Eine alternative Weihnachtsgeschichte: Eine besondere Gabe

Ein lautes „Muah, muah“ ertönte und schon war der knapp 64 Millionen Jahre dauernde Winterschlaf des Saurusfleischimus am 24. Dezember beendet.
Seine blaugrünen Äuglein öffneten sich langsam. Verwundert rieb er sich den letzten Schlaf mit einem Flügel aus den Augen, schaute sich kurz um und stolzierte langsam Richtung Höhlenausgang.
Der Blick über das darunter liegendes Tal zeigte ihm viel stacheliges grün. Waren das Kiefern? Eine seiner Lieblingsspeisen. Leider sah er zwischen dem ganzen Grünzeug nicht einen Genossen. Wo waren sie? Hatte er, wie häufig, zu laut geschnarcht und sie gingen auswärts auf Futtersuche?
Mit einem kleinen Schritt sprang er herunter, nichtsahnend, dass prompt in Oberstdorf ein kleines Erdbeben mit 2,9 Magnitude auf der Richterskala gemessen wurde.
Nach knapp 64 Millionen Jahren ohne Sonnenlicht schimmerte seine Haut pergamentfarben und war im leichten Nebel kaum noch auszumachen.
Sein Magen knurrte erbärmlich. Er ahnte nicht, dass ihn dieses Gefühl bis zum Lebensende begleiten würde. Auch Bruno, ein Taenie Solium, erwachte aus seinem langen Winterschlaf und setzte die unheilvolle Symbiose mit Saurusfleischimus fort.Er probierte ein paar Kiefern, die er vor seinem Winterschlaf immer zum Frühstück aß. „Nie mit leerem Magen die Welt erkunden“, predigte seine Mutter.Da er sich um seine empfindliche Darmwand sorgte, die durch Nadeln verletzt werden könnte, unterbrach er seine Mahlzeit.
Noch ahnte er nicht, dass Bruno diese bereits vor vielen Jahren durchlöchert hatte.

Mit wenigen Schritten erreichte er eine ihm unbekannte große Stadt und fand sich vor einem Gebäude mit einer hohen, gläsernen Kuppel wieder. Einmal die Zunge heraustrecken und er könnte sie Ruckzuck einspeicheln.
Dass die Menschen für diese Strecke einen Tag benötigen würden, wenn sie sich auf eine teure Servicegesellschaft namens Deutsche Bundesbahn verließen und in die für den Dinosaurier winzigen, blechernen Dinger einsteigen würden, war ihm nicht bekannt.
Der Saurusfleischimus hingegen konnte in dieser Zeit etliche Kontinente erkunden.
Die kleinen Tiere sah er zum ersten Mal. Sie erinnerten ihn an stehende, angemalte Würmer mit Stecknadeln als Kopf, deren Bezeichnung Mensch ihm ebenfalls nicht geläufig war.
Er näherte sich der Kuppel mit einem Tippelschritt, vor der eine komplette Fraktion für neue Fotos posierte und auf den Fotografen wartete. Mit Namensschildern waren sie, im Gegensatz zu den Menschen rechts von ihnen, nicht ausgestattet. „Sahn“, „Perz“, „Kotzbrindt“, „Krötschmer“, „Ich bin keine Weinkönigin -Löckner“ und „Lobby_Leiche“ konnte Saurusfleischimus dort lesen. Anscheinend hatte seine sehr gute Sehkraft im Winterschlaf nicht gelitten.
Sein Magen knurrte.
Sein Maul öffnete sich.
Der Platz war nun leer.
Den Abschluss dieser Vorspeise bildete die aus der Besenkammer herauseilende, in den Aufzug springende, auf die Besucherterrasse rennende, bebrillte Rollkragenträgerin. Genau die, die ihre Gegner in Rededuellen gerne mit dem Satz: „Ich bin deine Mutter.“ aus dem Konzept brachte, bzw. in ein Horrorszenario katapultierte. Horror trägt nicht ausschließlich Camp David Kleidung.
Besonders hatten ihm die Anzug- und Brillenträger geschmeckt. Im Gegensatz zu Kiefernadeln hatte er an den Brillen etwas zu beißen. Ein Kontrastprogramm zum bisherigen grünen Allerlei.
Rülpsend verließ er die Stadt und spazierte ein wenig umher.
Bruno verhinderte ein Sättigungsgefühl, so dass er sich wie ein Kranker auf Cortison fühlte.
Vier Schritte nach rechts und er befand sich in Ungarn. Einmal die Zunge raus und sein Magen füllte sich. Porbán und Konsorten befanden sich nicht mehr dort, wo sie sich zuvor aufhielten. Ähnlich schnell geschah es mit der braunen Spezies in Schweden, Holland, Polen, Österreich, Frankreich und Italien.

In Russland verschluckte er sich fast, als er den mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd reitenden alten Mann hinunterwürgte. In seinem Hinterteil hatten sich zwei Menschen verschlungen, die er erst vorsichtig entwirren musste. „Sahra Sagenknecht“ und „Rabio De Rasi“ las er auf ihren bräunlichen Namensschildern.

