Martin Suter: Melody

Klappentext:
In einer Villa am Zürichberg wohnt Alt-Nationalrat Dr. Stotz, umgeben von Porträts einer jungen Frau. Melody war einst seine Verlobte, doch kurz vor der Hochzeit – vor über 40 Jahren – ist sie verschwunden. Bis heute kommt Stotz nicht darüber hinweg. Davon erzählt er dem jungen Tom Elmer, der seinen Nachlass ordnen soll. Nach und nach stellt sich Tom die Frage, ob sein Chef wirklich ist, wer er vorgibt zu sein. Zusammen mit Stotz` Großnichte Laura beginnt er Nachforschungen zu betreiben, die an ferne Orte führen – und in eine Vergangenheit, wo Wahrheit und Fiktion nche beieinanderliegen.

Man kann sich ein Buch noch so gut einteilen, irgendwann hat man es gelesen. In diesem Fall mit viel Genuss, denn schreiben kann Martin Suter.

Wie bereits häufiger geschehen, nimmt er sich auch in diesem Buch die Welt der Reichen vor. Dieses Mal in Form des Multimillionärs Dr. Peter Stotz, der nicht nur eine Karriere im Militär, sondern auch in der Politik, der Wirtschaft, als Mäzen uvm. hinter sich hat. Todkrank möchte er nun seinen Nachlass durch den jungen Juristen Tom ordnen lassen. Bei gemeinsamen Kamingesprächen in der Villa erzählt er Tom von seiner großen Liebe Melody, die vor über 40 Jahren – kurz vor der Hochzeit – verschwunden ist. Seitdem sucht er sie, die in der Villa immer noch durch Portraits, Altare und dem Lesezimmer präsent ist.
Die 329 Seiten lesen sich durch den schnörkellosen Schreibstil schnell. Die Rückblenden in die Vergangenheit machen neugierig darauf, ob es eine Erklärung für das Verschwinden von Melody gibt.
Leider stockt die Handlung zwischendurch etwas und durch ein paar Seiten musste ich mich tatsächlich durchquälen. Dies geht schnell vorbei und es geht umso packender weiter.
Eigentlich war es nicht Toms Aufgabe nach Melody zu suchen. Doch letztendlich ist es das, was ihn beschäftigt. Seine Aufgabe war es die „Wahrheit zu finden“.
„Hat sich die Fiktion geändert, weil sich die Wahrheit geändert hat?“

Bis auf wenige Seiten war es mal wieder Lesegenuss pur.

Karin Peschka: Dschomba

 

Klappentext:

Ein halbnackter Fremder tanzt zwischen den Gräbern des Eferdinger Pfarrfriedhofs. Es ist November 1954, ein nasskalter Tag, und Dragan Džomba ist auf der Suche. Vor dem Friedhofstor stehen die Bürger – aufgebracht, misstrauisch, neugierig. Nur der Dechant nähert sich dem Serben und gibt ihm schließlich Quartier im Pfarrhof. Dragan spricht nicht viel, immer wieder zieht es ihn hinaus zum Lagerfriedhof nahe der Donau. Dort, wo es kaum Spuren der Vergangenheit gibt, sucht Dragan aber genau diese. Er bezieht die Hütte auf dem „Serbenfriedhof“, schließt Freundschaften, erlebt Anfeindung und Argwohn. Jahre später, alt geworden, sitzt er im Gasthof „Zum roten Krebs“ am Stammtisch. Dem Fremden bleibt das Fremde haften, das Seltsame. Ab und zu stellt ihm die zehnjährige Wirtstochter ein Bier hin. Sie ist in ihren Tagträumen daheim und fühlt eine Verbindung zu dem Mann, der nach Wald und Erde duftet, der vor ihr da war und weiß, welche Geschichte sich unter den Feldern verbirgt. Mit „Dschomba“ schreibt sich Karin Peschka das Wissen um die Vergangenheit jenes Ortes, in dem sie aufgewachsen ist, in die eigene Biografie. Sie erzählt vom Leben in einer kleinen Stadt, von Begegnungen, von Lebenswegen und -wendungen, und ein wenig davon, wie es ist, als Wirtstochter aufzuwachsen.

