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„Read what I see:“ Eine Bootsfahrt, die ist …..

Das Geräusch von kratzender Kreide auf einer Tafel ist eines der gemeinsten Geräusche, die ich kenne. Es gibt ein Geräusch, welches nicht gemein ist, mich aber unendlich nervt: Das Gekreische von Metallstühlen, welche auf Bootdecks hin und her geschoben werden. Ratsch, ratsch. Auf Decks von Ausflugsbooten. Es sind diese Art von Stühlen, die auf der Sitzfläche drei Verstrebungen und an der Rücklehne zwei Verstrebungen haben. Alternativ fünf kleine auf der Sitzfläche und drei auf der Rückenfläche. Könnten meine Ohren sprechen, so würden sie laut brüllen. „Hebt die Stühle an und schiebt sie nicht einfach hin und her!“ Doch wie könnte es man den bequemen Ausflüglern erklären? Da wäre das verhaltensauffällige Kind mit den bildungsfernen Eltern. Die würden es doch gar nicht verstehen. Oder verstehen wollen. Die zittrige, kleine Oma, die mit ihrer nicht weniger zittrigen männlichen Begleitung alle zwei, drei Minuten mit unsicheren, sehr kleinen, Schritten zur Reling geht, auf den Horizont schaut, um dann wieder langsam zu ihren Tisch zu gehen und mindestens eine Minute ihren Stuhl in Position schiebt, sich dann so hinein plumpsen lässt, dass sie mit ihm weg rutscht und ihn erneut zu schieben beginnt. Ratsch, ratsch. Sie verfügt wirklich über eine kleine Statur, trägt eine weiße lange Hose, darüber ein rosafarbenes Rüschentop. Von hinten sieht man ihre fleischfarbene Miederhose aus dem Hosenbund herausragen. Jemand sollte sie darauf aufmerksam machen.
Ratsch, ratsch, ratsch, ratsch. Die Stühle werden erneut geschubst, geschoben und sich ein Plätzchen eingerichtet. Je nachdem wie schwer die Gäste sind knattern dies Stühle zusätzlich kräftig.
Ein Pärchen setzt sich hin und ruft sofort nach der Bedienung. „Ein großes Weizen und einen Aperol.“ Er trägt eine kurze Jeanshose, rotes Achselshirt, die seine Tattoos auf den Armen zeigen, Flips Flops und eine schmale Sonnenbrille. Das Gesicht ist unrasiert. Eine Lederkette mit Kreuz ziert den breiten Hals, im linken Ohr blinkt ein Ohrring. Sie trägt ebenfalls eine kurze Jeanshose, ein rosafarbenes Top und Flip Flops. Als sie aufsteht schmatzen diese auf dem Boden des Decks. Ihre in der Armbeuge getragene Handtasche blinkt durch die Anzahl der angebrachten Strasssteine. Diese sind auch an ihrer Sonnenbrille reichlich vertreten. Sie kommt mit einem großen Weizenbier zurück, verschüttet beim Laufen die Hälfte auf dem Boden. Als sie mit ihren Flip Flops dort hinein tritt, verwandelt sich das schmatzende Geräusch in ein „gleich lege ich mich lang“ Geräusch. Leichte Schadenfreude macht sich in mir breit, die nicht erfüllt wird.
An der nächsten Anlegestelle kommen weitere Ausflügler an Bord. Die nächsten Minuten sind gefüllt mit Stimmengewirr und Fragen wie: „Wo sollen wir uns hinsetzen?“ „Ist dieser Stuhl noch frei?“ „Maaaaamaaaa, wo ist das Klo?“, währenddessen die Stühle von vorne nach hinten und zur Seite gerückt werden. Die damit einhergehende Geräuschkulisse sprengt fast meine ohrale Toleranzgrenze. Ratsch, ratsch höre ich im Akkord. Um mich abzulenken beobachte die Gäste. Eine alte Frau mit Sonnenhut, der sich durch den Wind ständig von ihrem Kopf löst, zerschneidet hingebungsvoll zwei Äpfel in achtel mit denen sie ihren betagten Ehemann füttert. Als die Kellnerin sie nach ihrem Getränkewunsch fragt, wird diese mit herrischem Ton weggeschickt.
Links von ihnen sitzt eine Familie mit Kindern, wobei mir die Eltern auffallen. Er schaut ständig an sich herunter, spricht über seine nicht vorhandene Körperbräune und schiebt sein T-Shirt an den Oberarmen hoch, damit diese auch braun werden. Blöderweise rutschen diese immer wieder herunter. Er rollt sie wieder hoch. Das Spiel geht nun seit über zehn Minuten. Mir erschließt sich der Sinn der Aktion nicht, da der Rest der Arme bleich ist. Hofft er in einer Stunde Fahrt eine nahtlose Bräune an den Armen zu bekommen?
Rechts von ihm sitzt seine Frau. Die Haare sind wasserstoffblond gefärbt, das pinkfarbene T-Shirt legt sich eng an den Oberkörper. Mit einem Coffee to go Becher in der Hand ließ sie sich krachend in einen der Stühle fallen, der unter ihr, mit ihr ein Stück wegrutscht. Dadurch überhaupt auf sie aufmerksam geworden fallen mir besonders die Oberschenkel ins Blickfeld, die links und rechts am Stuhl herausquellen. Es fällt mir schwer vorzustellen, wie sie aus diesem unbeschadet aufstehen wird. Auch sie trägt eine Sonnenbrille, die mit vielen Strasssteinen besetzt ist. Um ihren kräftigen Hals, den man nur von hinten betrachten kann, denn vorne ist er vom Doppelkinn überlagert, trägt sei eine dicke Perlenkette. Ob es sich um künstliche oder echte Perlen handelt mag ich nicht beurteilen, Ihre pink lackierten Fußnägel beißen sich farblich mit dem pink ihres T-Shirts.
Das verhaltensauffällige Kind mit der Stimme von Chucky, der Mörderpuppe, ist verschwunden oder zumindest schweigsam. Allgemein befinden sich sehr wenige Kinder auf dem Schiff. Ein etwa dreijähriger Junge verfüttert seine Chicken Nuggets an die Enten im See, die es dort gar nicht gibt. Erst als das letzte Nugget über Bord geworfen wurde bemerken die Eltern, dass der Teller ihres Sohnes zwar leer, er aber nicht satt geworden ist. Sein Geschrei verdeutlicht es.

Mein Ziel ist erreicht und ich stehe auf. Ebenso die alte Dame mit Hut, die zuvor noch ihre Äpfel klein geschnitten hatte. Die Abfälle dreht sie in ein kleines Stück Zeitungspapier ein, welches sie dann zwischen zwei Streben am Stuhl quetscht.

Beim Verlassen des Schiffes bemerke ich erneut, dass manche männliche Angestellte Allüren an den Tag legen und sich für die schönsten weit und breit halten. Oder zumindest wie Sascha Hehn als Steward auf dem Traumschiff fühlen, Dabei reicht es bei den eitlen Gockeln noch nicht einmal zur abgehalferten Version.