„Read what I see:“ Eine Bootsfahrt, die ist …..

Das Geräusch von kratzender Kreide auf einer Tafel ist eines der gemeinsten Geräusche, die ich kenne. Es gibt ein Geräusch, welches nicht gemein ist, mich aber unendlich nervt: Das Gekreische von Metallstühlen, welche auf Bootdecks hin und her geschoben werden. Ratsch, ratsch. Auf Decks von Ausflugsbooten. Es sind diese Art von Stühlen, die auf der Sitzfläche drei Verstrebungen und an der Rücklehne zwei Verstrebungen haben. Alternativ fünf kleine auf der Sitzfläche und drei auf der Rückenfläche. Könnten meine Ohren sprechen, so würden sie laut brüllen. „Hebt die Stühle an und schiebt sie nicht einfach hin und her!“ Doch wie könnte es man den bequemen Ausflüglern erklären? Da wäre das verhaltensauffällige Kind mit den bildungsfernen Eltern. Die würden es doch gar nicht verstehen. Oder verstehen wollen. Die zittrige, kleine Oma, die mit ihrer nicht weniger zittrigen männlichen Begleitung alle zwei, drei Minuten mit unsicheren, sehr kleinen, Schritten zur Reling geht, auf den Horizont schaut, um dann wieder langsam zu ihren Tisch zu gehen und mindestens eine Minute ihren Stuhl in Position schiebt, sich dann so hinein plumpsen lässt, dass sie mit ihm weg rutscht und ihn erneut zu schieben beginnt. Ratsch, ratsch. Sie verfügt wirklich über eine kleine Statur, trägt eine weiße lange Hose, darüber ein rosafarbenes Rüschentop. Von hinten sieht man ihre fleischfarbene Miederhose aus dem Hosenbund herausragen. Jemand sollte sie darauf aufmerksam machen.
Ratsch, ratsch, ratsch, ratsch. Die Stühle werden erneut geschubst, geschoben und sich ein Plätzchen eingerichtet. Je nachdem wie schwer die Gäste sind knattern dies Stühle zusätzlich kräftig.
Ein Pärchen setzt sich hin und ruft sofort nach der Bedienung. „Ein großes Weizen und einen Aperol.“ Er trägt eine kurze Jeanshose, rotes Achselshirt, die seine Tattoos auf den Armen zeigen, Flips Flops und eine schmale Sonnenbrille. Das Gesicht ist unrasiert. Eine Lederkette mit Kreuz ziert den breiten Hals, im linken Ohr blinkt ein Ohrring. Sie trägt ebenfalls eine kurze Jeanshose, ein rosafarbenes Top und Flip Flops. Als sie aufsteht schmatzen diese auf dem Boden des Decks. Ihre in der Armbeuge getragene Handtasche blinkt durch die Anzahl der angebrachten Strasssteine. Diese sind auch an ihrer Sonnenbrille reichlich vertreten. Sie kommt mit einem großen Weizenbier zurück, verschüttet beim Laufen die Hälfte auf dem Boden. Als sie mit ihren Flip Flops dort hinein tritt, verwandelt sich das schmatzende Geräusch in ein „gleich lege ich mich lang“ Geräusch. Leichte Schadenfreude macht sich in mir breit, die nicht erfüllt wird.
An der nächsten Anlegestelle kommen weitere Ausflügler an Bord. Die nächsten Minuten sind gefüllt mit Stimmengewirr und Fragen wie: „Wo sollen wir uns hinsetzen?“ „Ist dieser Stuhl noch frei?“ „Maaaaamaaaa, wo ist das Klo?“, währenddessen die Stühle von vorne nach hinten und zur Seite gerückt werden. Die damit einhergehende Geräuschkulisse sprengt fast meine ohrale Toleranzgrenze. Ratsch, ratsch höre ich im Akkord. Um mich abzulenken beobachte die Gäste. Eine alte Frau mit Sonnenhut, der sich durch den Wind ständig von ihrem Kopf löst, zerschneidet hingebungsvoll zwei Äpfel in achtel mit denen sie ihren betagten Ehemann füttert. Als die Kellnerin sie nach ihrem Getränkewunsch fragt, wird diese mit herrischem Ton weggeschickt.
Links von ihnen sitzt eine Familie mit Kindern, wobei mir die Eltern auffallen. Er schaut ständig an sich herunter, spricht über seine nicht vorhandene Körperbräune und schiebt sein T-Shirt an den Oberarmen hoch, damit diese auch braun werden. Blöderweise rutschen diese immer wieder herunter. Er rollt sie wieder hoch. Das Spiel geht nun seit über zehn Minuten. Mir erschließt sich der Sinn der Aktion nicht, da der Rest der Arme bleich ist. Hofft er in einer Stunde Fahrt eine nahtlose Bräune an den Armen zu bekommen?
Rechts von ihm sitzt seine Frau. Die Haare sind wasserstoffblond gefärbt, das pinkfarbene T-Shirt legt sich eng an den Oberkörper. Mit einem Coffee to go Becher in der Hand ließ sie sich krachend in einen der Stühle fallen, der unter ihr, mit ihr ein Stück wegrutscht. Dadurch überhaupt auf sie aufmerksam geworden fallen mir besonders die Oberschenkel ins Blickfeld, die links und rechts am Stuhl herausquellen. Es fällt mir schwer vorzustellen, wie sie aus diesem unbeschadet aufstehen wird. Auch sie trägt eine Sonnenbrille, die mit vielen Strasssteinen besetzt ist. Um ihren kräftigen Hals, den man nur von hinten betrachten kann, denn vorne ist er vom Doppelkinn überlagert, trägt sei eine dicke Perlenkette. Ob es sich um künstliche oder echte Perlen handelt mag ich nicht beurteilen, Ihre pink lackierten Fußnägel beißen sich farblich mit dem pink ihres T-Shirts.
Das verhaltensauffällige Kind mit der Stimme von Chucky, der Mörderpuppe, ist verschwunden oder zumindest schweigsam. Allgemein befinden sich sehr wenige Kinder auf dem Schiff. Ein etwa dreijähriger Junge verfüttert seine Chicken Nuggets an die Enten im See, die es dort gar nicht gibt. Erst als das letzte Nugget über Bord geworfen wurde bemerken die Eltern, dass der Teller ihres Sohnes zwar leer, er aber nicht satt geworden ist. Sein Geschrei verdeutlicht es.

Mein Ziel ist erreicht und ich stehe auf. Ebenso die alte Dame mit Hut, die zuvor noch ihre Äpfel klein geschnitten hatte. Die Abfälle dreht sie in ein kleines Stück Zeitungspapier ein, welches sie dann zwischen zwei Streben am Stuhl quetscht.

Beim Verlassen des Schiffes bemerke ich erneut, dass manche männliche Angestellte Allüren an den Tag legen und sich für die schönsten weit und breit halten. Oder zumindest wie Sascha Hehn als Steward auf dem Traumschiff fühlen, Dabei reicht es bei den eitlen Gockeln noch nicht einmal zur abgehalferten Version.