Ihm fehlte der Brillen- und Anzuggeschmack.
Unterwegs ereilte ihn eine plötzliche Dünnpfiffattacke, die als saurer Regen über ganz Polen niederging und nicht dem Klimawandel geschuldet war.
Nach einer kurzen Rast gelüstete es ihm nach einem kleinen Marsch. Was heißt Marsch? Nicht einmal 100 kleine Schritte weiter, und ein bisschen fliegen, befand er sich in einer Stadt, die auf dem Boden mit kleinen Blechteilen beinahe verstopft war. Seine weitsichtige Mutter hätte ihm vielleicht erzählen können, dass es sich um Panzer handeln würde.
Seine Augen nahmen dort einen Orange Monkey wahr, der vor vielen, vielen Menschen stand und „My lovely ICE Guys, the best Guys of he world“ brüllte, bevor seine Worte in unverständliches, lallendes Gebrabbel übergingen.
Applaus und tosendes Gebrüll aus tausenden Kehlen war das Echo.
Alle diese Menschen trugen, mit Ausnahme des Orange Monkeys, Uniformen, Springerstiefel und Helme.
Saurusfleischimusse sind Vegetarier. Daher sind Tiere, einschließlich Affen, für unseren Saurusfleischimus tabu.
Irritiert nahm er zur Kenntnis, dass es anscheinend Anzug tragende Affen gab. Der Lallende hier trug gar eine rote Mütze mit dem Aufdruck „MAGA“ dazu.
Sein Speichel begann zu fließen: Anzüge schmeckten doch so gut.
Affen waren tabu.
Affen waren tabu.
Affen waren tabu.
Beim näheren Hinsehen irritierte Saurusfleischimus etwas. Orangefarbene Spuren liefen im Nacken des Menschen herunter. Ein gefärbter Mensch, der vorgab ein Affe zu sein?Saurusfleischimus verstand den Möchtegern-Affen nicht und mochte keinen weiteren Gedanken an ihn verschwinden.
Sein Magen knurrte schon wieder.
Schnappi, schnapp. Der Orange Monkey stand nicht mehr dort, wo er stand.
Beinahe verschluckte er sich an diesem, da das merkwürdige Lallen kein Ende zu nehmen schien. Aus seinem Hals schallte es, ähnlich einem Dinosaurier auf Lachgas, heraus. Einmal kräftig geräuspert und das Geräusch des Lachgases verschwand.

Weiterhin hungrig und etwas verärgert darüber, dass sich ein Mensch beinahe überzeugend als Affe ausgegeben hatte, besah er sich die Uniformierten genauer. Seine Intuition überzeugte ihn, dass Uniformen ähnlich gut wie Anzüge schmecken würden und sicherlich Gewürze ersetzen könnten.
Bevor sich sein Bauchgefühl irren konnte, füllte er diesen. Karma richtete es.
Gierig verschlang er alle ICE- Typen, die sich aus sämtlichen Ecken des Landes heute in dieser Stadt hatten einfinden müssen. Eine plötzliche Müdigkeit überkam ihn, die ihn daran hinderte fest zuzubeißen, so dass die ICE-ler erst einmal in ganzer Pracht komplett in seinem Magen festhingen. Wie lange würden sie dort die Luft anhalten können? Vermutlich lange.
Mit prall gefülltem Bauch und etwas Kopfweh machte er sich auf den Rückweg in seine Höhle. „Wie soll ich heute noch mein Tagespensum von 10.000 Schritten erreichen?“, dachte sich Saurusfleischimus.
Angeschlagen erreichte er sein Tal. Mit Blick auf die Kiefern begann er zu verdauen und ließ erschöpft den Schiss seines Lebens los, welcher wundersamerweise einen in Beton gemeißelten „Behave Guide“ mit dem Untertitel „Nie wieder braun und nie wieder Kapitalismus“ ergab.
Völlig entkräftet ging er in die Höhle und legte sich in die hinterste Ecke. Fernab von Licht und den Menschen.

Hätte nur ein Teil der heutigen Speisen Albendazol oder Praziquantel beinhaltet, hätte der durch Bruno verursachte Gehirnschaden verhindert werden können. Saurusfleischimus hätte nach seinem nächsten Winterschlaf, ja was gemacht?

Stattdessen schlief er ein und wachte nie wieder auf.

Florian Illies: Wenn die Sonne untergeht: Familie Mann in Sanary

Klappentext:
Im glühend heißen Sommer 1933 spitzt sich die politische Lage in Europa zu – und die der Familie Mann: Thomas und Katia Mann und ihre sechs Kinder sind nach abenteuerlichen Fluchten im Juni in dem verträumten Hafenort Sanary am französischen Mittelmeer gestrandet. Und jetzt wissen sie alle weder vor noch zurück.
Ein Ort, eine Familie, drei Monate bei dreißig Grad – »Wenn die Sonne untergeht« ist eine große Familienaufstellung: Kaum im unsicheren südfranzösischen Exil angekommen, will Thomas Mann eigentlich sofort wieder zurück in seine edle Münchner Villa. Sein Bruder Heinrich hingegen genießt die Freiheit des Südens. Dazwischen die sechs Kinder von Thomas und Katia: Der eine, Michael, spielt Tag und Nacht Geige, der zweite, Klaus, gründet eine Exil-Zeitschrift, die dritte, Elisabeth, badet und genießt die Zeit ohne Schule. Erika, die älteste, führt Regie und schmuggelt den Besitz der Manns aus München über die Grenze, Golo holt das Geld von den Konten und versorgt den vergessenen Hund. Und Monika? Sie bleibt einfach am Strand von Sanary liegen.
Florian Illies erzählt von der Trauer um den Verlust der Heimat und des Besitzes, der Angst vor den Plünderungen der Nazis, von Trotz und Leidenschaft. Von Wehmut und vom Überlebenswillen, obwohl die alte Welt einzustürzen droht. Und er erzählt von der großen Zerreißprobe zwischen Klaus und Erika und ihrem Vater Thomas.
»Ich glaube«, sagte Marcel Reich-Ranicki, »dass es in Deutschland im 20. Jahrhundert keine bedeutendere, originellere und interessantere Familie gegeben hat als die Manns.« In Sanary ist diese außergewöhnliche Familie in einem absoluten Ausnahmezustand – alle werden das erste Mal gezwungen, sich zu bekennen. Zueinander. Zu Deutschland. Oder auch, so traurig es ist: Dagegen.

