Kolumne: Tage wie dieser …

Bei dem beschriebenen Tag handelte es sich nicht um einen Freitag, den 13. Oder einen Tag, an dem man verschlafen hatte und seinen Rhythmus im Laufe des Tages nicht fand. Nein, der besagte Tag war ein Tag wie jeder andere. Er unterschied sich nur darin, dass „viel“ Porzellan zu Bruch ging und er überhaupt nicht so rund lief wie angedacht. Ein wichtiges Utensil wurde vermisst und die Suche darauf verlief eine Zeitlang ergebnislos. Viele Stunden wurden verloren und die Frustrationstoleranzgrenze im Laufe des Tages in gewissen Zeitabständen unfreiwillig getestet.
Ein Schusseltag von Schussel für Schussel.
Der besagte Tag begann schwül und die Wechseldusche sollte meine Geister wecken. Ich hatte geplant viel zu lesen und zu schreiben. Angedacht.
Auf dem Balkon machte ich es mir mit dem Notizblock, einem Kaffee und einem Buch bequem. Ein neuer Text sollte entstehen und wenn das Hirn zu müde gewesen wäre, um weitere Buchstaben sinnvoll aneinanderzureihen, würde ich es mit einer Lesepause zu einer Pause zwingen, um neuen Buchstabensalat zu kreieren. Während ich schrieb, ließ ich mich vom Nachbarn gegenüber ablenken. Im Achselshirt und mit langen, rosafarbenen Gummihandschuhen bekleidet, ging er einem Teil seiner Kehrwoche nach. Mich irritierte der Anblick. Wenn Mann schon Gummihandschuhe trägt, würde ich für die männliche Variante in blau plädieren.Ja, ich bin eine Frau, die manchmal in Klischees denkt. Mein Blick wanderte weiter. Auf dem Boden wuselten Ameisen emsig umher. Ich hoffte, sie würden sich noch im Laufe des Sommers als nützlich erweisen. Ihre gelegentlichen Bisse an meinen Waden versuchte ich zu ignorieren.
Der Notizblock füllte sich Seite um Seite, so dass ich mir Kaffeenachschub verdient hatte. Mit meiner schönen Tasse in der Hand ging ich durch die breite Balkontür. Nun kam ein Moment, den ich manchmal gerne als „Ich stehe neben mir“ bezeichne. Nein, ich dissoziiere nicht. Oder bin in einer anderen Art gespalten. Mein Kopf erkennt die Breite der Balkontür und mein Körper ignoriert es bewusst. Weiterlesen

