Jeanette Walls: Vom Himmel der Sterne

Klappentext:
Die meisten Leute halten nicht viel von der jungen Sallie Kincaid. Sie ist die Tochter des Duke, mehr nicht. Aber Sallie hat andere Pläne – und sie wird alle davon überzeugen …
Sallie ist die Tochter des mächtigsten Mannes einer Kleinstadt in Virginia. Geboren zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ist sie fünf Jahre alt, als ihre Mutter nach einem Streit mit Sallies Vater, dem charismatischen Duke Kincaid, stirbt. Er heiratet erneut und bekommt einen Sohn. Als Sallie dem Halbbruder beibringen will, so stark wie der Vater – und sie selbst – zu sein, führt ihre waghalsige Nachhilfe zu einem schweren Unfall. Sallie wird verstoßen und muss das Anwesen verlassen.
Mit siebzehn Jahren kehrt sie zurück ins Große Haus, entschlossen, sich ihren Platz in der Familie zurückzuerobern. Doch der Duke ist tot, es gilt die Prohibition und in der Stadt herrscht Lynchjustiz. Sallie ist entschlossen, nicht ein zweites Mal zu weichen – und widersetzt sich der harten Männerwelt selbstbewusst und scharfsinnig, um sie für immer zu verändern.

Es gibt Bücher, die mag man nicht aus der Hand legen. Fasziniert blättert man eine Seite nach der anderen um, liest fast die Nächte durch und ist ein wenig enttäuscht, wenn die 448 Seiten gelesen sind. So erging es mir mit „Vom Himmel der Sterne“, in der die Sallie sich für mich zu einer Heldin ihrer Kleinstadt entwickelt. Sie ist die Tochter des mächtigsten Mannes einer Kleinstadt, den sie abgöttisch liebt. Als kleiner Wildfang verfängt sie ihren noch kleineren Halbbruder in einen Unfall und muss die Familie verlassen. So verbringt sie die nächsten Jahre in Armut bei ihrer Tante.

Mit 17 Jahren kehrt sie ins „große Haus“ zurück und muss sich ihren Platz erkämpfen. Als ihr Vater, genannt der Duke, bei einem Unfall stirbt, kämpft sie. Gegen ihre Familie, gegen die Männerwelt, für die Stadt und gegen die Prohibition. Dabei offenbart sie soziale Gerechtigkeit, viel Mut, Intelligenz, Geschick und kreative Ideen.

Ich könnte noch mehr ins Detail gehen, doch würde ich dann zu viel spoilern.

Warum konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen? Mir wuchs Sallie von der ersten Seite ans Herz. Vom kleinen Mädchen, bis zur Frau, die ihren Weg geht und dabei die Kleinstadt mitnimmt. Ihre Menschen, ihre wirtschaftliche Grundlage. Ihr Willen Hindernisse aus dem Weg zu gehen, die Menschen zu verbinden und die Schicksalsschläge zu überleben.
Wie in anderen Büchern von Jeanette Wells überzeugt weniger die Sprache, sondern die Zeichnung ihrer Charaktere. Nicht nur Sallie, auch die Nebenfiguren werden gut und logisch gezeichnet. So lebt das Buch von seiner Handlung und seinen Charakteren, die einen guten Einblick in das Leben einer Kleinstadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts geben.

Es wundert mich nicht, dass die Filmrechte bereits verkauft wurden.