Ursprünglich zu einer Vortagsreihe aufgebrochen, strandete Thomas Mann mit seiner Familie in Sanary. Dem Ort, in dem sich weitere bekannte deutsche Exilanten aufhalten.
Ein kleiner Satz, der unvollständig wiedergegeben wurde, bzw. aus dem Zusammenhang gerissen wurde, führte dazu, dass der Nobelpreisträger Thomas Mann in Nazi Deutschland nicht mehr willkommen ist.
Mit der Familie verbringt er den heißen Sommer in Sanary und glaubt weiterhin an die Rückkehr in seine Münchener Villa. Oder tritt so auf, dass es möglich zu sein scheint.
Das Buch liest sich wie eine Mischung aus Sachbuch und Roman. Florian Illies beherrscht es perfekt die Geschichten und Anekdoten so lebendig zu beschreiben, als hätte er sie selbst erlebt oder hätte in der Ecke heimlich zugeschaut. In Verbindung mit seinem süffisantem, manchmal spöttischen Stil, macht es Spaß Dinge über die Familie Mann zu lesen, ohne ein Kenner dieser sein zu müssen. Die eingeflochtenen Tagebucheinträge lassen den Roman in diesen Teilen sehr authentisch wirken.

Nicht nur einzelne Handlungen (Stichwort: Golo Mann und die Diplomatenpost), sondern auch die die Familienmitglieder werden sehr detailliert beschrieben. Die Beziehungen der sechs Kinder untereinander und zu ihrem Vater, die um seine Gunst und Anerkennung buhlen, sowie Thomas Mann und Katja.

Muss man ein Kenner der Familie Mann sein, um in das Buch zu finden? Eher nicht. Durch viele zitierte Tagebucheinträge erfährt man einiges über diese Familie und ihr Konstrukt und den Patriarchen. Ein gelungenes, unterhaltsames Familienporträt mit dem die Stimmung aus 1933 gut wiedergegeben wird. Letzteres gelingt auch durch die Schilderungen der anderen deutschen Sommergäste.
Die Kapitel sind in Monate unterteilt, beginnend mit Februar und endend mit September 1933. (bis auf „Danach)
Im Kapitel „Danach“ am Ende des Romans wird beschrieben, wie es der Familie Mann und weiteren Protagonisten erging. Die Villa Lazare, Sanary und Haustiere finden auch Erwähnung.
Ein Stammbaum der Familie Mann und eine Übersicht der Sommergäste in Sanary ist ebenfalls beigefügt.
Das Buch wirkt durch den blauen Einband und das Lesezeichen in Verbindung mit dem schönen Cover hochwertig.

Christina Pertl: Wo keine Rettung naht


Klappentext:
Nur kurz hat Sarah Peters sich erholen können nach der Höllenfahrt auf dem Kreuzfahrtschiff. Am liebsten würde sie sich verkriechen und im Kommissariat nur noch Bürodienst tun. Als jedoch die Psychologin des nahegelegenen Frauengefängnisses tot aufgefunden wird, meldet sich etwas verloren Geglaubtes wieder: ihr Ermittlerdrang. Der Fall ist eigenartig, denn alle Insassinnen waren zum Tatzeitpunkt eingeschlossen – oder etwa nicht?
Widerwillig und gewohnt querköpfig folgt Sarah Peters ihrem Instinkt und lässt sich darauf ein, in der Haftanstalt zu ermitteln, nicht ahnend, dass sie sich selbst zur Zielscheibe gemacht hat. Denn nichts und niemand bleibt hinter diesen Mauern unbeobachtet.
Sarah Peters, die nach ihrem letzten Einsatz psychisch und physisch noch nicht wiederhergestellt ist, wird durch ihre Psychologin gebeten, sich mit deren Freundin Karin Westermann zu treffen. Diese Freundin ebenfalls als Psychologin tätig, in einem Vorzeigegefängnis, erzählt Sarah von merkwürdigen Vorkommnissen, Selbstmorden von Insassinnen und Drohungen.
Am Tag nach ihrem gemeinsamen Treffen wird die Gefängnispsychologin ermordet in ihrer Dienstwohnung im Gefängnis aufgefunden. Wie kann das gehen, wenn alle Insassinnen zu dem Zeitpunkt eingeschlossen in ihren Zellen waren?

Das Cover ist dem Band 1 nicht ganz unähnlich. Statt eines Bullauges auf einem Schiff, welches den Titel in gelb beinhaltet, wird hier ein „Guckloch“ einer Zelle mit Gittern im Hintergrund gezeigt. Der Titel ist in gelb in diesem aufgeführt. So lässt sich ein Zusammenhang der Serie erkennen.
Als Leserin muss ich nicht Band 1 gelesen haben, um in die Persönlichkeit und Trauma der Sarah Peters einzufinden. Regelmäßige Erwähnungen geben Hinweise, was auf dem Kreuzfahrtschiff (in Band 1) geschehen sein kann, welche zum Tod ihres Partners führten. Diese Hinweise nehmen nicht überhand und dominieren somit nicht die gegenwärtige Handlung.geschlagen übernimmt Sarah Peters die Ermittlungen, beschließt im Gefängnis zu ermitteln und die Dienstwohnung der Ermordeten zu beziehen. Auf ihre eigenwillige Art und Weise stößt sie auf Ungereimtheiten und bringt nicht nur sich in Gefahr. Drohungen erreichen auch sie und indirekt ihre Freundin, die mit Kind und Kegel bei ihr einzog.
Wem kann sie noch trauen? Wer vom Gefängnispersonal hat Dreck am Stecken?
Langsam nähert sie sich dem Motiv, der Lösung und bringt sich dabei in Lebensgefahr.
Der Thriller ist spannend, weist leider doch die eine oder andere Länge auf, so dass es für mich keiner wurde, mit dem ich mir die Nacht um die Ohren schlug.
Im Epilog gibt es Heilung für Sarah und man darf gespannt sein, mit wem sie zukünftig zusammenarbeiten wird. Gegen ihren Willen oder nicht?

Ich mag die Ermittlerin und mit diesem Band ist eine Grundlage geschaffen worden für ein interessantes Ermittlungsteam, dem ich einige spannende Fälle wünsche.

