Zum dritten Mal ein 9. Mai ohne Dich

Das war der 9. Mai im vergangenen Jahr und im Jahr zuvor:

9. Mai

Kein runder Geburtstag für Dich.
Kein Muttertag für Dich.
Viele Grüße nach …
ja wohin?
Einem Ort, an dem es Dir besser geht?
Einem Ort, an dem Dich nichts mehr an vor dem 9. Juli erinnert?

Du fehlst.

Immer noch.

Frank Willmann: Der Pate von Neuruppin (Vom Imbisswagen zum Drogenimperium)

Klappentext:
Breaking Bad in Brandenburg – der größte Kriminalfall des Ostens

1990 eröffnen ein paar Jugendfreunde eine Imbissbude. 14 Jahre später werden sie wegen Kokainhandel, illegalem Glücksspiel, Erpressung, Betreiben eines Bordells und Gründung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Dazu kommt ein ungeklärter Mordfall. Zum ersten Mal erzählen die Mitglieder der sogenannten »XY-Bande« die unglaubliche, aber wahre Geschichte ihres Erfolgs und ihrer Verfolgung. Ein spektakulärer Fall, der die Verbrüderung von Kapitalismus und Verbrechen offenbart. Und ein authentisches Porträt des wilden Ostens in den Neunzigerjahren.
Als Olaf Kamrath im August 2004 bei einer groß angelegten Polizeirazzia festgenommen wird, ist er nicht mehr der kleine Junge des örtlichen Kneipenbesitzers, sondern der Kopf einer gut geölten Geldmaschine: Die »XY-Bande« versorgt alle zwischen Rostock und Berlin mit erstklassigem Stoff aus Amsterdam. Olaf, Kalle, Joschi und Franky sind vier Jugendfreunde, die mit dem Fall der Mauer die Chance zum großen Erfolg wittern und es wagen, sie zu ergreifen.
Die ersten tausend Mark verdient Olaf mit den Würstchen aus seiner Imbissbude. Dann kommen Spielautomaten, ein Fitnesscenter und ein Puff dazu. Doch spätestens mit der Eröffnung der eigenen Großraumdisco beginnt für die Freunde eine neue Ära, denn jetzt steigen sie auch in das Drogengeschäft ein.
Frank Willmann hat in langen Gesprächen das Vertrauen aller Beteiligten gewonnen. Erstmals wird hier die ganze Geschichte erzählt. Unglaublich, aber wahr.

Ein paar Freunde tun sich in den 90er Jahren in Neuruppin zusammen, um reich zu werden. Beginnend mit der Pommesbude, über Automatenaufstellungen, Spielhöllen, Puff und Drogenhandel sind sie recht flexibel unterwegs. Zum Schluss „seriös unterwegs“ holt sie die kriminelle Vergangenheit ein, da zwei Kronzeugen aussagen. Bekannt wurden sie als „XY“ Bande, benannt nach ihren Autokennzeichen.
Mir war weder die „XY“ Bande bekannt noch der Prozess oder Neuruppin. Oder der Autor.

Frank Willmann beschreibt das Milieu aus Sicht einiger Bandenmitglieder. In chronologischer Reihenfolge erzählen sie plastisch abwechselnd von der Kindheit bis zum Prozess und dem Gefängnisaufenthalt. Dabei wird auf die moralische Keule und Bewertung durch den Autor verzichtet.

Das Buchmit seinen 228 Seiten habe ich in einem Rutsch gelesen, da der Inhalt spannend war. Durch die verschiedenen Schreibstile, je nachdem wer erzählt, wird es nie langweilig. Manchmal musste ich schmunzeln, manchmal wunderte ich mich, wie leicht Drogenschmuggel und -verkauf sein konnten. Die Jahre schienen so selbstverständlich leicht zu sein. Als Leser bekam ich einen authentischen Eindruck dieser Zeit.

Schön hätte ich es gefunden zu lesen, wie es den erzählenden Protagonisten heute geht. Die Freundschaft existiert noch, doch wie leben sie jetzt. Von Olaf Kamrath ist es bekannt.