Louise Kennedy: Übertretung

Klappentext:
Jeden Tag, während Cushla Lavery ihrer alkoholkranken Mutter das Frühstück macht, sich im Garten mit dem Nachbarn unterhält, ihre Grundschüler unterrichtet oder in der Bar ihrer Familie aushilft, werden die Toten und die Verletzten gezählt. Es ist 1975, und in Belfast eskaliert der Bürgerkrieg. Die katholischen Laverys betreiben ihren Pub in einer überwiegend protestantischen Vorstadt. Sie müssen vorsichtig sein – ein falsches Wort, schon findet man sich auf einer Todesliste wieder. In diesem »Höllenloch« gibt es vieles, was man besser nicht tut. Sich in einen verheirateten Mann verlieben, der nicht nur ein wohlhabender, angesehener Prozessanwalt ist, sondern auch noch Protestant. Sich einmischen, wenn ein Schüler schikaniert und sein Vater fast totgeprügelt wird. Gegen jede Vernunft beginnt Cushla eine leidenschaftliche Affäre mit dem deutlich älteren Michael Agnew, gegen jede Vernunft setzt sie sich für den kleinen Davy ein – und bezahlt einen hohen Preis. Louise Kennedys international gefeierter Roman erzählt von einer tief gespaltenen Gesellschaft, von einem Konflikt, dessen Wunden bis heute nicht geheilt sind, von Menschen, die versuchen, inmitten täglich stattfindender Gewalt ein normales Leben zu führen. Ein herzzerreißendes, bittersüßes, unvergessliches Buch.

Die junge, katholische Lehrerin Cushla ist die Hauptfigur in diesem Roman. Unterrichtet sie nicht, so wird sie durch ihre Familie eingebunden. Sie kümmert sich um die alkoholkranke Mutter und hilft im Pub ihrer Familie aus. Dazu liegt ihr ihr Schüler Davy am Herzen, dessen Familie und er schikaniert werden, da seine Mutter Protestantin ist, während der Vater Katholik ist.
In der Grundschule beginnt der Morgen mit den Nachrichten: Die Schüler zählen auf, was passiert ist: Eine Bombe hier, ein Mord dort, ein Bombenopfer hier, ein fast zu Tode geprügelter dort. Im Alltag sind dies keine außergewöhnlichen Nachrichten. Diese Geschehnisse prägen den Alltag. So ist es „normal“, dass der Nachbar täglich unter sein Auto schaut, ob dort eine Bombe platziert wurde.
In dieser Atmosphäre darf nicht geschehen, was geschieht. Sich als Katholikin in den angesehenen, älteren, protestantischen Prozessanwalt zu verlieben. Doch das geschieht Cushla, als sie im Pub der Familie Michael kennenlernt. Während sie unter einem Vorwand seine Freunde trifft, ist ihre Familie nicht informiert. Zu gefährlich wäre es für den Pub und ihre Familie.
Ich begann das Buch, als es auf der Shortlist zum British Book Award stand. Ich beendete es, als es diesen gewann. Die 304 Seiten faszinierten mich und ich las es fast in einem Rutsch. Der Inhalt fesselte mich. Nein, ich wuchs nicht in Nordirland auf, doch besuchte ich mehrmals Belfast und andere nordirische Städte. Noch über vierzig Jahre danach hat der Konflikt seine Spuren hinterlassen. Hierbei meine ich nicht die optischen. Mit Dubliner Kennzeichen versehentlich am Jahrestag in die Nähe des Marsches des protestantischen Oranier-Orden zu gelangen ist auch heute noch nicht ungefährlich.

Welch gewaltiges Buch über die Liebe. Eine verbotene Liebe. Angesiedelt in Nordirland der 70er Jahre, das von Gewalt, Religion, Politik und Alkohol geprägt ist.
Ein Buch, welches so anschaulich geschrieben ist, dass ich den Alkohol rieche, die Bombendetonationen höre und den Wunsch verspüre, dem Priester in die Fr… zu schlagen. (sorry.) Es verursachte mir mehrmals Gänsehautmomente. Natürlich werden irische Stereotypen verwendet, allerdings passend und es tut diesem tollen Buch keinen Abbruch.
Natürlich hoffte ich auf ein Happy End, obwohl der Spannungsbogen mir bewusst machte, dass es dieses nicht geben kann?

Wer so gewaltig schreibt, dass ich Raum und Zeit vergesse und das Buch nach der letzten Seite weinend weglege, der folge ich blind mit den nächsten Büchern, von denen ich hoffe, dass Louise Kennedy noch viele schreiben wird und kann. Nun bestelle ich mir erst einmal ihren Band mit Kurzgeschichten.
Und ich hoffe auf eine Verfilmung durch die BBC.