Das Geschenk

Es begab sich zu einer Zeit, als Donald noch die Amerikaner und den Rest der Welt ärgerte, da saß Herr Broickenhuis an seinem Schreibtisch und tätigte für diesen Tag seine letzte Überweisung. Er seufzte laut und nahm einen ersten Schluck aus seinem bereit gestellten Whisky. Keine sechs Monate war es her, dass seine Firma kurz vor der Insolvenz stand. Es gab zu wenig Aufträge für zu viele Firmen, die sich auf die Entsorgung von verseuchter Erde spezialisiert hatten. Mit Freude schaute er nun die Umsätze an. Die Angst, die Gehälter nicht bezahlen zu können gehörte der Vergangenheit an. Der eine Dauerauftrag, den er als das größte Geschenk für alle bezeichnete, erreichte ihn im Juni. Schuld war sein Enkel.
Wie kann ein kleiner Enkel schuldig sein? Wie kann ein kleines Wunder geschehen?

Wo soll ich beginnen? Es begab sich zu einer Zeit, dass ein kleiner Fußballverein im hohen Norden ein besonderes Duschgel auf den Markt brachte. Gedacht war es als Geschenk an die Fans. Niemand ahnte, dass es angenehme Nebenwirkungen hatte – je nachdem aus welcher Sicht man es betrachtete. Obwohl besagter Enkel, der auf den Namen Ben hörte und mit seinen fünf Jahren wirklich unschuldig war, wie es ein Lausbub` nur sein konnte, lieferte er den Anstoß für … Anstoß für was? Ben war ein großer Fan des kleinen Fußballvereins im hohen Norden und ein großer Fan seiner neuen, sehr sehr großen Wasserpistole. Eine Wasserpistole, die einem Wassergewehr ähnelte. Nur mit Wasser aus dem Wassergewehr auf den Rasen zu sprühen, war ihm zu langweilig. Viel lieber würde er den deutschen Schäferhund des Nachbarn, der immer so laut bellte und versuchte Ben durch das eine Loch im Zaun zu fassen, richtig nass machen. Oma Broickenhuis hätte etwas dagegen. Auch sie fürchtete den Schäferhund und schimpfte oft über den Nachbarn, wenn sie glaubte er würde es nicht hören.
Heimlich ging er in das Badezimmer und füllte etwas von dem Duschgel und viel Wasser in sein Wassergewehr.
Bis oben hin.
Draußen drückte er einmal am Hebel und eine kleine Schaumladung kam aus der großen Öffnung. Das machte Spaß.
Mit dem Wassergewehr ging er in den Garten. Plötzlich wurde es laut: „Sitz!“ „Platz Bruno.“ „Fass Bruno.“ Damit ließ der Nachbar, namens André, den Schäferhund los, der in Richtung Zaun sprintete und versuchte sein Maul durch das Loch zu bekommen. Er hatte Appetit auf den kleinen Ben. Ben fiel vor Schreck auf den Boden, sah das sabbernde Maul, die Springerstiefel vom Nachbarn, schrie nach Oma Broickenhuis und drückte auf den Hebel seines Wassergewehrs. Spritzte Bruno nass, spritzte Björn und seine Springerstiefel nass, nachdem Bruno zurück Richtung Haus ging. Immer und immer wieder zielte er auf André, der komischerweise nicht von der Stelle wich. „Oma, Oma.“ schrie er aus Leibeskräften. „Der Köter will mich fressen.“
Als Oma Broickenhuis zum Zaun ging, staunte sie nicht schlecht. Die Springerstiefel waren ausgezogen, auch die Uniform die André gerne im Garten trug. Nackt, wie Gott ihn schuf stand er da und aus all´ seinen Körperöffnungen und – poren kam braunes Wasser. Der Köter kam zurück und sah nicht weniger braun aus. Braune Brühe tropfte aus seinem Fell. André schaute an sich herunter, griente Oma Broickenhuis an, hob die Hand zum Gruß und wünschte Oma einen schönen Tag, bevor er die Stiefel und Uniform in der Mülltonne entsorgte und ins Haus ging.
Oma nahm Ben mit in ihr Haus, rief Opa an, der sofort kam und sprach hinter geschlossenen Türen mit Opa. Zuvor kochte sie Ben eine heiße Schokolade und wollte wissen, mit was genau er sein Wassergewehr gefüllt hatte.

Die nächsten Tage waren anders. Oma, die Mitglied bei den strickenden Omas war, bekam viel Besuch. Ben wollte an der Tür lauschen, doch wurde er in den Garten geschickt. Einmal nahm sie ihn und Oma Berta von den strickenden Omas mit in eine andere Ecke der Stadt. Er sollte heimlich, also aus Versehen, einen Mann mit Kurzhaarschnitt und Springerstiefeln bekleidet, von oben bis unten mit seinem Wassergewehr nass spritzen. Ben machte es Spaß und er verstand nicht, warum Oma meinte, nun müsse man sich noch um die braune Pfütze kümmern.
Opa Broickenhuis sah er nachts in Nachbars Garten Erde abtragen, neue aufschütten und zufrieden grinsend ins Bett gehen.

Der Nachbar trug nun gerne Latzhosen, ließ seine Haare wachsen und schickte Bruno nie wieder ohne Maulkorb auf die Straße.