Im Buch wird unter anderem die Geschichte von Dschomba, der einst in das Dorf Eferding kam und halbnackt auf dem Friedhof tanzte. Seine Geschichte und die Geschichte der Dorfbewohner werden über Jahrzehnte, in diesem etwas autobiografischem Roman häufig aus der Sicht der Wirtstochter erzählt, ohne dabei in kindliche Sprache zu verfallen. Wer aus den anderen Erzählperspektiven erzählt wurde mir nicht klar. Erschloss sich mir nicht. Apropos Sprache: Häufig werden unvollständige Sätze oder auch nur einzelne Worte verwendet, die der Grammatik nicht entsprechen. Mich brachte es ständig aus dem Lesefluss und mehr als einmal legte ich das Buch verärgert beiseite und ich benötigte Wochen, um das Buch zu lesen. Mit der Verwendung dieses Sprachstils hat die Autorin hoch gepokert und in meinen Augen verloren, denn die Geschichte des Dorfes, des Fremden, über Heimat, den 1. Weltkrieg, Liebe und die Dorfbewohner hätte ich gerne schneller gelesen. Die kurzen Kapitel. die letztendlich zu einem Gesamtbild führen, fand ich passend.

Zum Buch gehört eine kleine Übersichtskarte um Eferding herum und ein Glossar von serbischen Sätzen und Wörtern. Letzteres empfand ich als sehr nützlich.

Dem Buch werde ich im Herbst eine zweite Chance geben und erneut lesen. Vielleicht stören mich die häufigen eigenwilligen Sätze dann nicht mehr.

Trude Teige: Als Großmutter im Regen tanzte

Klappentext:

Eine starke Frau in dunklen Zeiten. Und eine junge Frau, die zurückschauen muss, um nach vorn blicken zu können.
Als Juni ins Haus ihrer verstorbenen Großeltern auf der kleinen norwegischen Insel zurückkehrt, entdeckt sie ein Foto: Es zeigt ihre Großmutter Tekla als junge Frau mit einem deutschen Soldaten. Wer ist der unbekannte Mann? Ihre Mutter kann Juni nicht mehr fragen. Das Verhältnis zwischen ihrer Mutter und ihrer Großmutter war immer von etwas Unausgesprochenem überschattet. 
Die Suche nach der Wahrheit führt Juni nach Berlin und in die kleine Stadt Demmin im Osten Deutschlands, die nach der Kapitulation von der russischen Armee überrannt wurde. Juni begreift, dass es um viel mehr geht als um eine verheimlichte Liebe. Und dass ihre Entdeckungen Konsequenzen haben für ihr eigenes Glück.
»Als Großmutter im Regen tanzte« erzählt davon, wie uns die Vergangenheit prägt bis in die Generationen der Töchter und Enkelinnen. Doch vor allem ist es eine Geschichte über die heilende Kraft der Liebe.
Drei Generationen, verbunden durch die Liebe und ein tragisches Geheimnis der Nachkriegszeit

Es gibt Bücher, die fesseln einen bereits nach wenigen Minuten. „Als Großmutter im Regen tanzte“ ist ein solches. Es gibt mehrere Erzählstränge, die im Laufe des Buches immer mehr miteinander verweben und erkennen lassen, warum die Beziehung der Großmutter Thekla mit ihrer Tochter Lilla so war, wie sie war. Warum Lilla trank und wiederum Schwierigkeiten mit ihrer Tochter Juni hatte, deren Geschichte, mit der der Großmutter, im Fokus dieses Romans ist. Diese bereits erwähnten verwebten Erzählstränge von Großmutter und Enkelin bewirken, dass ein sehr schöner Familienroman entstanden ist. Ein Liebesroman mit Happy End und teilweise ein historischer Roman. Sind einem die Vorgänge um Demmin und der Deutschenmädchen nicht bekannt, so lassen sie sich hier nachlesen.

Der Titel wirkt leicht und im Laufe des Buches wird deutlich, warum Großmutter im Regen tanzte. Der Grauen des erlebten Weltkriegs in Deutschland führte dazu, dass sie diese Momente benötigte und während eines solchen Tanzes im hohen Alter stirbt. Auf den ersten Blick scheint es sich um ein „leichtes“ Buch zu handeln, doch ist es viel mehr.

Ich kann gut nachvollziehen, warum es in Norwegen so erfolgreich war.

Maria Henk: Als Rangerin im Politik-Dschungel

 

Klappentext:

Maria ist Mitte dreißig und arbeitet seit Ewigkeiten in der Politik. Sie hat mehrere Wahlkämpfe mitgerockt, unzählige Politikerinterviews begleitet und so manche Krisenkommunikation gewuppt. Doch von der anfänglichen Euphorie im Job ist nichts mehr zu spüren. Das Kribbeln im Bauch ist einer abgeklärten Routine gewichen. Kaum ein Shitstorm kann sie mehr aus der Ruhe bringen. Sie beschließt, eine Auszeit zu nehmen, und beginnt eine Rangerausbildung in Botswana. Echte Wildnis statt Politik-Dschungel. Elefantentrompeten statt Politikerreden. Lagerfeuerabende statt Talkshowbesuche. Doch schnell erkennt sie: Politik-Dschungel und afrikanische Wildnis haben mehr gemeinsam, als sie je geahnt hätte …

Der Verlag stellt sich folgendermaßen vor: Kopfreisen Verlag – Der Verlag für Komfortzonenverlasser, Perspektivwechsler und Kopfreisende.
Mit dieser Beschreibung und der Information aus dem Klappentext wurden bei mir Erwartungen geschürt. Dieser suggeriert eine längere Ausbildung zur Rangerin. Der tatsächliche Urlaub hier als 6-wöchige Auszeit benannt, beinhaltet eine Ausbildung, die gerade 4 Wochen dauert.

