vertrauen?
Sie haben Glück gehabt, denken sich Myriam und Paul, als sie Louise einstellen – eine Nanny wie aus dem Bilderbuch, die auf ihre beiden kleinen Kinder aufpasst, in der schönen Pariser Altbauwohnung im 10. Arrondissement. Wie mit unsichtbaren Fäden hält Louise die Familie zusammen, ebenso unbemerkt wie mächtig. In wenigen Wochen schon ist sie unentbehrlich geworden. Myriam und Paul ahnen nichts von den Abgründen und von der Verletzlichkeit der Frau, der sie das Kostbarste anvertrauen, das sie besitzen. Von der tiefen Einsamkeit, in der sich die fünfzigjährige Frau zu verlieren droht. Bis eines Tages die Tragödie über die kleine Familie hereinbricht. Ebenso unaufhaltsam wie schrecklich.
Es gibt Bücher, die ziehen einen von der ersten Seite in den Bann. So erging es mir mit „Dann schlaf auch du“ von Leïla Slimanis. Der Klappentext warnte mich ein wenig vor. Nicht alles könnte eitel Sonnenschein sein, wenn man sich die Familie mit den zwei Kindern und der Nanny vorstellt. Dann öffnete ich das Buch, las die ersten drei Seiten, die mit den Sätzen „Das Baby ist tot. Wenige Sekunden haben genügt.“ begannen und hatte den Cliffhänger nicht am Ende eines Buches vorgefunden, sondern im Epilog. Ich erahnte, was mich auf den 224 Seiten erwarten könnte. Ein Buch, eine Geschichte, die nicht für schwache Nerven gedacht ist.
Mit diesen Informationen beginnt das Buch. Schwenkt nach dem Epilog in die Geschichte über die vierköpfige Familie über. Mutter Myriam ist Rechtsanwältin, Vater Paul ist Musiker. Die Mutter ist inzwischen vom Mutterdasein erschöpft, ein wenig frustriert und gelangweilt. Durch Zufall erhält sie die Chance als Rechtsanwältin tätig werden zu können. Vater ist einverstanden und eine Nanny wird gesucht.
Diese wird in Louise gefunden. Eine ältlich gekleidete, kleine, sehr schlanke Frau, die fast zu perfekt scheint. Sich nicht nur als Nanny einbringt sondern sich Stück für Stück im Haushalt, nein im Leben der Kinder und Eltern, unentbehrlich macht.
Mit dem Wissen aus dem Epilog, dass diese besagte Nanny die Kinder ermordet hat, möchte ich nun wissen. Warum? Warum mordete sie?
Dieses Buch ist nichts für schwache Nerven. In Rückblicken, in denen das Leben der Nanny beschrieben wird, können sich nur Gründe erahnen lassen. In der Gegenwart wird deutlich, dass sie vereinsamt und verarmt lebt. Raffiniert verwebt Leïla Slimanis die Vergangenheit der Nanny mit ihre Gegenwart. In Rückblicken, die vielleicht das Unerklärliche erklären können? Oder auch nicht?
Beschreibt die Familie, die die ausufernde Hilfe von Louise als selbstverständlich nimmt. Gelegentlich die ungesunde Symbiose erkennt, doch den Wunsch nach eigener Selbstverwirklichung über diese stellt.
Ein beklemmendes und aufwühlendes Buch, welches in der Rubrik Thriller veröffentlich wurde und doch vieles mehr ist.
Ich las es in einem Rutsch an Ostern durch. Nicht nur, um die Antwort nach dem Motiv zu finden, warum Louise die Kinder tötete, sondern weil mich der sachlich und distanziert wirkende Text in den Bann zog. Aufgewühlt legte ich es nach dem Lesen zur Seite und mein Gedankenkarussell kam so schnell nicht zur Ruhe.