Oma bekam weiterhin viel Besuch. Nicht nur von den strickenden Omas, sondern auch von jungen Frauen, Männern und Kindern. Jeder und jede, die das Haus verließ bekam ein großes Wassergewehr geschenkt.
Ben verstand mit seinen fünf Jahren nicht, was um ihn geschah. Einmal schaffte er es doch zu lauschen: „Die setzen Fake News in die Welt, wir werden jetzt eine Fake Veranstaltung in die Welt setzen.“
Fäääik? Was kann das nur sein, dachte der kleine Ben.
Während der kleine Fußballverein im hohen Norden ein sehr wichtiges Spiel gewann, ging der kleine Ben mit Oma und Opa Broickenhuis zu einer Schaumparty, wie die Oma es nannte. Sie packten ihre Wassergewehre ein und fuhren zu einem Fußballstadion. Der kleine Ben verstand noch nicht, dass es kein Fußballspiel geben würde. Stattdessen standen sie auf der Rasenfläche in einem nicht so großen Stadion. In der Mitte war eine Bühne aufgebaut, über der ein riesiges Banner „Angie muss weg“ hing. Auf der Bühne stand niemand. Das Stadion war gefüllt mit Menschen, die laut sprachen, nicht mehr ganz nüchtern waren, Deutschlandfahnen, und Deutschlandmützen trugen. Es hörte sich komisch an und sah nicht weniger komisch aus. Besonders die Männer, die ihren Arm so merkwürdig streckten, sahen doof aus. Ob sie in der Nase bohren wollten, es sich nicht trauten und es damit verhindern wollten? Das geht einfacher dachte Benno. Benno drehte sich um und sah viele Menschen, die nicht komisch aussahen. Er sah die strickenden Omi und die Menschen, die in den letzten Wochen zu Besuch kamen und viele mehr. Alle trugen ein großes, gefülltes Wassergewehr unter dem Arm. Ihre Füße steckten in Gummistiefeln. Als sich ein alter Mann auf die Bühne stellte und brüllte: „Mutti muss weg. Angie muss weg. AKK muss weg.“, kam Bewegung in die Menge, die sich verteilte.

Strickende Omis
Männer mit Bierbäuchen
Männer mit doppelt Bierbäuchen
Junge, alte Menschen
Frauen in Latzhosen und Babytragetuch
Kinder
Männer mit Waschbrettbauch
Männer und Frauen mit Migrationshintergrund
Männer und Frauen ohne Migrationshintergrund

sie alle legten auf ein lautes Signal ihre Wassergewehre an und spritzen jede, jeder einen brüllenden Menschen an, bis das das Gewehr leer geschossen, also gespritzt war. Der alte Mann auf der Bühne wurde sicherheitshalber zweimal bespritzt.
Die braune Brühe fand auch hier ihren Weg aus den Körpern des braunen Packs und die Strickenden Omis; Männer mit Bierbäuchen; Männer mit doppelt Bierbäuchen; junge, alte Menschen; Frauen in Latzhosen und Babytragetuch; Kinder; Männer mit Waschbrettbauch; Männer und Frauen mit Migrationshintergrund; Männer und Frauen ohne Migrationshintergrund standen mit ihren Gummistiefeln fast kniehoch in der braunen Brühe. Die meisten von ihnen verließen wie verabredet das Stadion, während einige wenige den Erfolg ihrer Spritzaktion beobachteten. Es war wie immer: Grüßend verließen die zuvor dummes Zeug brüllenden Menschen das Stadion.Oma und Opa Broickenhuis lagen daheim schlafend im Bett als das Telefon klingelte: „Hier A.M.. Der Rasen im Stadion ist verseucht. Sorgen Sie dafür, dass der Boden gründlich abgetragen wird, neu eingesät und die Brühe fachgerecht entsorgt wird. Die Auftragsbestätigung für dieses Stadion und über zukünftige Entsorgungsarbeiten wurde in ihr Büro gefaxt.“

Opa Broickenhuis lagerte weiterhin in einer Halle seiner Firma einen Großposten an Wassergewehren und erklärte jedem Nutzer eindringlich, dass die richtige Wassermischung für eine Schaumparty aus einem Verhältnis 1/10 Duschgel des kleinen Fußballvereins im hohen Norden und 9/10 Leitungswasser besteht, um wirklich die ganze braune Brühe aus einem Körper zu bekommen.

Oma Broickenhuis organisierte weiter Fake Veranstaltungen, von denen der kleine Ben nie verstand, was sie bedeuteten. Er freute sich, wenn Oma sagte: „Gummistiefel an und Wassergewehr raus. Marsch, wir gehen auf eine Schaumparty.“ Das machte ihm Spaß und er spritzte immer nur einen Fußballfan im Stadion nass, wie Oma und Opa es ihm eingeimpft hatten.
So kam es, dass Opa Broickenhuis viel mehr Mitarbeiter einstellen musste, da immer mehr Stadien und andere Flächen gereinigt und ihre Oberflächen abgetragen werden mussten. Aus der ersten Schaumparty im Juni entstand eine große Bewegung, die in Europa aktiv ist. Erst gestern lieferte Opa Broickenhuis einen Container Wassergewehre und Duschgel nach Italien. Am Montag einen Container nach Ungarn.

Nur hier, hier in Deutschland werden immer weniger Wassergewehre benötigt. „Das ist gut so“, erklärt er seinem Enkel Ben. „Wenn Du nicht gewesen wärst, würde ich nicht so viel braune Brühe entsorgen können.“
Wie immer antwortet Ben: „Und wenn der kleine Fußballverein im hohen Norden nicht gewesen wäre“.
Sooft er seinen Opa nach der Entsorgung und Verbleib der braunen Brühe fragte, tätschelet ihm Opa Broickenhuis den Kopf, schauet ihm in die Augen – und schwieg.

Foto: pixabay.com

Nachtrag: Diese Geschichte wurde bereits im Dezember 2018 erstmalig veröffentlicht. Leider ist sie immer noch aktuell.

Erklärungen zu den „subtil“ verwendeten Anspielungen:
Donald: Donald Trump
Kleiner Fußballverein im hohen Norden:
FC St. Pauli aus Hamburg, der sich gegen Rassismus und gegen Rechts einsetzt. Er brachte kürzlich ein „Anti Fa“ Duschgel für den starken Mann auf der Straße und Creme auf den Markt. Über den Fanshop und einer Drogeriemarktkette zu beziehen. Inzwischen ist es ausverkauft. Die Einnahmen gehen an den Verein „Laut gegen Nazis“. Die AfD lief Sturm gegen die Produkte.
Oma und Opa Broickenhuis:
Einfach so, hört sich nett an
Ben:
Laut google ein typischer Vorname aus dem Norden. Fietje sagte mir nicht so zu
André:
André Poggenburg, ehemaliges Mitglied der AfD. Fraktionsloses Mitglied im sächsischen Landtag. Trat im Januar 2019 aus der AfD aus und gründete die Partei Aufbruch deutscher Patrioten. Beim politischen Aschermittwoch im Jahr 2018 hielt er eine Hetzrede, die ihm etliche Anzeigen wegen Volksverhetzung einbrachten. Auch ich stellte mit gut 100 anderen eine Strafanzeige. Leider stellte die Staatsanwaltschaft Dresden das Verfahren ein. Das Schreiben mit der Begründung liegt auf meinem Gäste WC. Wer es lesen möchte ist herzlichst eingeladen.
Bruno der Schäferhund:
Der heißt einfach so.
Alter Mann auf der Bühne = Alexander Gauland. Ehrenvorsitzender der AfD
Strickende Omas = Omas gegen rechts
A.M.: Angela Merkel
Whisky ohne e: Um Verwirrung zu stiften
Bewegung im Juni: Seebrücke