Ich mag Stinker

 

Irgendwann begann ich mich zu langweilen.
Die Vorlesungen in der Uni unterforderten mich. Meine Mitstudenten empfand ich als Menschenmenge, die sich dem intellektuellen Einheitsbrei ergaben. Ich konnte sie nicht mehr ertragen.
Statt in den Hörsälen über Georg Wilhelm Friedrich Hegel oder Jean-Paul Sartre belehrt zu werden, besuchte ich, für mich anfangs fremde, Haushalte. Ich war ein heißbegehrter Besuch. Wenn ich ging, gab es keine Staubflecken mehr, keine mit gelben Rändern versehenen Toilettenbecken, keine mit klebrigen Flecken versehene Kühlschränke. Ich mochte es, wenn ich in den Katzentoiletten das Streu peinlich genau durchsieben konnte oder stundenlang Staub saugen konnte.
Kehrwochen übernahm ich nicht. Ich mochte es nicht, wenn Nachbarn aus ihren Haustüren strömten und mir ihren neuesten Klatsch unterbreiten wollten. Ich wollte alleine sein, wenn ich mich über eine Wohnung oder ein Haus hermachte. Für mich war es ein Hermachen. Ich entfernte Schmutz und saugte die Bewohner mit ihren Gegenständen und Geschichten in mir auf.

Ich bin anders. Anders als die anderen? Warum macht es mir so viel Spaß, den Schmutz anderer Menschen zu entfernen?

Später langweilte ich mich auch in den Häusern. Die geschnorrten und aufgesogenen Geschichten erreichten mich nicht mehr. Ich spürte, wie so oft, nichts mehr.

Ich benötigte eine Steigerung und fand sie nach einer Weiterbildung.

Jetzt kümmere ich mich um die Entfernung von Blutlachen oder Körperflüssigkeiten. Ich bin vorübergehend in Wohnungen unterwegs, in denen ich von Fliegenplagen begrüßt werde. Komme ich nach Haus, so habe ich oft noch den Leichengestank in der Nase.
Mein Auto ist nun ein Caddy, vollbepackt mit den verschiedensten Reinigungsmitteln in Kanistern. Der größte Kanister enthält unter anderem Eisenionen. Damit bekomme ich noch den schwierigsten Blutfleck entfernt.
Vernebelungsmaschine, Plastikoveralls, Plastikschuhe, Atemmasken und viele Handschuhe stapeln sich nun auf meinem Rücksitz.
Als ich damals in die Firma kam und beim Inhaber nach einer Arbeitsstelle nachfragte, stellte er mir nur zwei Fragen:
„Haben Sie einen guten Magen, der auch bei Stress nicht kapituliert?“
„Ja.“
„Sind sie psychisch und physisch extrem belastbar.“
„Ja.“
Er testete mich sofort und nahm mich mit zu einem sogenannten Stinker. Nachdem wir unsere Schutzbekleidung, inklusive der Vollschutzgesichtsmaske, angezogen hatten und die Wohnungstür öffneten, erwartete uns Ungeziefer in allen Variationen. Die meisten befanden sich um den komischen Schleimfleck herum.
Mit viel Phantasie stellte dieser Fleck die aufgeweichten Umrandungen eines menschlichen Körpers vor dem Wohnzimmerkamin dar. Die dickliche hellgelbe Flüssigkeit war durchsetzt mit Fliegen, Maden und anderen Tieren mit Flügeln.
Mein Chef schaute mich an: „Er lag eine lange Zeit unentdeckt in der Wohnung. Je nach Innen- oder Außentemperatur entwickelt sich der Körper in diese Richtung.“
Ob der Körper weiblich oder männlich gewesen war, erklärte er mir damit nicht. Mich interessierte es weniger.
Eine lange Zeit reinigten wir gemeinsam die Wohnung. Sammelten das Ungeziefer ein, schrubbten, desinfizierten und reinigten mit einem großen Kraftaufwand.
Zwischendurch bemerkte ich immer wieder einen langen Blick von meinem Chef.
Es störte mich nicht.
Als wir Mittagspause machten und ich in eines meiner Mettbrötchen biss, während er eine Gabel nach der anderen seines westfälischen Kartoffelsalates zu sich führte, stellte er mit einem leicht verwunderten Unterton in der Stimme fest:
„Einen guten Magen hast Du auf jeden Fall. So oft ich auch schaute, Du bekamst nicht den Hauch eines Grüntons in Dein Gesicht.“
„Warum auch? Ich mag den Dreck der besonderen Art!“
Irgendwann waren wir fertig und er zeigte mir, wo und wie ich den Biomüll entsorgen musste.
Müde und mit neuen Eindrücken fuhr ich fröhlich heim.

Endlich habe ich wieder Spaß und spüre mich. Ich bin in meinem Element und sauge nun Geschichten der ganz anderen Art auf. Abends komme ich nun beschwingt und gesättigt heim, nachdem ich den Biomüll fachgerecht entsorgt habe. Mein Hunger nach besonderen Geschichten wird endlich gesättigt. Bevorzugt nehme ich die Aufträge an, die meine Kollegen ablehnen. Wichtig war und ist mir, dass keine Menschen um mich herum sind. Angehörige oder neugierige Nachbarn bestrafe ich mit eisigem Schweigen. Überhaupt habe ich es mir abgewöhnt zu reden. Viel lieber konzentriere ich mich auf die Gerüche, das Blut in den verschiedenen Variationen, die reichhaltigen Fliegen oder auf Knochensplitter.
Gelegentlich muss ich an einen Tatort, wenn sich jemand mittels Schusswaffe von seinem Kopf getrennt hat. Oder versuchte sich davon zu trennen. Meist benötige ich die große Leiter, um die Gehirnfragmente und die Knochensplitter von der Decke zu entfernen. Wer sich das Gewehr in den Mund schiebt, denkt vermutlich nicht daran, wie weit und hoch sein Kopfinhalt fliegen kann.
Mir macht es nichts aus. Ich zupfe die Splitter aus den Wänden und reinige, was das Zeug hält. Schrotflintenbenutzer stellen mich einerseits vor eine wirkliche Herausforderung, andererseits bin ich anschließend auf eine Art befriedigt, die sehr speziell ist.

Leider hatte ich seit genau 6 Wochen keinen Schrotflintenkopfschuss mehr.
Mir fehlt etwas. Mir fehlt wirklich etwas.

Ich bin Tatortreinigerin.
Keine Tatortmacherin.

 

Kolumne: Manisch-Depressiv: Ich bin meiner Erkrankung (inzwischen) dankbar Teil 2