 

„Read what I see“: Intelligenzvakuumisten

Intelligenzvakuumisten, ein auf dem ersten Wort unaussprechliches Wort, welches Menschen verschiedener Arten und Denkweisen beschreiben kann.
Bereits vor zwei oder drei Jahren beschrieb ich die folgende Begegnung. Heute überarbeitete ich sie. Inzwischen kann ich sie um viele weitere Momente ergänzen, in denen ich für mich leise, und manchmal laut, sagte: „Du Intelligenzvakuumist“.
Der Begriff „Intelligenzvakuumisten“ wird in keinem Duden oder anderem Nachschlagewerk zu finden sein. Es ist eine Wortschöpfung, die erfunden und dabei selbsterklärend ist. Oft nutze ich sie, wenn ich auf Menschen treffe, die ich in ihrer Ansicht oder ihrem Verhalten so unschön empfinde, dass ich sie nur mit dieser Wortschöpfung begreifen kann.
Ursprünglich hatte ich vor, verschiedene Menschen mit ihren verschiedenen Einstellungen und Aussagen zu beschreiben. Situationen mit ihnen wieder zu geben, in denen ich voller Unverständnis den Kopf schüttelte und innerlich sprachlos dachte:
Wie kann ein erwachsener Mensch solche Aussagen treffen?
Wie kann ein erwachsener Mensch nur solche Handlungen begehen?
Wie kann ein erwachsener Mensch über so wenig Empathie verfügen und ausschließlich sich in den Mittelpunkt des Weltgeschehens setzen?
Eine Reise und das Zusammentreffen mit einem Ehepaar brachten mich dazu, die Beobachtung auf zwei Personen zu begrenzen.
Erstmalig bemerkte ich sie am Bahnhof. Ich schätzte beide auf Mitte 60. Er: Um die 1,75m groß, Brillen- und kleiner Bauch- und Brustträger mit weißen Haaren. Gekleidet in einem gestreiften Poloshirt mit Jeans. Sie: Etwas kleiner, weiße Haare mit Dauerwelle, ebenfalls in Jeans gekleidet, mit einer Bluse und einer Handtasche aus den 80er Jahren versehen. Sie fielen mir auf, weil sie merkwürdiges Schuhwerk trugen. Nicht bunt oder anderweitig auffallend, sondern in einer viel zu kleinen Schuhgröße. Er trug eine Art Sandalen, deren Zehen soweit herausragten, dass sie fast den Boden berührten. Der Blick des Betrachters wurde automatisch auf sie gelenkt. Sicherlich auch, weil diese Zehen aussahen, als hätten sie tausende Meilen barfuß Laufens hinter sich gebracht.
Bei ihr sah es gemäßigter aus.  Die bestrumpften Füße steckten ebenfalls in Sandalen. Wobei nur geschätzte 3-4cm Zehen herausschauten.
Sehr schnell wirkten die Beiden auf mich als ewige Gestrige aus den neuen Bundesländern, die im Schwabenland, dem ungeliebten Westen, einfach nicht ankommen wollten. Früher war alles besser. Drüben war alles besser. Ja, sie verwendeten den Ausdruck drüben sehr häufig. Verwundert stellte ich bei dem Besuch eines DDR Museums fest, dass sie auch hier über ausgestellte Dinge der ehemaligen DDR schimpften. Es scheint ein gemeinsamer, grundlegender Charakterzug von ihnen zu sein, alles negativ zu betrachten?
Schon nach wenigen Stunden erinnerten sie mich an die bekannten drei Affen, die vollkommen meinungslos und desinteressiert erscheinen. Die drei Affen, die nichts sehen, nichts hören, nicht sprechen. Nein, das traf auf das Ehepaar nicht zu. Sie sahen alles, und sie hörten alles. Sie redeten ausgiebig. Vorrangig redeten sie bösartig und sehr abwertend über Mitreisende.
Könnte ich sächsisch zitieren, würde sich hier die Gelegenheit bieten, ausgiebig zu zitiren. Leider kann ich Dialekte nicht zitieren. Sie schimpften darüber: „Warum sind die ganzen Schwarzen hier im Bus.“ (Flüchtlinge waren Bestandteil der Reisegruppe und egal welcher Nationalität sie entstammten, alle wurden als Schwarze tituliert)
“Warum fahren die Schwarzen überhaupt mit? Die wollen sicherlich alles umsonst bekommen.“
Kaum verließ die Gruppe das Hotel, beschwerten sie sich lauthals beim Reiseführer: „Boh, die Schwarzen sind wieder so langsam. Wegen denen kommen wir bestimmt heute nirgends mehr an.“ Hinweise durch den Busfahrer, Gruppenteilnehmer oder den Reiseführer,  sich nicht so respektlos und rassistisch zu äußern, ignorierten sie geflissentlich. Sie hatten eine dermaßen überzogene Wahrnehmung von sich die einen konstruktiven verbalen Austausch nicht zuließen. Verfügten sie überhaupt über eine Wahrnehmung? Oder lebten sie „zurück gezogen“ in ihrer eigenen, gestrigen Welt? Denke ich an ihr Schuhwerk (ich muss gestehen, dass ich von ihrem heimlich ein Foto machte), dass sie diesbezüglich zumindest anders sind.