Robert Seethaler: Ein ganzes Leben

Klappentext:
Als Andreas Egger in das Tal kommt, in dem er sein Leben verbringen wird, ist er vier Jahre alt, ungefähr – so genau weiß das keiner. Er wächst zu einem gestandenen Hilfsknecht heran und schließt sich als junger Mann einem Arbeitstrupp an, der eine der ersten Bergbahnen baut und mit der Elektrizität auch das Licht und den Lärm in das Tal bringt. Dann kommt der Tag, an dem Egger zum ersten Mal vor Marie steht, der Liebe seines Lebens, die er jedoch wieder verlieren wird. Erst viele Jahre später, als Egger seinen letzten Weg antritt, ist sie noch einmal bei ihm. Und er, über den die Zeit längst hinweggegangen ist, blickt mit Staunen auf die Jahre, die hinter ihm liegen. Eine einfache und tief bewegende Geschichte.
Nachdem ich das Buch über die Jahre immer mal wieder gelesen habe, war es an der Zeit meine Eindrücke neu schriftlich festzuhalten. Die Faszination des Buches hat über die Zeit nicht nachgelassen.

Direkt von der ersten Seite an war ich von der Geschichte und dem Buch gefangen. Es beginnt mit einer recht harten Episode, in der erzählt wird, wie Andreas Egger den kranken Ziegenhirten Hörnerhannes ins Tal trägt, dieser ihm von der Trage hüpft, in den Schnee rennt, um dem Tod von der Schippe zu springen und nicht mehr gesehen wird.
Mit dem nächsten Kapitel wird die Lebensgeschichte des Außenseiters Andreas Eggeres chronologisch erzählt, der nach dem Tod seiner Mutter als kleiner Junge auf den Hof seines Onkels in ein Bergdorf gebracht wird.
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Trude Teige: Wir sehen uns wieder am Meer

Klappentext:
Und dann werden wir tanzen: Drei mutige Frauen, die durch unverbrüchliche Freundschaft überleben
2024: Juni Bjerke erhält einen Anruf. Erst jetzt erfährt sie vom Schicksal der geliebten Freundinnen ihrer Großmutter Tekla. 
1944: Norwegen ist von den Deutschen besetzt. Die junge Krankenschwester Birgit begegnet der 16-jährigen Nadia, die aus der Ukraine zur Zwangsarbeit in der Fischfabrik verschleppt wurde. Als Birgit sich dem Widerstand anschließt und Nadia einen Kollaborateur trifft, geraten sie in höchste Gefahr. Ihre Geheimnisse teilen sie nur mit dem ‚Deutschenmädchen‘ Tekla. Weit über den Krieg hinaus müssen die Freundinnen Entscheidungen fällen, die noch das Leben ihrer Kinder und Enkel prägen werden.
Was uns bis heute prägt: Von Menschlichkeit in schweren Zeiten und dem Aufbau einer neuen Zukunft – der große neue Roman der norwegischen Erfolgsautorin.
„Erzählen ist wichtig. Um selbst leben zu können, müssen wir wissen, was unsere Familien erlebt haben. Die Kriegserlebnisse von Frauen sind dabei genauso dramatisch wie die der Männer. Die Historiker haben die Frauen im Stich gelassen. Was ich suche, ist das, was verschwiegen wurde.“ Trude Teige
Eine junge Widerstandskämpferin, eine Zwangsarbeiterin und ein »Deutschenmädchen« werden zu Schicksalsfreundinnen.
 

In „Wir sehen uns wieder am Meer“ gibt es ein kurzes Wiedersehen mit Tekla, deren Geschichte in „Als Großmutter im Regen tanzte“ erzählt wurde. (Sehr empfehlenswert)
Dieses Mal wird auf 400 Seiten die Geschichte ihrer Freundin Birgit, beginnend im Jahr 1944, erzählt. Birgit arbeitet im besetzten Norwegen als Krankenschwester. Hier lernt sie die 16-jährige Zwangsarbeiterin Nadja aus der Ukraine kennen und ist entsetzt über die Zustände im Lager, die von Hunger, Krankheit und vielen Kindern geprägt sind. Diese wiederum trifft sich später mit dem Wächter Walter und wird schwanger.
Im Laufe der Handlung freunden sich die beiden an, Birgit schließt sich dem Widerstand an und verliebt sich in einen russischen Kriegsgefangenen Sascha, der mehr tot als lebendig aus dem Kriegslager flüchtete und auf dem Dachboden des Krankenhauses gepflegt wird. Von dort wird er später nach Schweden fliehen.
Anhand dieser Hauptfiguren wird die Geschichte der Besetzung Norwegens und der Zeit danach erzählt. Die Geschichte der sowjetischen ZwangsarbeiterInnen und der Kriegsgefangenen, die im hohen Verhältnis zur Einwohnerzahl Norwegens standen.
Birgits Geschichte endet nicht mit dem Ende des zweiten Weltkriegs. Auch danach wird sie als Dolmetscherin eingesetzt.
In den letzten Kriegstagen noch von den Deutschen gefoltert, erleidet sie in lebenslanges Trauma.
Sie nimmt einen Job als Spionin in Moskau an, in der Hoffnung ihre Liebe Sascha wiederzufinden. Als Sekretärin arbeitet sie in der Botschaft. Später geht es wieder zurück nach Norwegen, wo sie Spionagevorwürfen ausgesetzt wird. Der Kontakt zu Nadja und ihrem Kind bleibt über die Jahre bestehen.
Ob Sascha und Birgit zusammenfinden können verrate ich nicht, da damit zu viel verraten werden könnte.