Dieser Meinung war er auch und überwies mich an eine Psychiaterin.
An dem besagten ersten Arbeitstag telefonierte ich mit einer Freundin zu der ich fuhr. Sie telefonierte mit dem Hausarzt, er mit der Psychiaterin.  Am nächsten Morgen ging ich zu ihr hin und sie gab mir eine Einweisung für die Psychiatrie.
Sehr gut kann ich mich daran erinnern, wie ich die Psychiatrie stundenlang zu Fuß suchte, endlich fand und in irgendeinem Zimmer ein Gespräch hatte. Ein langes Gespräch. An die gestellten Fragen kann ich mich nicht erinnern. Nur an die Aussage, dass ich bitte aufhören solle zu sagen: „Das ist normal; da muss ich durch,“ wenn es um schlimmer Erlebnisse ging.
Irgendwann wurde mir angeboten die Station anschauen. Wie unbedarft war ich. Durch die Aussagen meiner Freundin dachte ich, ich komme in eine Art Kurklinik. Denkste: Die Tür der Station ging zu und ich konnte sie nicht mehr von innen öffnen Dazu waren die Fenster vergittert. Da dämmerte es mir: Ich bin in der Klapse!
Trotzdem behielt ich meine große Klappe: Meinte noch: „Danke für´s zeigen, aber in ein 3-Bett Zimmer gehe ich nicht, außerdem muss ich zur Arbeit und ich würde ich ein paar Tagen wiederkommen.“ Dieser lange, große Pfleger machte mir daraufhin sehr lange klar, dass es nicht mehr gehen würde. Letztendlich durfte ich in Begleitung kurz nach Hause, Koffer packen und von daheim eine Email an den Arbeitgeber schicken.
Knappe 2 Monate hielt ich mich dort auf. Die Diagnose wurde gestellt und rückwirkend ist mir die sehr gute Betreuung bewusst. Täglich gab es mehrere Gespräche mit der Psychologin und mit dem klinischen Direktor: Irgendwie war ich für sie spannend. Im ersten Moment war mir die Diagnose egal. Ich erkannte die Dimension dahinter noch nicht. Mir ging es ausschließlich darum den Suizid verhindern zu lassen. Heute weiss ich, dass er ein Symptom der schweren Depression war und kein Dauergedanke. Damals wollte ich nur gezwungen werden weiterzuleben. Später begriff ich, was die Diagnose bedeutet, welche Einschränkungen sie für mein weiteres Leben bedeutet und ich büchste aus, um den letzten Schritt zu machen. Ich fand mich auf der geschlossenen Station wieder und kämpfte mit mir. Es war die Hölle, denn nun wollte ich nicht mehr dort bleiben. Irgendwann akzeptierte ich es und nach den knapp zwei Monaten war ich über den Aufenthalt froh. Ansonsten wäre irgendwann im Januar 2005 von mir der Plan umgesetzt worden. Heute für mich unvorstellbar, dass ich jemals so gedacht und geplant hatte.
Natürlich war der Aufenthalt nicht immer angenehm. Der Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik mit Akutaufnahme kann nicht angenehm sein. Es gab einige fixierte, viele schreiende Menschen. Oder einen Sexualstraftäter, der mich immer angrabschte und gegen den ich nichts machen konnte. „Auch er ist auch krank“ musste ich mir sagen lassen. Privatsphäre war nicht vorhanden, die sanitären Zustände schlimm. An eine Situation kann ich mich noch gut erinnern: Eine junge Frau, mit Baskenmütze bekleidet, befragte den ganzen Tag und die ganze Nacht auf der Station Patienten. Ständig trug sie Notizen in ihr Klemmbrett ein. Einmal schaute sie mich an und meinte nur: „Fett kann man auch absaugen“. Ich weiß noch, wie ich in schallendes Gelächter ausbrach und mich nicht mehr so krank fühlte. Während ich auf das Medikament (Valproinsäure) eingestellt wurde, nahm ich 17kg zu. Zusätzlich zu meinem üblichen Übergewicht war das eine Menge.
Später erfuhr ich, dass sie Medizinstudentin war, eine manische Phase hatte und mit einem Medikament zwangsbehandelt wurde. Meiner kleinen Schwester erzählte ich von der Diagnose und wo ich mich befand. Ihre Telefonate drangen zu mir durch. Später besuchte mich mein Vater (der gute 500km entfernt wohnt) mit meiner Mutter. Das rechne ich ihm noch heute hoch an. Seine Unsicherheit konnte ich daran erkennen, dass er sich hinter seiner BILD Zeitung versteckte. Ist ja auch nicht leicht, wenn sich die eigene Tochter umbringen will und er davon durch meine Freundin erfährt.
Wir haben nie wirklich im Detail darüber gesprochen. Doch habe ich das Gefühl, dass er ein Gespür dafür bekommen hat, auch wenn nicht viele Worte darüber verloren werden. Natürlich über die inzwischen vorhandene Erwerbsunfähigkeit, aber nicht über die Erkrankung an sich.
Meine Mutter ist da ganz anders: Noch heute erwähnt sie, wie schlimm ich damals ausgeschaut habe. Hallo: Ich stand unter Tavor, wurde auf Valproinsäure eingestellt und wurde vor mir selber geschützt. Sie kann die Diagnose nicht verstehen: „Stelle Dich nicht so an“ sind gerne verwendete Sätze.
Dem Klinikaufenthalt schloss sich eine Rückfallprophylaxetherapie an. Was war ich ein schwieriger Fall! Als ich zum ersten Termin erschien drückte mein Körper folgendes aus: Hier bin ich, mache mich wieder heile, ich will wieder die alte sein. Und komme mir auch bloß nicht  mit der Aussage, ich soll beruflich kürzer treten. Mit 40 Stunden in der Woche lasse ich mich nicht abspeisen.
In der Rückfallprophylaxe geht es darum zu lernen, Anzeichen zu erkennen, bewusster zu leben um Rückfälle zu vermeiden. Um Manien vorzubeugen bedeutet es unter anderem konkret

  • Einen geregelten Schlafrhythmus zu haben (Schlafmangel führt gerne zu Manien)
  • Langstreckenflüge zu vermeiden
  • Flackernde Lichter (wie in Diskotheken)

