Kolumne: Warum selber machen?

Zum letzten Mal schüttele ich das große Glas, in dem sich viele Schnittlauchblüten in Balsamicoessig eingelegt befinden. Der inzwischen rosa gefärbte Essig sieht im Sonnenlicht sehr schön aus und funkelt. Nach dem abseihen wird er in Flaschen umgefüllt und ist bereit um verschenkt zu werden. Eine Flasche bleibt bei mir, der Rest findet den Weg in die Welt. Den scharfen Geschmack, der im Salatdressing die Zwiebel ersetzen soll, wird sicherlich auch andere erfreuen. Genau darum geht es mir: Andere erfreuen. Mit dem Spitzwegerich habe ich einen kalten Ölauszug angesetzt, der später zu einer Salbe verarbeitet wird und nicht nur bei Insektenstichen oder Husten hilft.
Die ersten neuen Rezepte habe ich bereits herausgesucht und beginne Gläser zu sammeln. Sauerkirschmarmelade mit Ingwer und Chilli wartet darauf ausprobiert zu werden und die beliebte Apfel-Birnen-Marmelade mit Estragon im Herbst wieder eingemacht zu werden. Im Sommer wird es wieder meine eingelegte Zucchinispezialität geben, deren Rezept ich selten verrate. Eher verschenke ich die gefüllten Gläser. Feigen-, Kiwi,- Pfirsichmarmelade und vieles mehr wird selbstgemacht wieder in meinem Schrank landen. Nein, das kann ich wirklich nicht alles selber verzehren. Insbesondere da ich vieles davon aufgrund einer Lebensmitteltoleranz nicht vertrage.
Ich liebe es nach neuen Rezepten zu schauen, die Zutaten zu besorgen und in der kleinen Küche am Herd zu stehen und diese Dinge zu kochen. Manchmal stelle ich mir vor, dass ich mich in einer großen Landhausküche befinde und tagelang damit verbringe.
Manchmal probiere ich einen Likör aus. Der Melisselikör schmeckte wirklich gut, trotz der vielen Umdrehungen. Ich glaube, er bereicherte einige Damenrunden. Nun überlege ich einen Rhabarberlikör anzusetzen. Aufgegossen mit kühlem Sekt wird er erfrischend schmecken.
Natürlich backe ich Plätzchen in der Adventszeit. Auch hier wird vorher nach neuen Rezepten geforscht und ausreichend Keksdosen besorgt. Klassiker und neues wird gebacken. Letztendlich werden nur wenige Kekse bei mir bleiben. Der Rest wird schön verpackt und weiter verschenkt.
Die Frage steht weiter im Raum, warum Dinge selber zu machen? Oft sind sie günstiger zu kaufen. Wenn ich in mein Küchenfach greife und ein paar Gläser für eine Freundin zusammenstelle, die einfach leckere Nervennahrung benötigt und sich bei der Übergabe freut, dann freue ich mich auch. Freude beim Verschenken ist eine besondere. Wenn sich über das selbstgemachte Geschenk gefreut wird, dann ist es gleich doppelt so schön.
Wenn ich Weihnachtsdosen an Backmuffel verschenke, sie die Dose öffnen und lächeln, dann freue ich mich mit ihnen.
Wenn ich ein kleines Geschenkpäckchen mit Gläsern zusammenstelle und mein Gegenüber überrasche, dann freut es mich einfach.
Genau: Nicht mehr und nicht weniger. Es geht darum Freude zu schenken. Mit Dingen, die manch einer einfach nicht selber macht oder selber machen kann.

P.S.: Wer Sauerkirschen zu verschenken hat findet in mir eine dankbare Abnehmerin 😉