Die Idee hinter dem Reisebericht und der gewonnenen Selbsterkenntnis, ist gut gemeint und wurde leider schlecht umgesetzt. Letztendlich liest sich das Buch wie ein Schulaufsatz, welcher mit Sätzen, die eher an Kalendersprüche erinnern, gespickt ist.
Die Vergleiche der Politik mit den Erlebnissen in der Rangerausbildung und während ihres Aufenthalts in Botswana sind… speziell. Seicht. Häufig habe ich da Gefühl, dass sie genannt werden, um dem Klappentext und dem Buchtitel einen Sinn zu geben. Als ehemalige Pressesprecherin der Grünen finden natürlich eher Politiker der anderen Parteien eine Erwähnung und müssen für Vergleiche herhalten. So wird Olaf Scholz gerne erwähnt und auch mal mit einem Stachelschwein verglichen. Natürlich darf das Verhalten Armin Laschets während der Flutkatastrophe im Ahrtal nicht unerwähnt bleiben.
Nach dem Lesen habe ich nicht wirklich etwas Neues erfahren, welches Tierdokumentationen, Lebenserfahrung und politisches Interesse mir nicht schon gezeigt hätten.
Der Ausstieg aus dem Hauptjob hin zu einer Tätigkeit in einer NGO wird zum Schluss beschrieben. Leider zu oberflächlich, als dass es nachvollziehbar ist. Die mehrmalige Nennung des zu engen Korsetts ändert daran leider nichts.
Von den 190 Seiten bleiben netto etwa 170 übrig. Das ist nicht viel. Doch zu viel, wenn die Formatierung im eBook das Lesen erschwert. Auf jeder Seite befinden sich zwischen einzelnen Worten viele Leerzeichen, die Absätze beginnen meist ebenfalls mit Leerzeichen. Ob diese überarbeitet werden ist mir nicht bekannt.
Schade, aus der Idee hätte man etwas machen können.

Nun weiß ich leider einmal mehr, dass nicht jede Journalistin automatisch eine gute Autorin ist.

Lars Keppler: Spinnennetz

Klappentext:
Knapp nur hat Kommissarin Saga Bauer den letzten Einsatz überlebt. Bevor sie endlich die Reha-Klinik verlassen kann, erreicht sie noch eine handgeschriebene Postkarte: „Eine blutrote Pistole liegt vor mir. In deren Magazin befinden sich neun weiße Kugeln. Eine dieser Kugeln ist für Joona Linna bestimmt. Die einzige Person, die ihn retten kann, bist du.“ Unterschrieben ist die Karte mit einem Anagramm vom Serienmörder Jurek Walter. Als Saga von dieser Drohung Joona Linna erzählt, winkt der ab. Er ist sicher, dass Jurek Walter nicht mehr lebt. Doch bald wird klar, dass die Drohung ernst gemeint war. Und damit beginnt die gefährlichste Jagd auf einen Serienmörder, die Schweden je erlebt hat …

Hochspannung ist von Anfang an in diesem Buch mit dem passenden Cover gegeben. Die Handlung erstreckt sich über pralle 656 Seiten und wieder einmal spielt Jurek Walter eine wichtige Rolle. Saga Bauer erhielt vor Jahren eine Postkarte in der beschrieben wird, dass es eine blutrote Pistole mit 9 weißen Kugeln gibt. Eine dieser Kugeln ist für Joona Lina bestimmt. Inzwischen hat sie die REHA-Klinik verlassen, arbeitet als Detektivin und hofft bald wieder als Polizistin/mit Joona Lina arbeiten zu können.
Der erste Mord geschieht, bei dem das Opfer mit einer weißen Kugel getötet wird. Wird Joona Lina nun das nächste Opfer sein? Bald wird klar, dass ein Serienmörder unterwegs ist. Lebt Jurek Walter doch noch? Hat er einen Komplizen?
Bereits in der Mitte des Buches wird die Identität des Serienmörders gelüftet, was der Spannung keinen Abbruch tut.