„Wir sehen uns wieder am Meer“ ist Band 3 der Großmutter Trilogie und kann als Buch für sich gelesen werden. Unbewusst habe ich es immer wieder „Als Großmutter im Regen tanzte“ verglichen, so sehr ich es auch versuchte zu vermeiden.
Die historischen Begebenheiten sind gut beschrieben und wieder habe ich etwas dazugelernt. Doch leider kam mir Birgit als Charakter nicht nahe. Trotz allem, was ihr widerfahren ist, berührte sie mich nicht. Das fand ich schade. Lag es daran, dass ich häufig da Gefühl hatte eine Geschichte vor mir zu haben, die „herunter erzählt wird“?
Zum Schluss gibt es ein Wiedersehen mit Thekla, Nadja und Birgit in Theklas Haus. Somit findet Thekla noch Eingang ins Buch. Ihre Erwähnungen zuvor waren überschaubar.

Wer sich mit der Geschichte des besetzten Norwegens, der dortigen sowjetischen Kriegsgefangenen und den Zwangsarbeiten auseinandersetzen möchte, kommt hier auf seine Kosten. Wer eine interessante berufliche Laufbahn einer norwegischen Krankenschwester mit russischen Sprachkenntnissen lesen möchte, wird ebenfalls auf seine Kosten kommen. Mir reichte es irgendwie leider nicht, so dass ich nur 3 Sterne von 5 Sternen vergebe.

Yuko Kuhn: Onigiri

Klappentext:
Eine deutsch-japanische Familiengeschichte, wie man sie noch nicht gelesen hat. »Zum Heulen schön.« (Doris Dörrie)
Als Aki erfährt, dass ihre Großmutter gestorben ist, bucht sie zwei Flüge. Ein letztes Mal will sie ihre Mutter zu ihrer Familie in Japan bringen, auch wenn sie weiß, wie riskant es ist, einen dementen Menschen aus der gewohnten Umgebung zu reißen. Und wirklich hat sie Keiko noch nie so verloren erlebt wie in der ersten Nacht im Hotel. Doch dann sitzen sie beim Essen im alten Elternhaus, und plötzlich spricht sie, die so still geworden ist, fröhlich und klar für sich selbst. Erst auf dieser Reise erkennt Aki in ihrer Mutter die mutige und lebenshungrige Frau, die sie einmal war, bevor sich in Deutschland diese große, für Aki so bedrohliche Müdigkeit über sie legte. Mit sanfter Klarheit lässt Yuko Kuhn die faszinierende Geschichte einer deutsch-japanischen Familie entstehen, die zwischen den Kulturen verloren geht und sich neu findet.

Den Klappentext interpretierte ich, dass die letzte Reise nach Japan einer Tochter mit ihrer dementen Mutter im Mittelpunkt steht. Dem ist nicht so. In diesem Roman geht es um Migration und die Geschichte einer deutsch-japanischen Familie, sowie eine Mutter-Tochter Geschichte über mehrere Generationen.

Die Tochter Aki fliegt nach dem Tod der Großmutter mit ihrer Mutter Keiko nach Japan. Es ist klar, dass dies für die demente Mutter die letzte Reise nach Japan sein wird. Statt im Hotel übernachten sie im Haus des Onkels. Hier findet Aki viele Briefe, die ihre Mutter über einige Jahrzehnte an ihre eigene Mutter schrieb. Dabei wird ihr bewusst, dass Keikos Leben nicht immer aus der lähmenden Müdigkeit bestand, sondern sich eine mutige Frau in den 70er Jahren nach Deutschland aufmachte. Die Kraft hierzu bekam sie auch von ihrer eigenen Mutter.
Diese Beschreibung ist ein Teil der Erzählung über ihre Mutter und die Familie, die aus ihrem Bruder Kento und ihrem psychisch kranken Vater aus reichem Hause besteht, der sich nie vor die eigene Ehefrau gestellt hat, die in den Augen seiner Mutter nur ungenügend für den Sohn und die reiche Familie war. Der Vater verlässt nach einem Suizidversuch die Familie, so dass Keiko ihre Kinder Aki und Kento alleine aufzieht, die aber auch in die Welt der reichen Großeltern eintauchen.

Die deutsche und japanische Kultur wird gut beschrieben und als nicht mit der japanischen Kultur Vertraute konnte ich einiges lernen.

In vielen kurzen Kapiteln und ebenfalls häufig kurzen Sätzen wird diese Geschichte erzählt, die sich über verschiedene Erzählebenen und viele kleine Erinnerungen erstreckt. Häufig ist nicht sofort ersichtlich, auf welcher Zeitebene gerade erzählt wird.

Zu Beginn des Buches dachte ich, „welches Kleinod“, „die Seiten muss ich mir einteilen“. (Das Buch umfasst nur 208 Seiten)
Dieses Gefühl ließ recht schnell nach. Die Aneinanderreihung von erzählten Momenten las sich für mich teilweise wie Auszüge aus einem Schulaufsatz. Auf mich wirkte es so, als hätte sich Yuko Kuhn in Kaffeepausen daran gesetzt etwas über ihre Familie zu erzählen. Im Grunde genommen hätte ich nach jedem Kapitel stoppen können und irgendwann weiterlesen können. Da die zeitliche Einordnung oft fehlte, wäre dies nicht schwierig gewesen. Die Familiengeschichte ist interessant und Demenz wird einem näher gebracht. Doch mit dem Stilmittel der kurzen Sätze, der kurzen Kapitel, der distanzierten Erzählweise und den Erinnerungssplittern kam ich immer schlechter zurecht.