Stefan Krücken: Unverkäuflich

Klappentext:
Bobby Dekeyser ist fünfzehn, als er im Unterricht aufsteht und beschließt, Fußballprofi zu werden. Vier Jahre später steht er im Tor des FC Bayern München. Nachdem ihn ein Gegenspieler schwer verletzt, beginnt ein spektakuläres Abenteuer: Von einem Bauernhof in Niedersachsen aus schafft es Dekeyser, Vater von drei Kindern, ein Unternehmen mit mehreren tausend Mitarbeitern zu erschaffen. Mit Verantwortungsbewusstsein, sozialem Engagement und gegen so ziemlich jede Regel, die es in der Welt der Wirtschaft gibt.UNVERKÄUFLICH! soll ein Handbuch der Inspiration sein. Ein Mutmacher, ein intimer Blick in die Seele eines Unternehmers. Es zeigt einen Weg zum Erfolg, der sich nicht an klassischer Schulbildung, steifer Karriereplanung und am Recht des härtesten Ellbogens orientiert. Dekeyser berichtet auch von der dunklen Seite der Verantwortung, von Einsamkeit und Zweifeln. Und von der Verzweiflung nach dem tragischen Tod seiner Frau. Vor allem aber von seinem Willen, trotz Schlägen des Schicksals niemals aufzugeben. Von Familiensinn, von Freundschaft und vor allem: einem grenzenlosen Optimismus. ANKERHERZ – Das Leben ist spannend.
Auf der Rückseite wird das Buche als ein „Handbuch der Inspirationen“ beschrieben.
Es entstand über einem Zeitraum von zweieinhalb Jahren. So liest es sich leider auch: Als eine Aneinanderreihung von Gesprächen, die in Kapitel unterteilt sind und dabei nicht flüssig geschrieben sind. Die an sich spannende Lebensgeschichte des Bobby Dekeyser wird ungelenk beschrieben. Der Enthusiasmus mit dem er seine Fußballkarriere und später sein Unternehmen aufbaute, wird glaubhaft transportiert. Die bisweilen eingeflochtenen „Weisheiten“ stören bisweilen. Die Anekdoten aus seinem Leben (Rikscha in New York) amüsieren, die Botschaften wie „Hinfallen und wieder aufstehen“ überzeugen anhand seiner Lebensgeschichte.
Diese Lebens- und Unternehmensgeschichte ist sicherlich einmalig und mehr als interessant. Weniger interessant ist, wie die Geschichte geschrieben wurde. Es ist schade, dass ein Buch, welches über einen solch langen Zeitraum entstand, so schlecht geschrieben ist. Teilweise sogar langweilig. Ich unterstelle Stefan Krücken, dass er ein guter Reporter ist, allerdings ein schlechter Buchautor.
Seine Zeitungsartikel und auch das Schlusswort sind gelungen. Ca. 8 Bücher schrieb er, das bekannteste vermutlich über „Kaptain Schwandt“. Auch hier wurde der Fehler begannen, dass aus einer guten Ausgangssituation ein enttäuschendes Buch entstand. Doch zurück zu „Unverkäuflich“. Wer ein Buch lesen möchte, in dem man zwischendurch immer einige Zeilen lesen möchte, ohne nach Wochen der Pause den Anschluss zu verlieren, ist hier gut bedient. Wer ein Buch in den Händen halten möchte, welches auf schönem Papier gedruckt wurde und welches sich daher  gut anfühlt, ist hier ebenfalls gut bedient. Wer die schönen Fotos geniessen kann, ist mit diesem Buch ebenfalls gut bedient.
Wer nachlesen möchte, wie aus einer interessanten Lebensgeschichte ein wirklich langweiliges Buch entstand, der ist mutig.

 