Zitiert habe ich einige Sätze, die sich endlos aneinanderreihen lassen würden. Sie ließen keine Gelegenheit aus, über die Mitreisenden lautstark ihren Unmut zu äußern. Ich bekam mein Fett, aufgrund meiner Figur und meines Einschreitens weg. Mitreisende Kinder, weil sie es wagten sich ein wenig zu bewegen. Der Reiseleiter, weil er „die Schwarzen nicht wegschickte“, der „Staat, weil er Flüchtlinge überhaupt reinlässt“. Vorrangig bekamen leider die ausländischen Mitreisenden ihren Unmut zu hören. Unmut oder Dummheit? Beleidigungen wurden getätigt. Andererseits verweigerten sie die direkte Kommunikation mit ihnen und schauten, Hände vor der Brust verschränkt, über sie hinweg.
Speisten wir in einem Restaurant zu Mittag oder zu Abend, bemängelten sie das Essen, scheuchten das Personal auf oder fielen durch ähnlich gelagerte Aktionen auf.
Für ein Gemeinschaftsfoto verließen sie demonstrativ den Raum. Ich empfand es als große Respektlosigkeit. Vielleicht wollten sie ihre Schuhe und die altmodische Dauerwelle auch einfach nicht zur Schau stellen? „Ironiemodus“ aus. Sie waren mir unangenehm und ich schämte mich teilweise für sie.
Äußerungen am Denkmal der verstorbenen Roma und Sinti: „Wie, das ist alles? So ein Aufwand für die paar Toten.“ Wir sprechen von geschätzten 500.000 Menschen. Oder in einem Museum über die Nazi Verbrechen „Jetzt könnten sie aber mal Ruhe geben“ zeigten mir, welch Geistes Kind sie sind. Auf einem Friedhof sagten sie lauthals: „Da sollten man die Hälfte der Insassen des Busses eingraben“. (Blick auf die mitreisenden Ausländer)
Doch wie soll man mit solchen Menschen umgehen? Ich hätte sie am liebsten rein zufällig aus dem Bus fallen sehen und hätte vergessen ihnen die Hand zur Hilfe zu reichen. Wollte ihren dummen Dunstkreis verlassen. Mit Argumenten konnte man bei ihnen nichts erreichen. Sie leben in ihrer eigenen Welt, ihrem eigenen Kosmos und nur sie haben Recht. Ihr respektloses Verhalten widert mich immer noch an. Daher haben sie die Ehre hier als die ersten Intelligenzvakuumisten beschrieben zu werden.
Einige Monate später sah ich sie erneut, als sie auf dem Weg zu einer Veranstaltung der AfD waren.

Als ich den Text zum ersten Mal schrieb, waren mir ein solches Verhalten, und auch solche Äußerungen, von Menschen unbekannt. Inzwischen ist es salonfähig geworden und nicht nur auf Stammtischen anzutreffen.
Intelligenzvakuumisten sind überall anzutreffen. Beim Bäcker, an der Kasse im Supermarkt, in der Nachbarschaft und und und.
Wann habt ihr zum letzten Mal einen getroffen und ihn dabei vielleicht mit einer anderen Bezeichnung versehen?

Foto:pixabay.com

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