 

Benjamin Cors: Aschesommer (Gruppe 4 ermittelt, Band 2)

Klappentext:
Eine geheimnisvolle Botschaft
Ein grausamer Fund
Ein tödliches Rätsel
In der brütenden Hochsommerhitze markiert der Fund zweier Leichen in einem Kühlhaus den Beginn einer beispiellosen Mordserie. Jakob Krogh und Mila Weiss ahnen schon in den ersten Stunden, dass sie es mit einem äußerst intelligenten und penibel planenden Täter zu tun haben müssen.
Der zweite Fall für ein außergewöhnliches Ermittlerteam – das neue Thrillerhighlight von Bestsellerautor Benjamin Cors
Gemeinsam mit ihrem Team – der Sonderermittlungsgruppe 4 – müssen sie all ihre Kräfte aufbieten, um das Sterben zu stoppen. Doch die Tatsache, dass der Hauptverdächtige in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt sitzt, macht die Jagd auf den gnadenlosen Mörder nicht einfacher …»Ein mörderischer Sommer steht uns bevor, wir folgen der Spur der Asche und hoffen, dass das Böse nicht gewinnt …« Benjamin Cors

»Der Autor versteht einfach sein Handwerk. Sein Schreibstil ist exzellent. (…) Wer harte Lektüre mag, sollte Cors‘ Thriller unbedingt lesen. Er wird es nicht bereuen.« Hannoversche Allgemeine Zeitung über ›Krähentage‹  

Das Team der Gruppe 4 um Mila Weiss und Jakob Krogh hat sich gerade von den „Krähentagen“ erholt, als sie mit dem nächsten Fall betraut werden. Durch eine Todesanzeige werden sie auf einen einsamen Bauernhof gelockt und finden dort zwei in einer Kühlkammer erfrorene Leichen.
Der Auftakt zu einer Mordserie, die im heißen Sommer spielt.
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Kolumne: Schiebt mir doch Kühlplatten unter den Hintern

Als Verstorbene möchte ich nicht verwaltet werden.

Da mein Wunsch bei einem Spaziergang im Wald tot umzufallen und von Wildschweinen gefressen zu werden, eher nicht in Erfüllung gehen wird (es wäre schön ohne physische Spuren zu verschwinden, eine Trauerparty kann dennoch ausgerichtet werden) lässt mich der Gedanke an Kühlplatten nicht los.
Nachdem ich in der vergangenen Woche ein großes, fressendes afrikanisches Schwein sah, allerdings der Gedanke, dass ich zur Nahrungsaufnahme diene, ebenfalls nicht.

Nein, es geht nicht um einen Sonnenbrand am Allerwertesten, sondern um meinen Verwesungsprozess, der irgendwann starten wird.
Wem ist bekannt, dass man noch 36 Stunden daheim, oder an anderer Stelle, aufgebahrt werden kann? Welcher Bestattungsunternehmer teilt dies mit und transportiert mich an den Ort meiner Wahl?
Die Kühlplatten würden dazu dienen, den oben genannten Verwesungsprozess aufzuhalten.

Mir gefällt die Idee.

Denke ich an Kühlmatten, denke ich an Kühlakkus für Kühlboxen.
Denke ich an Kühlakkus, denke ich an Eiswürfel.
Denke ich an Eiswürfel, erinnere ich mich an alkoholfreie und alkoholhaltige Getränke. An Durst im Sommer, an Durst in Gesellschaft. An Cocktailhaltige Abende mit Freunden und Bekannten. An Tequilla -Wetttrinken Nächte. An Wodkahaltige Momente, die Stunden entsprachen.

Mir gefällt die Idee.

Irgendwo rumzugammeln, im Lieblingsoutfit oder in etwas schrillem.
Gar mit Federboa?
Meinen Lieblingsmenschen die Möglichkeit zu geben „Tschüss“ zu sagen. Mir ins Gesicht zu sagen, was sie bisher nicht zu sagen oder zu brüllen trauten, Zwiegespräch zu führen oder was immer sie machen wollten.
Mir auf den letzten Drücker etwas vorzulesen?
Musik hören, lachen, weinen – wonach ihnen der Sinn steht.
Eine gute Voraussetzung für die spätere Trauerparty?

Passen selbstgestrickte Socken zu einem Outfit mit Federboa? Die Kühlplatten unter´m Hintern könnten eventuell die Füße auskühlen?

Eric Wrede: The End – Das Buch vom Tod

Klappentext:
Der Tod. Er erwischt uns irgendwann alle. Aber wer weiß, wie das geht? Sterben, beerdigen und trauern. Erklärt hat es uns niemand. Im schlimmsten Fall treten die Kirche und die Bestattungsbranche als Gralshüter einer „Kultur“ auf, die vor allem ihnen selbst nützt. Eric Wrede war Musikmanager und wurde Bestatter. Er will etwas ändern an der gängigen Trauerkultur. Er begleitet Menschen auf ihrem letzten Weg frei von Konventionen. In seinem Buch zeigt er anhand vieler Beispiele aus der Praxis, wie die Alternative aussehen kann.
»Wenn man einen Tag mit Eric Wrede verbringt (…), verliert der Tod einiges an Schrecken.« ― Johanna Adorján, Süddeutsche Zeitung

Nach dem Lesen des Buches kann ich mich der Stimme der Kritikerin anschließen, dennoch verliert der Tod nicht alles an Schrecken. Insbesondere, wenn er im Krankenhaus erfolgt. Einiges ahnte ich, einige Details wurden gut beschrieben.
Dank dem Autor ist mir nun bekannt, dass eine Aufbahrung und Abschied zu Hause noch möglich sind.

Sterben, beerdigen und trauern sind die Themen des Buches, denen in verschiedenen Kapiteln nachgegangen wird. Dies geschieht in einem erfrischendem Erzählstil, der dazu ermutigt sich bereits früh mit den Themen auseinanderzusetzen. Weiterlesen