Es geht darum, was kann ich machen, um die Arbeitskraft zu erhalten?
Für mich bedeutete es, irgendwann akzeptieren zu müssen, dass ich nicht über 40 Stunden arbeiten sollte, was im Vertrieb sehr schlecht machbar ist. In den Folgejahren war ich zwar vor Manien gefeit, allerdings nicht vor Depressionen. Inzwischen kann ich gut erkennen, wenn ich mich in einer leichten oder mittelschweren Depression befinde und kann aufpassen, dass es zu keiner Verschlimmerung kommt.
Nein, ich muss mich korrigieren. Im Jahr 2014 erwischte mich die schlimmste Depression seit 2004. Ihr war ein sehr anstrengendes Jahr voraus gegangen und so sehr ich auch aufpasste, es erwischte mich schier über Nacht.
Soll ich froh sein, dass ich fast 10 Jahre davor gefeit war? Gefeit vor dieser Schwere? Ja, heute sehe ich es so. In der Phase war ich, wenn ich überhaupt über ein Gefühl verfügte, wütend darüber, dass ich erkrankte. Wütend über das letzte (nicht das aktuelle) Mietverhältnis, in dem auch mit Psychoterror seitens des Vermieters agiert wurde. Komischerweise funktionierte ich in dieser schlimmen Phase, um dann Monate später  zusammen zu klappen.
Solche Selbstvorwürfe mache ich mir dann. Statt mir zu sagen: Hey, schaue, was Du alles Positives geleistet hast.
Manchmal, aber auch nur manchmal, wünsche ich mir in unbedachten Momenten, eine klitzekleine Manie. Eine Hypomanie für wenige Stunden. Mich einfach wieder ein wenig überdreht und kraftvoll zu fühlen. Die Manie ist aber die Phase, die mich am meisten ängstigt. Bei mir schlägt sie besonders damit zu, dass ich überhaupt kein Gefühl für Gefahr habe oder mich bewusst und provokativ in diese begebe.
Mit Medikamenten ist sie schnell behoben. Sollte ich nicht einsichtig sein, würde ein kurzer Zwangsaufenthalt in der Psychiatrie folgen. Nach der medikamentösen Einstellung auch die Entlassung. Die medikamentöse Behandlung schlägt schneller an als bei einer Depression.
Wie kann ich nach diesen Zeilen schreiben, dass ich dieser Erkrankung inzwischen dankbar bin? Es gibt sicherlich Betroffene und Angehörige, die mir für diese Aussage den Kopf abreißen würden!
Ich bin ihr dankbar, weil ich mich von sehr vielen oberflächlichen Menschen getrennt habe.
Ein großer Bekanntenkreis ist mir nicht wichtig. Wichtig sind mir Freunde, die auch Freunde sind.
Durch den Befehl, die spätere Akzeptanz, dass ich nicht mehr als 40 Stunden die Woche arbeiten soll und kann, lernte ich, dass Arbeit nicht alles ist. Bis dahin identifizierte ich mich über Leistung und über Erfolg. Als das weg fiel, musste ich mich auf andere Dinge konzentrieren, bzw. diese suchen. So kam ich auf Reiki und werde dies auch wieder praktizieren, wenn ich eine neue Lehrerin gefunden habe.
Plötzlich hatte ich Freizeit, entdeckte neue Interessen, entdeckte mich. Entdeckte neue Ehrenämter. Sich mit sich selber auseinanderzusetzen kann anstrengend, mühsam, ermüdend sein. Aber auch produktiv.
Niemals hätte ich mich zuvor getraut zu schreiben. Ich muss mich korrigieren: Zu schreiben schon, aber nicht dies anderen zugänglich zu machen. Inzwischen weiß ich, dass ich damit Menschen erfreue.
Mein Umgang mit Menschen hat sich geändert. Ich lasse es zu emphatisch zu sein, lasse mich mehr auf zwischenmenschliche tiefe Bindungen ein.
Kurzum: Ich habe eine andere Lebensqualität erreicht. Lebe bewusster.
Seit 2012 Jahren beziehe ich eine Erwerbsunfähigkeitsrente, darf und kann noch einige Stunden  arbeiten.
Dies geht natürlich mit sehr starken finanziellen Einschränkungen einher. Meine ehemaligen guten Gehälter werde ich nicht mehr erreichen. Die angestrebte Rentenhöhe ist Schnee von gestern. Natürlich erschreckt mich der regelmäßige Gedanke daran. Es sind existentielle Gedanken. Ich habe bedeutend weniger Einkommen gegen eine andere Form von Lebensqualität eingetauscht. Eine Lebensqualität, in der ich nicht mehr so belastbar bin wie früher. Das bin ich wirklich nicht. Eine Lebensqualität, die mir in meiner persönlichen Entwicklung und im zwischenmenschlichen Bereich zu mehr positiven Beziehungen verholfen hat.
Was bleibt ist die Zerrissenheit:
Darf es mir denn schlecht gehen? Darf ich sagen, dass ich abschmiere, die Stimmung geht und die Depression kommt? Auch heute kommen die Antworten: „Du hast doch gelernt, damit umzugehen. Wie kann Dir dann das jetzt noch passieren?“
„Stelle Dich nicht so an. Reiße Dich zusammen.“ „Dir geht es doch gut, warum passiert jetzt was, hast doch keinen Grund“. (Bevorzugt von meiner Mutter)
Dann fühle ich mich schuldig und in Zugzwang. Denke, dass ich überzeugen muss. Überzeugen zu müssen, wo es eigentlich nichts zu überzeugen gibt. Ich bin manisch-depressiv und ich kann nichts dafür. Über die Ursachen ist zu wenig bekannt (am Ende der Kolumne gibt es einige abschließende Infos dazu). Ob es einen genetischen Grund gibt, einen biologischen Grund, oder wie von manchen  gar vermutet als Folge eines Missbrauches, ich muss die Ursache nicht mehr suchen. Ich bin betroffen und habe es akzeptiert.
Gelegentlich verunsichert es mich, dass ich die Ursachen warum ich ruhiger geworden bin nicht kenne. Es macht mich auch traurig Liegt es an der Rückfallprophylaxe, in der ich lernte ein „gemäßigteres“ Leben zu führen? Liegt es an meinem Alter? Wehwehchen, Einsicht und Reife lassen einen früher spontanen Schritt nun in aller Konsequenz vorab überdenken. Oder liegt es an den Medikamenten? Macht mich die Valproinsäure ruhiger? Macht sie mich reifer? Dämpft sie mich? Nimmt SIE mir ein Teil meiner Persönlichkeit weg? So empfinde ich es manchmal: Wo ist das übermütige, verrückte Huhn geblieben? Was an mir ist ICH, wer bin ich, was ist die Krankheit Was ist an mir echt? Der Zustand der Vergangenheit oder der jetzige Zustand?
Soll ich das Medikament über einen längeren Zeitraum absetzen, um diesen Fragen auf den Grund gehen zu können? Kann ich dieses Risiko eingehen? Ist es das wert?
Oder kann ich endlich akzeptieren, dass das Wissen um meine Manische Depressive Erkrankung und ihre Behandlung mir nicht nur eine andere Lebensqualität ermöglicht hat (und dafür bin ich dankbar), sondern auch einen Teil von mir genommen hat?
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In Gesprächen wurde mir gesagt, dass durchschnittlich 15 bis 30% der Bipolar Erkrankten Suizid begehen. Der Durchschnitt der Erkrankten ist ab einem Alter von 55 Jahren arbeitsunfähig. 10 bis 15% der Erkrankten erleben mehr als 10 Episoden in ihrem Leben. Auch ich habe diese bereits locker geschafft.
In Deutschland soll es ca. 2 Mio. Menschen geben, die eine Bipolare Störung haben. Mir persönlich erscheint diese Zahl zu hoch, doch kann ich es wirklich nicht einschätzen.
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Fakten:
Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störung e.V.
Postfach 800 130
21001 Hamburg
Dort oder über die Homepage kann auch ein Fragebogen zur Selbsteinschätzung angefordert werden.
www.dgbs.de
Hier werden u.a. Informationen für Betroffene und  Angehörige gut aufbereitet zur Verfügung gestellt. Sehr interessant ist auch der Bereich: DGBS und kreativ.
Ursachen:
Genetische Faktoren:
Vererbung: Bei einem betroffenen Elternteil wird eine Vererbungswahrscheinlichkeit von 10 bis 20% eingeschätzt
Biologische Faktoren:
Bei Patienten mit Bipolaren Störungen sind Veränderungen im Neurotransmitterhaushalt
festgestellt worden. Neurotransmitter = chemische Botenstoffe. Diese sind an der Weiterleitung von Nervenimpulsen beteiligt. Bei Depressiven fand sich zB ein Mangel an Noradrenalin und Serotonin.
Mittlerweile geht man davon aus, dass nicht einzelne Veränderungen der Neurotransmitter, sondern eine Störung des Gleichgewichts dieser ursächlich ist.
(Quelle: Homepage: www.dgbs.de)
Liz Obert:
Gerne möchte ich noch auf Fotografin Liz Obert und ihr Projekt „Dualities“ hinweisen. Ein Projekt, das mich berührt.
https://www.lizobert.com/
Liz Obert ist Fotografin und führte als manisch depressiv Erkrankte jahrelang ein verstecktes Leben. Wie ich, hat sie eine Bipolare Störung II, sprich die manischen Episoden überwiegen. Jahrelang ließ sie sich in der Öffentlichkeit nichts anmerken. Erst zu Hause, gab sie sich wie sie ist.
In ihrer Fotoserie „Dualities“ zeigt sie die Zerrissenheit dieser Menschen. Ein auch mir so bekannter Zustand. Sie macht zwei Bilder: Das erste Porträt zeigt die Menschen in ihrer kranken Phase, das zweite Bild, wie sie gerne in der Öffentlichkeit gesehen werden möchten. Versehen mit Notizen der Erkrankten.
Eine sehr ausdrucksvolle Fotoserie, die mich berührt.
(Quelle: brigitte.de und lizobert.com)