„Read what I see“: Im Wartezimmer

Warum habe ich das Gefühl, dass die Patienten im Wartezimmer eines Orthopäden fast immer eine schlechte Laune ausstrahlen. Die Münder hängen herunter, es wird geseufzt, was das Zeug hält und die Stimmung ist zum Schneiden. Niemand lacht oder führt das Gespräch mit einem anderen Patienten. Ich kam in der Praxis an und wurde durch eine nette Arzthelferin empfangen. Sie machte mich auf die Wartezeit aufmerksam, doch war mir das an dem Tag egal. Hauptsache dem Rücken würde später geholfen werden. Die Praxis verfügt über verschiedene Wartebereiche und erzeugt beim Patienten gerne das Gefühl, dass es für ihn in der Warteschleife nun nennenswert weitergeht. Er überholt die anderen wartenden Patienten in der Wartehierarchie, wenn er aus dem Wartezimmer gerufen, auf die andere Stuhlreihe platziert wird. Schon keimt die Hoffnung auf, dass man gleich im Arztzimmer sitzt. Falsch gedacht. Nach dieser Stuhlreihe folgte eine weitere und schlussendlich der einzelne Stuhl im Behandlungszimmer, auf dem man auch einige Zeit alleine verbringen kann. Wo war ich stehen geblieben? Ich kam, setzte mich ins Wartezimmer und war überrascht. Vier Patienten saßen dort und drei weitere in der Stuhlreihe vor dem Wartezimmer. In einer Schmerzsprechstunde empfand ich die Patientenanzahl als überschaubar. Allerdings nicht als geräuschlos. Ich setzte mich, legte meine kleine Handtasche neben mir auf einen Stuhl. Auf diesem lag ebenfalls eine kleine Handtasche. Die Besitzerin nahm mit einem genervten und lauten stöhnen ihre Tasche weg. Ihr Blick strafte mich, ihre herunterhängenden Mundwinkel hingen, statt ihre Aufgabe zu erfüllen und den Mund zum Sprechen zu animieren. Naiverweise versuchte ich ein Gespräch zu beginnen und dachte mir nichts dabei als ich sagte, dass wir uns den Stuhl mit unseren Handtaschen doch teilen könnten. Mir erschien meine Aussage logisch. Darauf nahm ich mein Handy in die Hand, um es auf lautlos zu stellen. Dazu muss ich alles, also Anruf, Benachrichtigungen usw. kurz manuell anklicken. Ganz leise machte es jedes Mal ein plopp. Als Reaktion stöhnte die Frau neben mir jedes Mal und verdrehte die Augen. Bei manch anderen kündigt sie sich so eine Ohnmacht an? Ich empfand ihr Verhalten als amüsant. Trotz meiner 50 Jahre ritt mich ein kleines Teufelchen. Ich entschied mich die Frau als unangenehm einzustufen. Deshalb verstellte ich im Sekundentakt über eine Minute lang meinen Benachrichtigungston. Demenentsprechend leise ertönten im Sekundentakt die dezenten Ploppgeräusche. Ein kindisches Verhalten meinerseits, doch machte es mir in dem Moment Spaß. Meine Wahrnehmung verschob, sich von der Frau links neben, mir auf Geräusche außerhalb des Wartezimmers. Wenige Meter davon entfernt war ständig ein tiefes stöhnen/artikulieren einer schwer behinderten Frau zu hören. Abwechselnd kamen diese Laute aus ihr heraus, gefolgt von einem lauten rhythmischen stampfen mit beiden Beinen. Ihre Begleitung versuchte das zu unterbinden. Es half nichts. Im Gegenteil. Sie stampfte nur lauter und gröhlte lauter. Meine Sitznachbarin kam aus dem stöhnen kaum heraus. Unentwegte schnappte sie nach Luft, dem kurz darauf ein stöhnen folgte. Unbewusst fast im Einklang mit der anderen Patientin. Die anderen Patienten gaben vor nichts zu bemerken. Das war Teil 1 der Geräuschkulisse.
Schräg rechts neben mir saß im Wartezimmer eine weitere Frau. Diese schlief ständig ein und sprach, während sie schlief. Unterbrochen von schnarchen. Zusammenfassend:
Draußen: Stöhnen/artikulieren und stampfen, innen schnarchen und sprechen, sowie stöhnen.
Mir gegenüber saß noch ein Mann, der bei jedem neuen schnarchen mit dem Kopf und den Schultern zusammenzuckte.
Ich saß zwischendrin und wusste nicht, ob ich meinen Notizblock herausholten sollte. Oder Entspannungsübungen machen sollte.
Die Entscheidung wurde mir durch den Aufruf: „Bitte zum Röntgen.“ abgenommen. Nun war ich in den Fängen der unfreundlichen Arzthelferin. Röntgen überstand ich, obwohl sie in den Pausen über meine zuckenden Beine meckerte. Wie gesagt, in den Pausen, nicht während des Röntgens. Mit dem Röntgen war ich fertig und ich nutzte schnell die Toilette und wusch mir die Hände. Das Waschbecken befand sich draußen vor einem der Behandlungszimmer. Leider tropfte der Wasserhahn. Er tropfte so richtig: Laut und schnell. Ich versuchte es zu ignorieren, saß daneben, strickte ein paar Runden, unterdrückte den durch das Geräusch hervorgerufenen Harndrang und kam dran.
Der Rest wird verschwiegen.
Eines kann ich sagen: An dem Tag erlebte ich in dieser Praxis eine große Variation an Geräuschen.