„Read what I see“: Fingerspuren

Mit einem leisen Plopp kullern die Orangen automatisch in die Saftpresse. Tropfen für Tropfen werden sie in der großen Karaffe aufgefangen. Der Kaffeeautomat röchelt und spukt den Kaffee in die Tasse aus. Ich sitze an einem Tisch in einem Café und möchte den neuen Thriller zu lesen beginnen, während ich ein Croissant in den heißen Milchkaffee stippe. Zuvor einen Schluck trinken, das aufgestäubte Kakaopulver vorsichtig abschlürfen und den Prolog lesen, der gleich mit mehreren Toten aufwartet. Ein Start in den Tag, und in das Buch, wie ich es mir wünsche.
Eigentlich.
Plötzlich steigt der Lärmpegel, der mich zwingt den Kopf in die Runde zu heben. Eine Fahrradfahrergruppe bestehend aus zwei Erwachsenen und vier Kindern betreten das Café. Die Kinder stürmen weiter auf die Terrasse, auf der sich anscheinend bereits Bekannte aufhalten. Tische werden zusammengerückt, sich herzlichst begrüßt, um dann den Weg zur Theke zu finden.
„6 Nudelgerichte und 6 Mal Apfelschorle, bitte.“
„Sonntags bieten wir keine Nudelgerichte an.“ Diesem Satz folgen Schmollschnuten und laute Diskussionen auf Seiten der Eltern, während die Kinder unisono nach Butterbrezeln rufen. Diverse Eierspeisen und viele Butterbrezeln werden kurz darauf nach draußen an die zusammengestellten Tische getragen. Die Unterhaltung wird lebhaft. Die Kinder mopsen sich untereinander die Speisen, was zu kleinen körperlichen Auseinandersetzungen mit dem einhergehenden Gebrüll führt. Die Eltern stört es nicht und die Kinder noch weniger. Zwei von ihnen tragen Brillen mit auffällig dicken Gläsern. Ein wenig Mitleid kommt in mir hoch. Ist mir aus früheren Erfahrungen noch in Erinnerung, wie Schulkinder, die solche Brillen trugen, häufig gehänselt wurden. Unabhängig davon, dass diese Brillen vermutlich die einzige Chance waren, um eine verbesserte Sehqualität und dadurch Lebensqualität zu erhalten.
Ich wende meine Aufmerksamkeit wieder meinem Buch zu. Der Versuch scheitert kurz darauf, als sich die Tür des Cafés öffnet und aus verschiedenen Kindermündern „Ana“ in voller Lautstärke dröhnt. Eine Frau betritt mit drei Kindern das Café. In einem Buggy sitzt ein Junge, dessen Beine weit über den Rand hinausragen. Es wirkt, als würde der Buggy dadurch jeden Moment umkippen. Ein kleines Mädchen trägt über ihre Spitzenleggings ein kurzes Rüschenkleid. Die lockigen Haare sind zu einem Zopf gebunden. Ich bewundere sie für ihre dichten Haare und ihr verschmitztes Lächeln.
„Ana. Ana. Ana.“ Wer von den Kindern ruft, ist für mich noch nicht zu unterscheiden. Alle vier setzen sich an einen Tisch. Der größere Junge streicht sich über seine Haare. Seine rechte Seite am Kopf ist ausrasiert, mit einem interessanten Muster versehen. Während er ständig über diese Seite streicht, vermute ich, dass der Haarschnitt noch recht frisch sein muss. Er wirkt stolz.
Die Kinder beginnen zu essen und trinken. Stets von lauten „Ana“ Rufen unterbrochen. Mir ist nicht klar, warum sie so laut rufen, während ihnen ihre Mutter gegenübersitzt. Theoretisch in Flüsternähe. Die Butterbrezeln werden auseinandergenommen, mit der Butter gespielt und in Windeseile die Teller leer gegessen. Mit kleinen Taschenlampen versucht ein jedes Kind mich zu blenden und lachen sich bei dem Versuch schlapp. Ich muss mitlachen. Verstehen kann ich sie nicht, ich spreche ihre Sprache nicht. Irgendwann bemerken der größere Junge und das Mädchen, dass ihre Hände verklebt oder fettig sind. Mit einer wachsenden Begeisterung drücken sie nun abwechselnd ihre Hände von innen an das Fenster und schauen sich die sichtbaren Abdrücke an. Anschließend malen sie mit den Fingern Figuren auf das Fenster. Die Kinder der Radfahrergruppe, die auf der Terrasse sitzen, bemerken die Zeichnungen und fügen auf ihrer Seite des Fensters ebenfalls welche dazu. Nur durch Mimik verständigen sich alle und auf beiden Seiten wird weiter gemalt. Kindheitserinnerungen an Fingermalfarben werden in mir wach. Mein Hausfrauenherz gerät ins Stolpern. Doch was berührt es mich? Gar nicht. Zum einen sind es nicht meine Fenster, zum anderen macht es Spaß den Kindern zuzuschauen. Und ihnen macht die Verschönerungsaktion anscheinend auch Spaß.
Als ihre Finger keine Spuren mehr auf den Fenstern hinterlassen, wenden sie sich wieder ihren Taschenlampen zu. Sie versuchen sich untereinander erneut zu blenden und brüllen sich dabei etwas zu. Die Geräuschkulisse ist enorm, denn laute „Ana“ Rufe fehlen weiterhin nicht. Inzwischen kenne ich Ana in allen Lautstärken, Zwischentönen und Tonmelodien.
An Lesen ist nicht zu denken. An zuschauen schon.
Irgendwann verlassen sie das Café und ich wende mich meinem Buch zu. Versuche es, denn der laute Ausruf des Missfallens einer Mitarbeiterin, die das „bemalte“ Fenster entdeckt, ist nicht zu überhören. Wie ich bereits ähnlich erwähnte, mein Hausfrauenherz kann es nachvollziehen.
Die Radfahrergruppe stürmt das WC, um sich ihre mitgebrachten Wasserflaschen aufzufüllen und verlassen darauf ebenfalls das Café.
Es ist still. Ich bestelle einen zweiten Milchkaffee und beginne das erste Kapitel zu lesen.

 

Foto: Pixabay.com, Prawny

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