Kolumne: Manisch-Depressiv: Ich bin meiner Erkrankung (inzwischen) dankbar Teil I

Wie soll ich beginnen? Mein Name ist xxxxxx, ich bin  xxxx Jahre alt und ich bin manisch-depressiv? Eine solche Vorstellung verbinde ich mit einer Gesprächsrunde bei den Anonymen Alkoholikern. Ob es dort wirklich so gehandhabt wird ist mir unbekannt. Ich nahm nie an einem solchen Treffen teil.
Ja, ich leide an einer Bipolaren Störung. Im Allgemeinen als  manisch depressiv bekannt. Und noch bekannter als „ Himmelhoch  jauchzend, zu Tode betrübt“. Stimmungsschwankungen, die ein geregeltes Leben erschweren.
Ja, ich bin eine von ihnen.
Wie kann ich einer Erkrankung dankbar sein, die

  • mich belastet hat?
  • immer noch belastet?
  • oft zerreißt?
  • meine Arbeitskraft brutal dezimiert hat?
  • mich stigmatisiert?
  • zu einer Medikamenteneinnahme führt, bei der mir die langfristigen Folgen unbekannt sind?
  • auf Unverständnis stößt?
  • die ich hätte vererben können?
  • die mich in sehr destruktive Phasen geführt hat?
  • die mich fast in den Suizid getrieben hat?

Nein, bis vor knapp 14 Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich an einer psychischen Erkrankung leide. Anzeichen, die es gab, habe ich ignoriert. Ich war eine Frau, die immer dachte und handelte „Da muss ich durch“. Nie kam es mir in den Sinn nach Ursachen zu suchen, die dazu führten, dass ich so war wie ich war.
Nie hätte ich mein Verhalten auf der Abschlussfahrt der Oberstufe in Prag anders interpretiert „als gut drauf zu sein“. Oder extrem gut drauf zu sein. Noch gut kann ich mich an meine Verwunderung erinnern, als ich in Prag ständig von Männern angesprochen wurde, die mir eindeutige Angebote machten. In einem seiner nüchternen Momente bemerkte es mein Klassenlehrer und sprach mich darauf an. Ich konnte ihm keine Erklärung geben. Er schon: „Schaue Dir Deine Augen an und jeder sieht, was Du willst.“
Heute weiß ich, dass meine Augen in manischen Phasen nur so funkeln, eine Anziehungskraft haben, die mir nicht bewusst ist. Wenn das „Sparkling in the eyes“ wieder vorhanden ist, dann ist „die Kacke am Dampfen“, sprich ich befinde mich in einer manischen Phase.
Nicht nur meine Augen verraten es mir. Mein Verhalten ebenfalls. In Prag bin ich, nüchtern und mit Champagnerflaschen für meine Begleitung in den Armen, über die Hoteldächer geklettert. Keine Angst vor der Tiefe, stattdessen von einem Dach über das nächste gesprungen. Es macht mir viel Spaß. Leise war ich dabei auch nicht. Als es zu langweilig wurde, bin ich mit meiner Begleitung einfach durch das nächste Hotelfenster wieder abgestiegen.
In einer manischen Phase habe ich kein Gefühl für Gefahr. Bungee springen ohne Seil erscheint mir möglich. Tatsächlich wollte ich es in den 90er Jahren auf der Rhein-Knie-Brücke in Düsseldorf umsetzen. Wäre nicht eine Polizeistreife gekommen würde ich heute vermutlich nicht hier sitzen und schreiben. Stattdessen rannte ich davon und einen Tag später verlor die Idee auch schon ihren Reiz.
Ein anderes Symptom ist, dass ich in solchen Phasen einfach nicht müde werde. Ich kann mich erinnern, wie ich nach anstrengenden Doppelschichten in der Gastronomie sehr lange joggen ging. Joggte bis ich mich übergab. Müde wurde ich trotzdem nicht.
Ganze Nächte verbrachte ich an den Rheinwiesen und schaute stundenlang auf das Wasser. Im Gegensatz zu anderen Situationen beruhigte es mich nicht. Mit der fehlenden Müdigkeit geht eine Unruhe einher, die nicht zu steuern ist. Auf Bahnhöfen. Flughäfen, in Kneipen, am Rhein – dort verbrachte ich meine Nächte. Ich konnte nicht alleine sein, benötigte Menschen, Bewegung und Unruhe um mich herum.
Das waren die „stillen“ Momente.
Die „lauten“ waren die, in denen ich in den Kneipen/Clubs schnell Gesellschaft fand. Vermutlich nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechend, so bin ich in einer manischen Phase charismatisch. Mir entkommt Mann irgendwie nicht. Rock, tiefer Ausschnitt und das Ergebnis war stets identisch: Ein Hotelbett zu zweit in der Nähe der Kö. In dieser Phase geschieht es meist, ohne dass es geplant ist.
Darüber wird gerne vergessen, dass diese manischen Phasen äußerst anstrengend sind. Letzend blätterte ich in älteren Tagebucheinträgen aus den 90ern. Ich habe gespürt, dass mit mir etwas nicht stimmt. Diese Unruhe, dieses nicht schlafen können, dieser Männerverschleiß, das Gedankenkarussell – ich wurde schier wahnsinnig. Gleichzeitig genoss ich die Energie die ich hatte. Paradox.
In einer dieser Phasen ging ich zu einer Ärztin und erklärte dass ich nicht schlafen kann. Beschrieb die schlaflosen Nächte am Rhein. Sie nahm mich an die Hand und führte mich zur Praxis nebenan, die ihr Mann leitete. Er war Psychologe. Natürlich betrat ich seine Praxis nicht. Ihre Praxis ebenfalls nicht mehr.
Mir kam nicht ansatzweise in den Sinn, dass an meinem Verhalten etwas nicht „normal“ war. Ich war halt ein wenig überdreht. Auch als ich mit meinem Auto in der Düsseldorfer Altstadt eine Kreuzung blockierte, das Radio aufdrehte, die Songs (mit einer Coladose in der Hand) laut mitsang und auf dem Auto stand: Ich fand das nicht schlimm. Ich war gut drauf.
Die gerufene Polizei sah das nicht so. Da ich stocknüchtern war, verweigerte ich mich dem Drogen – und Alkoholtest. Ich kann nur eines sagen: Verweigert Euch keiner Blutprobe. Der Arzt mag das gar nicht. Der Piks schmerzt umso mehr. Daran kann ich mich noch erinnern. An das Theater auf der Wache, weil ich mich nicht piksen lassen wollte.
Letztendlich war es ein teurer Spaß. Spaß in Anführungszeichen geschrieben. Ich verschwendete für mich weiterhin kein Gedanke daran, dass dieses Verhalten so nicht der Norm entspricht.
Diese Phase besteht in der Erinnerung aus langen Nächten, Besuchen in der Nobeldisco, vielen schönen abgeschleppten Männern, im großen Bekanntenkreis im Mittelpunkt stehend und tollen lockeren Momenten.
Solche Phasen wiederholten sich im Laufe der Jahre. Phasen in denen ich viel Geld ausgab. Geld, welches ich hatte oder auch nicht hatte. Unterbrochen von Depressionen. Die erkannte ich überhaupt nicht. Für mich war es normal  viel zu arbeiten. Freie Tage oder Urlaub verbrachte ich ausschließlich mit schlafen. Heute weiß ich, es handelte  sich hier um depressives schlafen.
Als ich in Irland lebte, war ich von solchen Phasen ebenfalls nicht gefeit. Allerdings empfinde ich sie rückblickend als nicht so ausgeprägt und auszehrend.
Dann, dann kam der Dezember 2004. Ich hatte Urlaub, den ich ausschließlich im Bett verbrachte. Keine Energie für nichts. Der Haushalt wurde nicht mehr gerichtet, ich nicht mehr gerichtet. Locker schaffte ich es zwei Tage am Stück im Bett zu bleiben. Wenn die Blase schier platzte stand ich kurz auf. Ernährte mich von Schokolade und Mandarinen. Wenn letztere aus waren, ging ich kurz in den Supermarkt gegenüber, kaufte neue und legte mich wieder ins Bett. Vom vielen liegen plagten mich schlimme Rückenschmerzen. Egal. Ich konnte nicht mehr aufstehen. Der Urlaub war vorbei, ich musste wieder zur Arbeit und sagte dort: Ich bin krank, muss nach Hause.
Kurz vor dem Urlaub war ich beim Hausarzt und erzählte ihm, dass ich für Januar meinen Suizid planen würde. Gesund wäre diese Planung nicht?
Man muss es sich vorstellen: Ich will mich umbringen, plane und gehe dann zum Arzt und erzähle es ihm. Viele Schutzengel müssen über mich gewacht haben!

