Hans Pleschinksi: Königsallee
Klappentext:
Sommer 1954: Thomas Mann kommt zusammen mit seiner Frau Katia nach Düsseldorf, um aus dem „Felix Krull“ zu lesen, der sich zum Bestseller entwickelt. Im selben Hotel, dem „Breidenbacher Hof“, ist gleichzeitig Klaus Heuser, auf Heimaturlaub aus Asien, mit seinem Freund Anwar abgestiegen, ein Zufall, der es in sich hat. Denn Klaus Heuser, den er 1927 kennengelernt hatte, gehört zu Thomas Manns großen Lieben. In der Figur des Joseph hat er ihm ein Denkmal gesetzt. Nun sorgt die mögliche Begegnung der beiden für größte Unruhe, zusätzlich zu dem Aufruhr, den der Besuch des ins Exil gegangenen Schriftstellers im Nachkriegs-Deutschland ohnehin auslöst. Erika Mann mischt sich ein, Golo Mann und Ernst Bertram verfolgen ihre eigenen Ziele, und die Honoratioren der Stadt ringen um Haltung. Dazwischen die ewigen Fragen der Literatur, nach Ruhm und Verzicht, der Verantwortung des Künstlers und dem Preis des eigenen Lebens, nach dem Gelingen und Rang. Anschaulich und dezent, auf der Folie realer Vorkommnisse und bisher unbekannter Dokumente, dabei mit einem Anklang an „Lotte in Weimar“, lebendig und kenntnisreich, atmosphärisch und voll sprechender Details und unvergesslicher Figuren erzählt Hans Pleschinski in diesem großen Roman von Liebe, Verantwortung und Literatur – und von den 50er-Jahren in Deutschland.
Dieses Buch lieh ich mir ursprünglich aus, da es hier um Düsseldorf in den 50er Jahren geht.
Dass es sich um Thomas Mann und seinen ersten Besuch in Deutschland nach dem Krieg handelte, war für mich eher nebensächlich.
Sicherlich hatte ich Bücher von Thomas Mann gelesen, doch kann ich in seiner Biographie eher über die tragischen Selbstmorde einige seiner Kinder erfahren. Er selber, oder seine Frau, waren mir als Person nicht so wichtig. Biographien, die angelesen wurden, wurden wieder weg gelegt, da sie mir zu trocken waren.
Doch nun stieß ich auf „Königsallee“. Da ich einige Jahre in Düsseldorf lebte, kannte ich natürlich diese Straße und ja, ich kenne den Breidenbacher Hof nicht nur von außen.
Diese Geschichte interessierte mich. Wie war das Hotel in den 50er Jahren? War es in dieser Zeit auch so steif? So würdevoll?
Dieses Bedürfnis mehr darüber zu erfahren wurde auf den ersten 70 Seiten gut gestillt. Letztendlich wurde nur beschrieben, wie sich das Hotel auf den Besuch vorbereitet. Auf „ihn“.
Sehr sehr nett zu lesen.
Dem folgte die Einführung der Figur des Klaus Heuser. Jemand den Thomas Mann als 18-jährigen auf Sylt kennen lernte und später in sein Haus nach München einlud.
Dort küsste Thomas Mann Klaus Heuser und es wurde klar, dass Klaus Heuser eine der großen Lieben im Leben Thomas Manns war. „Verewigt“ in der Figur des Joseph.
Klaus Heuser ist nun das erste Mal nach vielen Jahren auf Heimatbesuch in Düsseldorf, begleitet von seinem Freund Anwar Batak Sumayputry.
Nun setzen sowohl Erika Mann (Tochter) als auch Katia Mann (Ehefrau) alles daran, dass der 79-jährige Thomas Mann im Hotel nicht auf seine ehemalige große Liebe stößt.
So besucht Erika Klaus Heuser und Partner in deren gemeinsamen Schlafzimmer, erzählt und hält lange Monologe. Zeigt ihr schauspielerisches Talent. Für meinen Geschmack hätten diese Seiten etwas kürzer ausfallen dürfen, andererseits habe ich so einiges über die Mann´s erfahren.
