Eine alternative Weihnachtsgeschichte: Eine besondere Gabe
Ein lautes „Muah, muah“ ertönte und schon war der knapp 64 Millionen Jahre dauernde Winterschlaf des Saurusfleischimus am 24. Dezember beendet.
Seine blaugrünen Äuglein öffneten sich langsam. Verwundert rieb er sich den letzten Schlaf mit einem Flügel aus den Augen, schaute sich kurz um und stolzierte langsam Richtung Höhlenausgang.
Der Blick über das darunter liegendes Tal zeigte ihm viel stacheliges grün. Waren das Kiefern? Eine seiner Lieblingsspeisen. Leider sah er zwischen dem ganzen Grünzeug nicht einen Genossen. Wo waren sie? Hatte er, wie häufig, zu laut geschnarcht und sie gingen auswärts auf Futtersuche?
Mit einem kleinen Schritt sprang er herunter, nichtsahnend, dass prompt in Oberstdorf ein kleines Erdbeben mit 2,9 Magnitude auf der Richterskala gemessen wurde.
Nach knapp 64 Millionen Jahren ohne Sonnenlicht schimmerte seine Haut pergamentfarben und war im leichten Nebel kaum noch auszumachen.
Sein Magen knurrte erbärmlich. Er ahnte nicht, dass ihn dieses Gefühl bis zum Lebensende begleiten würde. Auch Bruno, ein Taenie Solium, erwachte aus seinem langen Winterschlaf und setzte die unheilvolle Symbiose mit Saurusfleischimus fort.Er probierte ein paar Kiefern, die er vor seinem Winterschlaf immer zum Frühstück aß. „Nie mit leerem Magen die Welt erkunden“, predigte seine Mutter.Da er sich um seine empfindliche Darmwand sorgte, die durch Nadeln verletzt werden könnte, unterbrach er seine Mahlzeit.
Noch ahnte er nicht, dass Bruno diese bereits vor vielen Jahren durchlöchert hatte.
Mit wenigen Schritten erreichte er eine ihm unbekannte große Stadt und fand sich vor einem Gebäude mit einer hohen, gläsernen Kuppel wieder. Einmal die Zunge heraustrecken und er könnte sie Ruckzuck einspeicheln.
Dass die Menschen für diese Strecke einen Tag benötigen würden, wenn sie sich auf eine teure Servicegesellschaft namens Deutsche Bundesbahn verließen und in die für den Dinosaurier winzigen, blechernen Dinger einsteigen würden, war ihm nicht bekannt.
Der Saurusfleischimus hingegen konnte in dieser Zeit etliche Kontinente erkunden.
Die kleinen Tiere sah er zum ersten Mal. Sie erinnerten ihn an stehende, angemalte Würmer mit Stecknadeln als Kopf, deren Bezeichnung Mensch ihm ebenfalls nicht geläufig war.
Er näherte sich der Kuppel mit einem Tippelschritt, vor der eine komplette Fraktion für neue Fotos posierte und auf den Fotografen wartete. Mit Namensschildern waren sie, im Gegensatz zu den Menschen rechts von ihnen, nicht ausgestattet. „Sahn“, „Perz“, „Kotzbrindt“, „Krötschmer“, „Ich bin keine Weinkönigin -Löckner“ und „Lobby_Leiche“ konnte Saurusfleischimus dort lesen. Anscheinend hatte seine sehr gute Sehkraft im Winterschlaf nicht gelitten.
Sein Magen knurrte.
Sein Maul öffnete sich.
Der Platz war nun leer.
Den Abschluss dieser Vorspeise bildete die aus der Besenkammer herauseilende, in den Aufzug springende, auf die Besucherterrasse rennende, bebrillte Rollkragenträgerin. Genau die, die ihre Gegner in Rededuellen gerne mit dem Satz: „Ich bin deine Mutter.“ aus dem Konzept brachte, bzw. in ein Horrorszenario katapultierte. Horror trägt nicht ausschließlich Camp David Kleidung.
Besonders hatten ihm die Anzug- und Brillenträger geschmeckt. Im Gegensatz zu Kiefernadeln hatte er an den Brillen etwas zu beißen. Ein Kontrastprogramm zum bisherigen grünen Allerlei.
Rülpsend verließ er die Stadt und spazierte ein wenig umher.
Bruno verhinderte ein Sättigungsgefühl, so dass er sich wie ein Kranker auf Cortison fühlte.
Vier Schritte nach rechts und er befand sich in Ungarn. Einmal die Zunge raus und sein Magen füllte sich. Porbán und Konsorten befanden sich nicht mehr dort, wo sie sich zuvor aufhielten. Ähnlich schnell geschah es mit der braunen Spezies in Schweden, Holland, Polen, Österreich, Frankreich und Italien.