Fortsetzung folgt

„Read what I see“: Sommermomente

Mit viel Glück hatte ich einen Platz auf der Terrasse unter einem Schirm ergattert. Es ist früh am Morgen, doch die Sonne brennt bereits unbarmherzig und heizt die Stadt in kürzester Zeit auf. Das warme Wetter beherrscht die Gesprächsthemen im Freundeskreis sowie in der Tagespresse. Vergessen werden die Tage im Juli, die meist weit unterhalb der 30 Grad Marke lagen. Wahrgenommen werden die aktuellen heißen Tage oberhalb dieser Grenze.
Mein Latte Macchiato schmeckt mir trotz der Hitze. Abwechselnd trinke ich einen Schluck davon, gefolgt von einem Schluck Eiswasser, während ich in einem Buch lese. Eine Wespe verirrt sich in meinem Latte und träge beobachte ich, wie sie sich aus dem Glas heraus hangelt, um im nächsten Moment wieder darin zu versinken. Mit dem Strohhalm könnte ich an ihr vorbei einen Schluck trinken. Doch befürchte ich sie ungewollt mit aufzusaugen und von ihr gestochen zu werden. Gerne verzichte ich auf diese Erfahrung.
Durch ein Gespräch lasse ich mich ablenken. Eine Frau unterhält sich mit ihrem Freund. Ihre schlanken Beine stecken in recht kurzen Hosen. Ihr scheint es sehr warm zu sein. Mit einem Fächer fächelt sie sich Luft zu, während ihr Freund ihr etwas Schweiß aus dem Gesicht wischt. Auch ihre Arme sind mit einem Schweißfilm bedeckt. Als sie aufsteht, höre ich erst ein schmatzendes und dann ein lautes Geräusch. Anscheinend haben auch ihre Beine geschwitzt, denn ihr Po und die Beine kleben beim Aufstehen am Stuhl fest, der mit lautem Gepolter zu Boden fällt. Es scheint, als schaut das ganze Café gerade in diesem Moment von Büchern, Zeitungen und aus Gesprächen auf. Auf ihren Po und auf ihre Beine, die tiefe Druckspuren des Stuhls auf sich tragen.
In meiner langen Leinenhose fühle ich mich recht luftig bekleidet und vor solch einem Malheur geschützt. Weiterlesen

Robert Seethaler: Ein ganzes Leben

Klappentext:
Als Andreas Egger in das Tal kommt, in dem er sein Leben verbringen wird, ist er vier Jahre alt, ungefähr – so genau weiß das keiner. Er wächst zu einem gestandenen Hilfsknecht heran und schließt sich als junger Mann einem Arbeitstrupp an, der eine der ersten Bergbahnen baut und mit der Elektrizität auch das Licht und den Lärm in das Tal bringt. Dann kommt der Tag, an dem Egger zum ersten Mal vor Marie steht, der Liebe seines Lebens, die er jedoch wieder verlieren wird. Erst viele Jahre später, als Egger seinen letzten Weg antritt, ist sie noch einmal bei ihm. Und er, über den die Zeit längst hinweggegangen ist, blickt mit Staunen auf die Jahre, die hinter ihm liegen. Eine einfache und tief bewegende Geschichte.

Das Buch startet mit einer recht harten Episode in der erzählt wird, wie Andreas Egger den kranken Ziegenhirten Hörnerhannes ins Tal trägt, dieser ihm von der Trage springt, in den Schnee rennt, um dem Tod von der Schippe zu springen und nicht mehr gesehen wird.
Tief bewegt habe ich das Buch nach dem Lesen in den Händen gehalten. Über 146 Seiten wird in einer einfachen Geschichte das Leben des Andreas Egger beschrieben.
Einer Geschichte die gut dazu geeignet wäre, im Kitsch zu ersticken. Das wird geschickt, mit einer Ausnahme, umschifft.
Andreas Egger kommt im Alter von 4 Jahren zu seinem Onkel in ein Bergdorf. Nicht geliebt, verprügelt, entwickelt er sich zu einem großen Hilfsknecht, der als Handlanger und dann in einem Arbeitstrupp arbeitet. Er erlebt mit, wie die Elektrizität ins Dorf kommt und verliebt sich in Marie, der Liebe seines Lebens. Unbeholfen nähert er sich ihr an. Als Mann der wenigen Worte findet er dennoch den Zugang zu ihr, heiratet sie. Leider stirbt sie recht früh.
Sein Leben geht weiter. Nach dem 2. Weltkrieg befindet er sich lange in russischer Gefangenschaft und verliert auch darüber wenige Worte. Er kommt in sein Bergdorf zurück, arbeitet wieder als Handlanger, später als Bergführer.
Darüber vergehen die Jahre. Seine Marie vergisst er nie. Dennoch hadert er nie mit seinem Schicksal. Er nimmt das Leben an.
Warum mich das Buch so berührt? Sicherlich in der Geschichte begründet. Mit wenigen Worten werden hier die Tiefen des menschlichen Lebens beschrieben, mit gelegentlichen Weisheiten, die aber nicht so plump a` la Paulo Coelho verwendet werden.

Die Sprache, die in ihrer Einfachheit in die Tiefe geht, bewirkten bei mir beim Lesen ein ständiges innehalten, ein erneutes Lesen der Seiten davor. Genuss pur.
Ich kann nicht anders, als nach dem Lesen des Buches zu seufzen: Ach, ist das schön!
Ich kann nicht anders, als berührt zu sein.
Berührt über die Geschichte des Menschen, der nie aus seinem Dorf herauskam, mit Ausnahme des 2. Weltkrieg und dem einmaligen Moment, als er den Dorfbus nutzte. (einzige kitschige Szene).
Berührt darüber, dass Andreas Egger trotzdem auf ein glückliches Leben zurückblickt von dem er sagt: „Er hatte länger durchgehalten, als er es je selbst für möglich gehalten hätte.“

Lana Lux: Kukolka

Klappentext:
Ukraine, 90er Jahre. Große Party der Freiheit. Manche tanzen und fressen oben auf dem Trümmerhaufen der Sowjetunion, andere versuchen noch, ihn zu erklimmen. Auch Samira. Mit sieben Jahren macht sie sich auf die Suche nach Freiheit und Wohlstand. Während teure Autos die Straßen schmücken, lebt Samira mit ein paar anderen Kids in einem Haus, wo es keinen Strom, kein warmes Wasser und kein Klo gibt. Aber es geht ihr bestens. Sie hat ein eigenes Sofa zum Schlafen und eine fast erwachsene Freundin, die ihr alles beibringt. Außerdem hat sie einen Job, und den macht sie gut: betteln. Niemand kann diesem schönen Kind widerstehen, auch Rocky nicht. Er nennt sie Kukolka, Püppchen. Wenn Kukolka ihn lange genug massiert, gibt er ihr sogar Schokolade. Alles scheint perfekt zu sein. Doch Samira hält an ihrem Traum von Deutschland fest. Und ihr Traum wird in Erfüllung gehen, komme, was wolle.
Lana Lux hat einen gnadenlos realistischen Roman über Ausbeutung, Gewalt und Schikane geschrieben, über ein Leben am Rande der Gesellschaft, geführt von einer Heldin, die trotz allem schillernder nicht sein könnte.