Um keine Langeweile aufkommen zu lassen, erhält Klaus Heuser anschließend Besuch von Ernst Bertram. Patenonkel von Thomas Manns Tochter Erika, 70-jähriger Kriegsverbrecher und Dichter. Unter anderem verbrannte er Bücher mit Ausnahme derer von Thomas Mann.
Er möchte Verzeihung von Thomas Mann und möchte Klaus Heuser als Vermittler nutzen.
Doch dieser will nicht vermitteln.
Puh, diese Begegnung fand ich anstrengend, für das Buch aber wichtig.
Letztendlich taucht auch der Beisser, Golo Mann, bei Klaus Heuser auf. Auch er möchte etwas von ihm: Dass Klaus Heuser nach der Lesung Thomas Manns diesem sein neues Buch überreicht.
Klaus Heuser verweigert all´ diese Gefälligkeiten. Genießt die Zeit mit seinem Freund, genießt den Aufenthalt und nimmt letztendlich an dem Empfang nach der Lesung statt und trifft auf seinen alten Freund und „erfüllt“ alle Aufträge, um die er gebeten wurde.
Ein tolles Buch, welches mich sehr in den Bann gezogen hat.
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„Appes Bein“ (Dornröschen)
Wieder einmal saß Elfriede Machewsky auf der alten Bank im verrotteten Freizeitpark in Bottrop. Sie mochte die morbide Atmosphäre dieses Parks. Grünzeug überwucherte die verrosteten Geräte, die Wurzeln auf den ehemaligen Gehwegen brachten sie zum Stolpern. Die große, dornige, Hecke ließ ihre Gedanken abschweifen.
Schloss sie die Augen, zu fühlte sie sich wie Dornröschen. Kein wunderbares Schloss erträumte sie sich, eher ein kleines Hexenhäuschen. Gelegentlich träumte sie von einem Prinzen auf dem weißen Ross.
Vor einiger Zeit fiel sie in die Dornenhecke, die Wurzeln auf dem Gehweg waren einfach zu heimtückisch und brachten sie zu Fall. Kein Prinz befand sich in der Nähe, der den Stachel aus ihrem rechten Oberschenkel heraus zog. Ihr Prinz, Gerd Schmolke, war daheim und übersah ihn als sie zurückkam. Später ärgerte sich der Prinz, dass er nicht zur Stelle war, als der böse Stachel seine Elfriede so quälte.
Allmählich führte der Stachel zu einer Blutvergiftung. Viel zu spät suchte sie die Notaufnahme auf. Der liebe Chefarzt in der Notaufnahme sprach nur: „Schnell. Amputieren bis zum Oberschenkel.“
Dornröschen hörte es nicht. Das letzte was sie sah, war „Edward mit den Scherenhänden“. Als sie aufwachte wusste sie, Edward hatte sich um ihr Bein gekümmert und eine schicke Narbe genäht, die dem Dr. Mang vom Bodensee alle Ehre machen würde.
Elfriede gewöhnte sich an ihr appes Bein. Ja, die Elfriede hatte keine AOK Prothese, die jedem das Eigenleben zeigte. Nein, dem Dornröschen gebührte eine Vollprothese. Schick verkleidet und dem bleichen linken Bein in nichts nachstehend.
Ihr schicker Erwin halt.
Wenn sie so auf ihrer Bank im ehemaligen Freizeitpark saß, hielt sie schon mal Zwiegespräche mit ihrem Erwin. Fragte ihn auch wie denn der schöne rote Chanel Nagellack besser auf den Zehen halten könnte.
Ihr Gerd nuckelte gerne an ihren Zehen. Noch beklagte er sich nicht darüber, dass ihm ihr linker Fuß weiterhin besser mundete, als der Plastikgeschmack ihres Erwins. Sie fand aber, dass es ziemlich blöde aussah, wenn sich nach seiner Nuckelei rote Nagellackreste zwischen seinen gebleichten Zähnen befanden. Es erinnerte sie an ältere Frauen, deren Lippenstift allzu oft den Weg von den Lippen auf die Zähne fand.
Küssen mochte sie Gerd Schmolke anschließend nicht mehr.