 

Foto: Steidl Verlag

Jan Costin Wagner: Einer von den Guten (Die Ben Neven Krimis, Band 3)

Klappentext:
Ben Neven, leitender Kriminalermittler, glücklich verheiratet, Familienvater, von Kolleginnen und Kollegen hochgeschätzt, ist einer von den Guten. Niemand weiß von seinem Doppelleben, niemand weiß, dass Neven einmal wöchentlich einen Parkplatz weit von zu Hause ansteuert. Um dort Adrian zu treffen, einen minderjährigen Jungen.
Während der Sommer verblasst und der Herbst anbricht, verstrickt sich Neven immer tiefer und auswegloser im Dickicht seines ungeheuerlichen Doppellebens. Und Adrian lernt die gleichaltrige Vera kennen, die ihm ein ganz anderes Leben zeigt. Ein Leben, das er nicht kannte und dass er vor seinem Vater, der ihn zur Prostitution zwingt, verbergen muss.
Sowohl Ben als auch Adrian müssen radikale Entscheidungen treffen, um die unhaltbare Situation zu ändern. Doch jeder Schritt ist ein Schritt am Abgrund. Wenn Neven sich jemandem anvertraut, steht seine Existenz auf dem Spiel. Und Adrian müsste sich von seinen Wurzeln und seinem alten Leben komplett lossagen. Werden sie einen Ausweg finden? Und wenn ja, um welchen Preis? 
Eine fein austarierte, hochmoralische Meditation über Menschen am Abgrund, die uns nach dem letzten Satz sprachlos und doch mit geschärftem Blick zurücklässt.

Puh, es gibt Bücher, bei denen man nach dem Lesen einen Schnaps benötigt. Oder auch zwei. „Einer von den Guten“ ist eines dieser Bücher. Die überschaubare Seitenanzahl von etwas über 220 Seiten reichen hierzu aus, um am Ende tief Luft zu holen.
Dies ist der dritte Band um Ben Neven, den Kriminalermittler von der Wiesbadener Polizei. Band 1 und Band 2 habe ich nicht gelesen, so dass mir Ben Neven als Figur und als Ermittler unbekannt waren. Um Band 3 zu verstehen, muss man die Vorgängerbücher nicht gelesen haben.
Ben Neven ist glücklich verheiratet, Vater einer kleinen Tochter und pädophil. Einmal wöchentlich trifft er den minderjährigen, rumänischen Adrian, der von seinem Vater gezwungen wird sich zu verkaufen.
Unweit des Parkplatzes, auf dem sich Adrian anbietet, befindet sich das Schwimmbad, in dem er die gleichaltrige Vera kennenlernt. Sie zeigt ihm ein anderes Leben. Ein kindgerechtes Leben. Gibt es eine Chance für sie? Gibt es eine Chance für ihn?

Während Adrian sich in das kindgerechte Leben einfindet, verstrickt sich Ben immer mehr in seine Lebenslüge.
Er outet sich seinem Mentor gegenüber und ist dennoch nicht ehrlich. Nicht dem Mentor gegenüber, nicht sich selbst gegenüber. Er redet sich seine Neigung sehr sachlich schön, was bei mir das Bedürfnis weckte ihn zu schütteln und zu schlagen. Gleichzeitig fühlte ich mich beklemmt.

Das Buch wird aus mehreren Perspektiven erzählt. Vorrangig aus der von Ben und der von Adrian. Ein geschickter Erzählstil, der, gerade durch die Sachlichkeit von Ben, dem pessimistischen Krimi guttut und mich fesselt.

Ist dieses Buch wirklich dem Genre Krimi zuzuordnen? Wird es ein Happy End geben? Kann ein Buch mit einem pädophilen Hauptcharakter ein Happy End haben?

Nein.

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