 

Foto: Pixabay.com, geralt

Kolumne: Zivilcourage

Gestern las ich in einem älteren Text von mir das Wort „Zivilcourage“. Seitdem gehen mir zu dem Begriff einige Gedanken durch den Kopf.
Wie definiert man ihn konkret? Wo beginnt Zivilcourage im Alltag, wo endet sie?
Ein fiktives Beispiel (und vermutlich zur Zeit von vielen Menschen häufiger erlebt) ist die folgende Situation: In einem öffentlichen Verkehrsmittel beschimpft ein Fahrgast einen anderen Fahrgast aufgrund seiner Hautfarbe. Bezeichnet ihn als Neger, Asylant oder mit ähnlichen Ausdrücken.
Wenn ich eingreife, den schimpfenden Fahrgast zurechtweise: Ist das bereits Zivilcourage oder einfach ein Akt der Höflichkeit sich vor den Fahrgast mit dunkler Hautfarbe zu stellen? Es ist Zivilcourage.
Ich erlebe einen Streit zwischen einem Pärchen. Der Mann droht der Frau gegenüber handgreiflich zu werden. Ich würde einschreiten. Ist das Zivilcourage, oder? Für mich ist es das.
Oder beginnt sie erst, wenn man Mandatsträger aus der Politik wegen Volksverhetzung anzeigt. Wohlwissend, dass durch eine Anzeige die persönlichen Daten bekannt werden und Repressalien zu befürchten sind? Wo beginnt sie im Kleinen, wo beginnt sie im Großen? Können und sollen wir Unterschiede machen? Steht uns das überhaupt zu? Für mich beginnt sie dort, wo ich einschreite. Durch Worte und/oder Handlungen.
Warum sind wir oder andere trotzdem still und setzen uns/sich in einer Situation, die Mut erfordert, nicht ein? Warum gehen wir weiter, wenn ein bewusstloser Mensch auf dem Weg liegt und vermuten gleich, es wäre ein betrunkener Mensch. Gar obdachlos, der nur seinen Rausch ausschläft. Ein Anruf könnte hier vielleicht Leben oder die Gesundheit retten. Nicht zu selten fallen Diabetiker ins Zuckerkoma und wirken dabei betrunken. Warum denken wir nicht so weit? Warum akzeptieren wir Pöbeleien, Sprüche in der Art „Das darf doch noch gesagt werden.“, Zivilcourage bei anderen und fordern sie nicht von uns?
Die Antwortmöglichkeiten können vielfältig sein.
Aus Angst, aus Angst vor den Folgen. Angst um die eigene körperliche Versehrtheit. Dazu ist es viel leichter zu verdrängen statt zu handeln. „Das geht mich nichts an“ ist leicht gesagt und erfordert kein einmischen. In dem Moment, indem ich hinschaue, zwinge ich mich zum Handeln. Ich setze mich mit der Situation und eventuellen Folgen auseinander. Das kann nicht jeder. Viel bequemer ist es nichts zu machen und zu verdrängen. Vor vielen Jahren gab es einen Zwischenfall in der Düsseldorfer Altstadt. Ein Betrunkener pöbelte einen Obdachlosen Mann im Rollstuhl an. Ich ging dazwischen und bekam im wahrsten Sinne des Wortes eins auf die Nase. Ich hatte gar nicht nachgedacht, sondern bin eingeschritten. Das Hände zittern kommt danach. Ich kann einfach nicht anders. Nehme ich eine Situation wahr, in der gehandelt werden muss, handele ich. Ja, das kann bereits bei rassistischen Äußerungen im Bus oder an anderen Orten beginnen. Oben erwähnte ich die Angst. Angst bewerte ich nicht. Die Angst angegriffen oder verletzt zu werden ist menschlich. Und niemand muss sich aus falsch eingeschätztem Mut in Gefahr bringen. Insbesondere bei gewalttätigen Situationen. Hilfe kann telefonisch herbeigerufen werden. Auch das ist handeln. Ebenfalls können in einer größeren Menschenmenge Menschen gezielt angesprochen werden. Die Erfahrung zeigt, dass auf eine konkrete Ansprache reagiert wird und die Last alleine zu handeln geteilt werden kann.
Scham kann auch ein Grund sein, weg zu schauen und nichts zu tun. Stattdessen vorbei zu laufen. Die Scham kann entstehen, wenn man das Gefühl bekommt durch die eigene Aktion plötzlich beachtet zu werden. Beobachtet zu werden, ob alles richtig gemacht wird? Etwas Falsches gesagt wird? Oder man aufgrund einer falsch eingeschätzten Situation eingreift und ein solches nicht nötig gewesen wäre. Ja, das kann passieren. Doch lieber einmal zu viel reagieren als einmal zu wenig? Nichtstun verurteile ich. Ebenso die Situation zu filmen oder zu fotografieren.
Weghören, weg sehen kann ich für mich nicht akzeptieren.
Wie denkt Ihr darüber?

Foto: Pixabay.com, Alexas_Fotos

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