Was ihr appes Bein gar nicht mochte, war, wenn Elfriede wieder einmal Schmetterlinge im Bauch hatte. Die Schmetterlinge blieben einfach nicht im Bauch. Sie flogen rum und schwupps kribbelte es in der Hüfte. Zu viel kribbeln führte dazu, dass das Bein abfiel.
Sah Elfriede einen gut trainierten Bauarbeiter mit einem verschmitzten Lächeln, war es um sie geschehen. Es kribbelte, sie verlor ihren Erwin und schwupps lag sie auf dem Gehweg.
Gerd Schmolke fand das gar nicht gut. Musste er Elfriede vom Gehweg auflesen, war ihm klar, dass wieder die Schmetterlinge im Spiel gewesen waren.
In seiner Gesellschaft hatte sie ihren Erwin zuletzt vor 8 Wochen verloren. Es geschah in dem Moment als er vor ihr kniete, ihren linken Fuß leicht im Mund, und sie mit einem Blick betrachtete, der sagte: „Du mein Dornröschen, bist die schönste, liebenswerteste Frau der Welt.“
Der Blick änderte sich auch nicht, als er eine Zehe von Erwin in den Mund nahm. Spätestens da wurde ihr bewusst, dass sie keinen Prinz auf dem weißen Ross benötigen würde. Sie hatte ihren Prinzen. Ihr Hexenhäuschen war die 3 Zimmer Wohnung in Bottrop, ihr Prinz der Gerd.
Ihr Erwin eine Art Stallknecht, der dafür sorgte, dass sie weiterhin gut zu Ross, äh Fuß, war.
Foto: Pixabay.com
Hape Kerkeling: Der Junge muss an die frische Luft: Meine Kindheit und ich
Klappentext:
Mit »Ich bin dann mal weg« hat er Millionen Leser inspiriert, persönliche Grenzen zu überschreiten. Jetzt spricht Hape Kerkeling über seine Kindheit; entwaffnend ehrlich, mit großem Humor und Ernsthaftigkeit. Über die frühen Jahre im Ruhrgebiet, Bonanza-Spiele, Gurkenschnittchen und den ersten Farbfernseher; das Auf und Ab einer dreißigjährigen, turbulenten Karriere – und darüber, warum es manchmal ein Glück ist, sich hinter Schnauzbart und Herrenhandtasche verstecken zu können. Über berührende Begegnungen und Verluste, Lebensmut und die Energie, immer wieder aufzustehen. »Was, um Himmels willen, hat mich bloß ins gleißende Scheinwerferlicht getrieben, mitten unter die Showwölfe? Eigentlich bin ich doch mehr der gemütliche, tapsige Typ und überhaupt keine Rampensau. Warum wollte ich also bereits im zarten Kindesalter mit aller Macht „berühmt werden“? Und wieso hat das dann tatsächlich geklappt? Nun, vielleicht einfach deshalb, weil ich es meiner Oma als sechsjähriger Knirps genau so versprechen musste …« Hape Kerkeling, der mit seinem Pilgerbericht »Ich bin dann mal weg« seine Fans überraschte und Leser jeden Alters begeisterte, lädt auf die Reise durch seine Memoiren ein. Sie führt nach Düsseldorf, Mosambik und in den heiligen Garten von Gethsemane; vor allem aber an die Orte von »Peterhansels« Kindheit: in Recklinghausens ländliche Vorstadtidylle und in die alte Bergarbeitersiedlung Herten-Scherlebeck. Eindringlich erzählt er von den Erfahrungen, die ihn prägen, und warum es in fünfzig Lebensjahren mehr als einmal eine schützende Hand brauchte.
Als ich das Buch in die Hand nahm, dachte ich die Biografie eines bekannten Künstlers in den Händen zu halten. Eines Künstlers, den vermutlich jeder Deutsche mag, die meisten kennen und der uns immer prächtig amüsiert hat. Jahre zuvor sah ich ein sehr langes Interview/Talk Show mit ihm im Fernsehen und wurde damals neugierig. Wäre sie nicht weit nach Mitternacht ausgestrahlt worden, ich bereits mehr im Schlaf- als im Aufmerksamkeitsmodus, hätte ich damals bereits gemerkt, dass Hape Kerkeling nicht nur aus dem Komiker besteht. Alles andere würde mich auch wundern.
