Kolumne: Prinzessin Tausendschön
Wir kennen sie alle: Die Märchen, in denen hochmütige Prinzessinnen die Hauptrolle spielen. Zu überheblich, um auf den ersten Blick den unter Umständen versteckten Traumprinzen zu erkennen. Manchmal gelingt es ihnen über einen Umweg einen Bauern, Schweinehirten oder Handwerker kennenzulernen und ihr Glück zu finden. Gelegentlich sitzen sie noch heute auf ihrem Seerosenblatt. Verweilen in ihrer eigenen Welt und klagen diese an. „Alle sind böse.“ oder „Alle sind gegen mich.“ lauten die Lieblingssätze und Gedanken.
Prinzessin Tausendschön gibt es in verschiedenen Formen auch in der heutigen Zeit. Das Seerosenblatt wurde gegen die pastellfarbene Couch getauscht. Umgeben von dicken Kissen und Flaschen wird hier der größte Teil des Tages verbracht. Statt dem summen der Bienen, summt der Fernseher rund um die Uhr. RTL II, RTL oder VOX – was die Stimmung gerade begehrt wird in Endlosschleife angeschaut. Natürlich ist das Umfeld der heutigen Prinzessin ihr gegenüber böse. Zumindest in ihrer ureigenen Wahrnehmung: „Mein Ex-Mann gibt mir nicht meinen Anteil am Haus.“ „Mein Rechtsanwalt vertritt mich nicht richtig beim Hausverkauf. Der lässt meinen Ex-Mann viel zu lange auf Zeit schinden und ruft mich nie zurück.“ „Meine Kinder wollen nur mein Geld.“ „Meine Schwester gibt mir mein Erbe nicht.“ Und und undDer Blick und das Gehör sind nur auf sich ausgerichtet. Prinzessin Tausendschön steht im Mittelpunkt ihrer Welt. Sitzt im Mittelpunkt ihrer Welt: Dem Sofa. Verlässt diesen Mittelpunkt nur, um den Weinvorrat aufzufüllen und sich über die Menschen aufzuregen, die gegen sie sind. Die Steuerberaterin arbeitet nicht korrekt bzw. gar nicht und bucht stattdessen stets Rechnungen ab. Die behandelnden Ärzte verstehen sie nicht und hören ihr natürlich nicht zu. Fordert eine Fachfrau die Prinzessin, geschieht dies angeblich ebenfalls nur auf Aufforderung der Familie, die gegen die Prinzessin agiert.
Behörden, Wohnungsbaugesellschaften oder Versicherungen: Niemand versteht sie, alle wollen sie nur ausnutzen. Ihr nicht das geben, was ihr zusteht.
Freunde und Freundinnen haben sich vollkommen zurückgezogen. Sie zollen ihr nicht mehr den nötigen Tribut in Form von uneingeschränkter und sofortiger Aufmerksamkeit. Andererseits hält sie ihre wenigen Verpflichtungen ihnen gegenüber nicht mehr ein.
Statt zu reflektieren und nach der Ursache zu schauen, werden in einem Anflug eines kleinen Kaufrausches mehrere Kartons des billigen ALDI Rotweins gekauft und nicht nur die erste Flasche geöffnet. Rotwein hilft: Gegen die böse Welt, das angebliche Nichtverstehen der eigenen Person durch Ärzte, Verwandte und Behörden. Statt Energie zu geben um es mit jenen aufzunehmen, wird der Gang des Vermeidens und Verleugnens weiter bestritten.
Die Prinzessin ertrinkt in Selbstmitleid und in der selbst erschaffenen Einsamkeit. Hobbies werden kaum noch in Angriff genommen, der Rotwein am frühen Morgen verhindert es.
Wie wird es mit Prinzessin Tausendschön weitergehen? Wird sie von ihrem Seerosenblatt fallen und im Teich ertrinken? Wer kann die Rolle des Traumprinzen oder Schweinehirten übernehmen und sie aus ihrer Gedankenwelt holen? Den Blick öffnen, den „Verfolgungswahn“ auflösen? Ihre Allüren in die richtigen Bahnen lenken?
Oder wird sie ohne Traumprinz endgültig vom hohen Ross fallen?
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