Über 375 Seiten beeindruckt dieser Debütroman, der die Geschichte von Samira erzählt. Semira ist sieben Jahre auf und wächst ein einem Waisenhaus auf. Das Leben dort ist hart. Da sie nichts anderes kennt, hat es akzeptiert. Sie hält sich an die Regeln, im Gegensatz zu ihrer Freundin Marina. und bunkert Brotrinden unter ihrer Bettdecke.
Die Waisenkinder träumen davon adoptiert zu werden. Ihre Freundin Marina schafft es und verspricht Samira nach Deutschland nachzuholen.
Dies geschieht nicht, so dass Samira sich auf den Weg nach Deutschland macht. Schon am Bahnhof scheitert sie, wird von einem „netten Rocky“ aufgegriffen und lebt mit anderen Kindern in einem schäbigen Haus. Von nun an bettelt sie. Obwohl das Haus mehr als schäbig ist, ist Samira glücklich. Sie hat ein eigenes Sofa und eine ältere Freundin. Tatsächlich stumpft sie hier bereits ab. Rocky nennt sie Kukolka „Püppchen“, die aufgrund ihres Äußeren von vielen als niedlich betrachtet wird.
Die Charles Dickens Atmosphäre hält nicht sehr lange an. Kukolka träumt weiter davon nach Deutschland zu kommen.
Von dem schäbigen Haus geht es weiter zu Dima, der letztendlich mit ihr nach Berlin geht. Er richtet sie zur Prostituierte ab und nun beginnt Kukolkas Weg als Prostituierte. Durch Menschenhändler wird sie weiter gereicht. Mit 13 Jahren hat sie bereits mehrere Freier täglich, ihr 14. Lebensjahr verbringt sie bernebelt durch Tabletten.
Die generierten Bilder sind für den Leser heftig. Auch einzelne Sätze beeindrucken und machen fassungslos: „Ich wurde so ein bisschen wie unsere Waschmaschine. Ganz viele Programme, alle laufen automatisch ab.“
Das muss man aushalten können. Trotzdem konnte ich nicht aufhören zu lesen. Die Nüchternheit mit der die Geschichte erzählt wird, trägt dazu bei. Man hofft stets, dass die Raserei auf den Abgrund gestoppt wird. Dass die verzweifelte Suche nach Liebe erfüllt wird.
Und dass es ein Happy End geben wird.

„Read what I see“: Ein Tag am See

Der Tag am See begann mit dem üblichen Aufbau der Luftmatratze, dem verteilen des Buches auf dieser und der Suche nach der Sonnenbrille. Ihr Revier unter einem schattigen Baum auf der leeren Wiese war markiert.
Noch leerer Wiese.
Bereits auf dem Parkplatz wunderte sie sich über die Anzahl der geparkten Autos. Das Publikum verlief sich auf dem Gelände um den See, so dass frühmorgens alles noch recht ruhig war.
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Ferdinand von Schirach: Strafe

Klappentext:
Was ist Wahrheit? Was ist Wirklichkeit? Wie wurden wir, wer wir sind?
Ferdinand von Schirach beschreibt in seinem neuen Buch „Strafe“ zwölf Schicksale. Wie schon in den beiden Bänden „Verbrechen“ und „Schuld“ zeigt er, wie schwer es ist, einem Menschen gerecht zu werden und wie voreilig unsere Begriffe von „gut“ und „böse“ oft sind.
Ferdinand von Schirach verurteilt nie. In ruhiger, distanzierter Gelassenheit und zugleich voller Empathie erzählt er von Einsamkeit und Fremdheit, von dem Streben nach Glück und dem Scheitern. Seine Geschichten sind Erzählungen über uns selbst.
 

Beim Öffnen des Buches fiel mir gleich die Schriftgröße auf. Auch ein Leser mit wenig Sehkraft wird diese Geschichten, Dank der großen Schrift, lesen können. Durch die Schriftgröße und den vielen eingeschobenen Absätze erhielt ich schnell den Eindruck, dass dieses Buch mit seinen wenigen 189 Seiten künstlich gestreckt wurde. Soll vermieden werden, dass dem Leser sehr schnell auffällt, dass für den Kaufpreis von 18€ recht wenig Inhalt geliefert wird? Diese Frage beantworte ich mit ja.
Die Geschichten habe ich in einer Nacht weg gelesen. Ich mag den Schreibstil. Die Erzählperspektive und die kurz gehaltenen Sätze. Doch mehr auch nicht. Nachdem ich „Schuld“ und „Verbrechen“ gelesen hatte, war ich bereits von den Romanen enttäuscht. Nun las ich die erste Geschichte und dachte, nachdem ich sie gelesen hatte: Das war es nun? Ich hielt diese für einen Ausrutscher in dem Buch und begann die nächste. Das Ergebnis änderte sich nicht. Das Buch wurde von mir nur deshalb in einer Nacht gelesen, weil ich die Hoffnung hatte, gleich kommt eine Geschichte, die so gut ist, wie in den anderen Büchern. Diese Hoffnung wurde enttäuscht. In den Geschichten wird viel über Einsamkeit geschrieben und es geschieht auch der eine oder andere Mord. Darüber wird mit einer Nonchalance geschrieben, die mich ein wenig an Ingrid Noll erinnert. Insgesamt wirken die Geschichten, insbesondere „Tennis“ als unausgegoren, lieblos und nicht ausgereift.
Ich kann mich einfach des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Geschichten nur veröffentlicht worden, um etwas zu veröffentlichen. Wäre ein anderer Schrifttyp verwendet worden, würde dieses Buch keine 150 Seiten umfassen. In Zusammenhang mit dem o.g. Preis eine Unverschämtheit.