Ruckzuck waren 159 Seiten gelesen und ich dachte nur: Menno, er ist ja immer noch 8 Jahre alt. Wann wird sein Leben als Erwachsener beschrieben? Gelangweilt habe ich mich nicht, schließlich habe ich die knapp 160 Seiten an einem Tag gelesen. Erst nach diesem Gedanken schaue ich mir das Cover und sehe endlich den Satz: „Meine Kindheit und ich“. O.K. nicht ganz so groß geschrieben und dadurch schnell geeignet überlesen zu werden. Nun verstehe ich, warum immer noch wenig über Hape Kerkeling als Erwachsener zu lesen ist.
Sicherlich geschieht dies auf den ersten Seiten. Interessant zu lesen, mir aber oft zu pathetisch. beschrieben. Einige Adjektive diesbezüglich weglassend hätten mir gut gefallen.
Auch nach den ersten 160 Seiten wird von der Kindheit Hape Kerkelings erzählt.
Wunderbar beschreibt er seine Tanten und seine ihn prägenden Omas, sowie weitere Verwandte. Dies geschieht so plastisch, so gefühlvoll, dass ich manchmal das Gefühl habe: Drehe ich mich nun um, so würde ich sie hinter mir sehen können.
Das zieht sich durch das ganze Buch. In der Presse wurde sehr darauf eingegangen, dass er über den Suizid seiner Mutter schrieb. Ohne das Buch gelesen zu haben, zuvor das Interview gesehen zu haben, hinterließ diese Vorgehensweise auch einen schalen Geschmack bei mir.
Das ist falsch.
Zu seiner Kindheitsgeschichte gehören nicht nur die lustigen Beschreibungen seiner Familie, sondern auch die Beschreibung der Erkrankung seiner Mutter, die depressiv war. Diese erlebte er dermaßen hautnah mit und prägt ihn auch bis heute. Im Rahmen der chronologischen Erzählung würde es verwundern, wenn dieser Bereich ausgespart worden wäre. Hape Kerkeling erzählt brutal ehrlich aus seinem Leben. Unverblümt, offen, sehr plastisch und auch unheimlich kraftvoll. Ich las das Buch in anderthalb Tagen weg.
Ursprünglich hatte ich eine Biografie erwartet, die von seinem Aufstieg erzählt, vielleicht von schlechten Momenten oder mit Anekdötchen aufwartet.
Gut, dass er nicht ein solches Buch geschrieben hat, sondern schrieb, was er schrieb. Nein, er ist kein begnadeter Schriftsteller. Und ich bilde mir ein, die Brüche zu erkennen, als er beim schreiben lange Pausen machen musste.
Hier schrieb jemand authentisch über seine Kindheit und sein, in meinen Augen immer noch währendes Trauma über den Suizid seiner Mutter.
Dies auf eine Art, die berührt, kraftvoll ist, an seinen Gefühlen teilhaben lässt und mich als Leser mit ins Ruhrgebiet nimmt in Ecken, die auch ich noch erkenne.
Üblicherweise zitiere ich nicht aus den Büchern, die ich beschreibe. Heute mache ich eine Ausnahme.
„Ursprünglich sollte es die unterhaltsame Autobiografie eines schillernden deutschen Showstars werden. Ich wollte darüber schreiben, wie umwerfend und seligmachend das Gefühl ist, wenn man dem Publikum ein befreiendes Lachen entlockt. Darüber, dass es, aus der Künstlerperspektive betrachtet, bombastisch ist, wenn sich die Zuschauer in ihren Sitzen vor Lachen kugeln und an nichts anderes mehr denken können als daran, dass sie gerade fröhlich sind…..
Nun habe ich – und das ohne jede Absicht – die Geschichte einer verlorenen Kindheit gesagt. Es musste vielleicht einfach alles mal gesagt werden.“
Ich bin froh, dass er genau das in Form dieses Buches gesagt hat.