In Russland verschluckte er sich fast, als er den mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd reitenden alten Mann hinunterwürgte. In seinem Hinterteil hatten sich zwei Menschen verschlungen, die er erst vorsichtig entwirren musste. „Sahra Sagenknecht“ und „Rabio De Rasi“ las er auf ihren bräunlichen Namensschildern.
Ihm fehlte der Brillen- und Anzuggeschmack.
Unterwegs ereilte ihn eine plötzliche Dünnpfiffattacke, die als saurer Regen über ganz Polen niederging und nicht dem Klimawandel geschuldet war.
Nach einer kurzen Rast gelüstete es ihm nach einem kleinen Marsch. Was heißt Marsch? Nicht einmal 100 kleine Schritte weiter, und ein bisschen fliegen, befand er sich in einer Stadt, die auf dem Boden mit kleinen Blechteilen beinahe verstopft war. Seine weitsichtige Mutter hätte ihm vielleicht erzählen können, dass es sich um Panzer handeln würde.
Seine Augen nahmen dort einen Orange Monkey wahr, der vor vielen, vielen Menschen stand und „My lovely ICE Guys, the best Guys of he world“ brüllte, bevor seine Worte in unverständliches, lallendes Gebrabbel übergingen.
Applaus und tosendes Gebrüll aus tausenden Kehlen war das Echo.
Alle diese Menschen trugen, mit Ausnahme des Orange Monkeys, Uniformen, Springerstiefel und Helme.
Saurusfleischimusse sind Vegetarier. Daher sind Tiere, einschließlich Affen, für unseren Saurusfleischimus tabu.
Irritiert nahm er zur Kenntnis, dass es anscheinend Anzug tragende Affen gab. Der Lallende hier trug gar eine rote Mütze mit dem Aufdruck „MAGA“ dazu.
Sein Speichel begann zu fließen: Anzüge schmeckten doch so gut.
Affen waren tabu.
Affen waren tabu.
Affen waren tabu.
Beim näheren Hinsehen irritierte Saurusfleischimus etwas. Orangefarbene Spuren liefen im Nacken des Menschen herunter. Ein gefärbter Mensch, der vorgab ein Affe zu sein?Saurusfleischimus verstand den Möchtegern-Affen nicht und mochte keinen weiteren Gedanken an ihn verschwinden.
Sein Magen knurrte schon wieder.
Schnappi, schnapp. Der Orange Monkey stand nicht mehr dort, wo er stand.
Beinahe verschluckte er sich an diesem, da das merkwürdige Lallen kein Ende zu nehmen schien. Aus seinem Hals schallte es, ähnlich einem Dinosaurier auf Lachgas, heraus. Einmal kräftig geräuspert und das Geräusch des Lachgases verschwand.
Weiterhin hungrig und etwas verärgert darüber, dass sich ein Mensch beinahe überzeugend als Affe ausgegeben hatte, besah er sich die Uniformierten genauer. Seine Intuition überzeugte ihn, dass Uniformen ähnlich gut wie Anzüge schmecken würden und sicherlich Gewürze ersetzen könnten.
Bevor sich sein Bauchgefühl irren konnte, füllte er diesen. Karma richtete es.
Gierig verschlang er alle ICE- Typen, die sich aus sämtlichen Ecken des Landes heute in dieser Stadt hatten einfinden müssen. Eine plötzliche Müdigkeit überkam ihn, die ihn daran hinderte fest zuzubeißen, so dass die ICE-ler erst einmal in ganzer Pracht komplett in seinem Magen festhingen. Wie lange würden sie dort die Luft anhalten können? Vermutlich lange.
Mit prall gefülltem Bauch und etwas Kopfweh machte er sich auf den Rückweg in seine Höhle. „Wie soll ich heute noch mein Tagespensum von 10.000 Schritten erreichen?“, dachte sich Saurusfleischimus.
Angeschlagen erreichte er sein Tal. Mit Blick auf die Kiefern begann er zu verdauen und ließ erschöpft den Schiss seines Lebens los, welcher wundersamerweise einen in Beton gemeißelten „Behave Guide“ mit dem Untertitel „Nie wieder braun und nie wieder Kapitalismus“ ergab.
Völlig entkräftet ging er in die Höhle und legte sich in die hinterste Ecke. Fernab von Licht und den Menschen.
Hätte nur ein Teil der heutigen Speisen Albendazol oder Praziquantel beinhaltet, hätte der durch Bruno verursachte Gehirnschaden verhindert werden können. Saurusfleischimus hätte nach seinem nächsten Winterschlaf, ja was gemacht?
Stattdessen schlief er ein und wachte nie wieder auf.