„Read what I see:“ K-Ä-W-I-N oder Im Freibad

Der Sonntagmorgen im Freibad begann leise und unaufgeregt. Die Schwimmer und Schwimmerinnen grüßten sich noch, wenn sie aus dem Schwimmerbecken stiegen oder man sich unter den Duschen begegnete.
Langsam füllte sich das Freibad mit Freizeitschwimmern, Sonnenanbetern und mit Kevin, Louis und Leo. Diese Jungen waren mir zuvor unbekannt, im Laufe des Tages kannte ich mindestens die lauten Rufe ihrer Mütter. Louis Mutter setzte sich so auf eine Holzbank, dass sie sich mit dem Rücken an ein Gitter anlehnen konnte und verharrte für mehrere Stunden in dieser Stellung. Sie platschte dort und bewegte sich keinen Zentimeter, schrie gerne herum. Benötigte sie ein Papiertaschentuch, so ging es folgendermaßen. „Louis“ wurde lauthals gebrüllt „hol´mir ein Tempo.“ Hörte Louis nicht sofort, so schrie sie seinen Namen einmal, zweimal oder auch dreimal. Je nachdem aus welcher Ecke des Freibads er kam und der Weg zu ihr dementsprechend lang war. Dann griff er in die Badetasche und reichte ihr das gewünschte. Den Namen des zweiten Jungen erfuhren die Badegäste nicht, da sie nie nach ihm rief. Durch ihr Geschrei wurde die Aufmerksamkeit vieler Badegäste auf sie gelenkt. Der eine nahm nur die schwarz lackierten Fußnägel wahr und fragte sich sicherlich, ob Louis ihr die auch hat lackieren müssen. Die Beine waren komplett mit dicken Krampfadern durchzogen, die Bräune kaschierte etwas die stark ausgeprägte Orangenhaut. Der Haarschnitt hatte bereits bessere Zeiten gesehen. Der Badeanzug ebenfalls. So saß und saß sie dort über Stunden. Wenn sie etwas benötigte, schrie sie nach Louis, der es ihr brachte. Als die beiden Jungs sie baten ein Eis kaufen zu dürfen, verneinte sie es. Nicht leise. Oh Mann, ihr schreien war schon ohrenbetäubend, doch ihre Kodderschnauze nicht weniger unangenehm anzuhören. Louis durfte eine Tüte mit Zwiebelringen aus einer Tasche holen. Die Durstmacher. So war es nicht verwunderlich, als die Jungs kurz darauf wiederkamen und um etwas zu trinken baten. Laut wurde es verneint und ich weiß nicht, wo sie ihren Durst stillen konnten. Als sie mit ihren beiden Jungs das Freibad verließ wurde es bedeutend ruhiger in der Ecke.
Bis Kevin kam. Ein kleiner, braun gebrannter Junge mit Hüftspeck über der Badehose. Im Alter von ca. 10 Jahren. Begleitet von einer Mutter, die in einem schwarzen Badekleid gekleidet war und deren dauergewelltes und blondiertes Haar vor zwanzig Jahren modern gewesen war. Der Vater trug ebenfalls schwarze Badekleidung und ähnelte seinem Sohn optisch sehr. Oder umgekehrt. Für mich war es eine Überraschung den Namen Kevin zu hören. Ich hatte wirklich gedacht, dass der Name unter den Kindern bis zehn Jahre ausgestorben wäre. Kevin nahm seine übergroße Wasserpistole, stellte sich auf die Kinderrutsche und machte sich ein Vergnügen daraus, kleine Kinder, die noch in Windeln herumliefen, ins Gesicht zu spritzen. Oder Kinder, die rutschen wollten, so lange zu bespritzen, bis sie weinend davonliefen. In wenigen Minuten wurde er der Herr über Rutsche und Sandkasten. Keine Kinder hielten sich dort mehr auf. Also bespritzte er größere Kinder, die sich hätten wehren können. Nun bemerkten auch seine Eltern, dass es für Kevin eng werden könnte.  „K-Ä-W-I-N“ schrie sein Vater. „Komm her.“ Das war Kevin egal. Er schaute seinen Vater an, der weiter an seiner Bierflasche nuckelte, und bewegte sich keinen Zentimeter. Als wüsste er, dass auch sein Vater sich nicht von der Stelle bewegen würde. Kevin ging zum Kinderschwimmbecken, füllte seine große Wasserpistole auf und nahm Jugendliche ins Visier. „K-Ä-Ä-Ä-W-I-N“ brachte schier mein Trommelfell zum Platzen. Nun brüllte auch die Mutter. Der Junge bewegte sich weiterhin nicht, seine Eltern ebenfalls nicht. Inzwischen sprachen Erwachsene Kevin an, doch er reagierte nur mit weiteren Stößen aus seiner Wasserpistole. Vermutlich konnte sich niemand der Anwesenden dafür entscheiden, ob sie den unerzogenen Kevin nervig fanden oder die brüllenden Eltern, die sich keinen Zentimeter von ihren Liegen bewegten, während sie die Bierflaschen leerten. Ich verpasste den Augenblick als jemand Kevin die Wasserpistole entzog. Nun gab es erneutes Gebrüll. Allerdings ohne Namensnennung. Kevin brüllte sich die Seele aus dem Leib. Irgendwann stand sein Vater auf und zog Kevin zu seiner Liege. Auf eine rabiate Art und Weise zeigte der Jungen sein Missfallen darüber, indem er seinen Vater ins Gemächt boxte. Nicht nur ich verkniff mir ein Lächeln. Wenige Minuten später wurde es still. Kevin mit Anhang hatte das Bad verlassen.
Entspannt saß ich auf meiner Liege, trank einen Kaffee, las in meinem Buch und beobachtete über die Sonnenbrille schielend den Bereich um das Kinderschwimmbecken. Auffällig viele Männer mit Brüsten kamen auf ihrem Rückweg vom Kiosk daran vorbei. Badehosen in verschiedensten Neonfarben passierten auf zwei Beinen den Weg am Becken und manch einer konnte es nicht abwarten sofort seine Pommes zu naschen. Mit der Bierflasche in der rechten Hand, der Schale mit Pommes in der linken, gestaltete es sich ein wenig schwierig. Also wurde der Mund in die Pommes getunkt, mit den Zähnen zwei, drei verschlungen und die Mayonnaise fand den Weg an die Nasenspitze. Die Nasenspitze entsprach farblich nun der Farbe des Oberkörpers.
Das Kinderschwimmbecken füllte sich wieder mit Kindern, die plantschten, die Fontänen zu bändigen versuchten und einfach ihren Spaß haben wollten. Ein Mädchen kam mit ihrem kleinen Bruder dazu. Sie spritzten sich nass und er setzte sich auf eine Fontäne. Nun ging es los. Sobald er etwas machte, kommentierte er es mit lauten Schreien und gutturalen Lauten. Verließ er die Fontäne: schreien. Kam seine Schwester oder ein anderes Kind in seine Nähe: schreien. Innerhalb weniger Minuten hatte er das Kinderbecken leer geschrien. Auffällig war, dass er dabei immer in Richtung des großen Beckens schaute und schrie. Plötzlich wurde er still. Nein, sein Kopf war nicht unter Wasser geraten. Eine Frau, die nur auf ihr Smartphone stierte, näherte sich. Von nun an sprach er in ganzen Sätzen. Machte sie auch nur Anstalten, wieder weg zu gehen, schrie er. Er schrie sich schier seine Mutter herbei. Sie musste nur anwesend sein und dabei noch nicht einmal mit ihm sprechen oder ihn gar anschauen. Er erzählte ihr alles, was er gerade tat. Unabhängig davon, dass sie ihm nicht antwortete, sondern sich nur mit ihrem Smartphone beschäftigte. Mir tat der Junge leid. Als die Mutter wieder zu ihrem Liegeplatz ging, schrie er auf Kommando los und die inzwischen wieder eingetroffenen anderen Kinder verließen erneut das kleine Becken. Irgendwann nahm seine Schwester ihn an die Hand und sie gingen.
Es wurde so still.
Das Kinderbecken füllte sich erneut. Ich  begann einige Runden im großen Becken zu drehen bis mir ein großer, übergewichtiger Mann beim seitlichen einspringen ins Becken fast auf den Kopf sprang.
Ein Zeichen das Freibad für heute zu verlassen.