Wie ich betone: Das Buch ist spannend. Reicht dies für ein gutes Buch aus? Die beschriebene Brutalität empfinde ich oft als unnötig, ebenso die Menge an erotischen Szenen, die für die Handlung meist überflüssig sind. Wie oft und durch wen Saga Bauer geleckt wird, interessiert mich schlichtweg nicht. Hinzu gibt es etliche logische Fehler. So wird von „er wurde regelrecht hingerichtet“ erzählt, taucht zum Ende der Geschichte nur mit einem Kopfverband versehen wieder auf.
Manchmal ist weniger mehr. Bücher dürfen sich Zeit lassen. Vielleicht würden sich dann die Fehler vermeiden lassen? Vielleicht gibt es auch die Arroganz, dass dem Leser diese nicht auffallen.
Trotz allem liest sich das Buch in einem Rutsch weg. Da ich die Reihe um Joona Lina seit dem ersten Band lese, werde ich vermutlich den nächsten Band ebenfalls lesen.

Dirk Gieselmann: Der Inselmann

Klappentext:

Eine vergessene Insel, ihr stiller König und die Sehnsucht nach einem Leben abseits der Welt. »Der Inselmann« ist das ebenso berührende wie sprachmächtige Porträt eines Außenseiters und eine Hymne auf den Eigensinn. Anfang der Sechziger in einem entlegenen Teil Deutschlands. Das Ehepaar Roleder zieht auf eine unbewohnte Insel inmitten eines großen Sees. Es ist eine Flucht nach innen, vor der Stadt und der Wirklichkeit. Mit dabei ist ihr Sohn Hans, der auf der Insel ein neues Zuhause findet. Und noch so viel mehr. Denn mit der Zeit scheint der schüchterne Junge geradezu mit der Insel, den Bäumen, dem Laub, dem Moos und dem Gestein zu verwachsen. Hans wird zum König der Insel. Bis, mit dem Bescheid der Schulbehörde, die Realität in seine kleine große Traumwelt einbricht und ihn von Insel und Eltern trennt. Es ist der Beginn einer beschwerlichen Odyssee, gelenkt zunächst von gnadenlosen Institutionen des Staates und schließlich dem einen großen, pochenden Wunsch: zurückzukehren auf seine Insel, in die ersehnte Einsamkeit im Schatten der Welt. Doch: Wie wird die Insel, wie werden die Eltern ihn empfangen?
Dirk Gieselmanns Debüt ist die faszinierende literarische Studie eines Insellebens und erzählt von der Sehnsucht nach Einsamkeit in einer Gesellschaft, die das Individuum niemals alleine lässt, im Guten wie im Schlechten. »Der Inselmann« ist ein Roman, der nachhallt, voller berückender Bilder, leuchtender Sätze und magischer Kulissen.

Die Kurzbeschreibung beschreibt im Grunde den Inhalt des Buches. Die Eltern von Hans ziehen in den 60er Jahren aus der kleinen Wohnung in der Stadt auf die Insel. Hier findet er sein Reich und die Einsamkeit. Hans hält die Insel aus und die Insel ihn. Warum der Umzug erfolgte, warum die Eltern lieblos und sprachlos mit ihm umgehen wird nicht beschrieben oder erklärt. Als er zur Schule muss, verändert sich sein Leben. Täglich rudert er dorthin, schwänzt und wird bis zum 18. Lebensjahr in einer Erziehungsanstalt untergebracht. Kaum entlassen, will er nur noch zurück auf die Insel, doch sein Vater verwehrt ihm den Zutritt.
Er verdingt sich über die Jahre als Handlanger, um dann endlich wieder auf die Insel zurückkehren zu können, auf der er mindestens bis zum Alter von 70 Jahren lebt.

Reicht dies, um ein Buch zu füllen? Oh ja. Die Geschichte über den Rückzug aus der Gesellschaft und über ein weltabgewandtes Leben fasziniert. Hierzu benötigt es keine lange Geschichte. Die Bildhafte Sprache führte dazu, dass ich immer tiefer eintauchte, spürte, innehielt und hoffte, von nichts und niemanden gestört zu werden. Die Sprachgewalt hat mich umgehauen und ließ mich geistig äußerst befriedigt und gesättigt zurück.

Ich werde es gleich erneut lesen.

Thomas Roser: Der Tote im Bärenzwinger (Walter Kühn, Band 1)

Klappentext:
Atmosphärisch und voll düsterer Geheimnisse – ein spannender Krimi des Balkan-Spezialisten Thomas Roser.
Die dunkle Vergangenheit wirft ihre Schatten auf Serbiens Hauptstadt.
Zerrissen von den Raubtieren, wird ein Toter im Bärenzwinger des Belgrader Zoos entdeckt. Der Zoodirektor und die Polizei reden von Suizid, aber daran glaubt der Großvater des Opfers nicht. Er bittet seinen Freund, den deutschen Korrespondenten Walter Kühn, in dem Fall zu recherchieren.
Walter, dauerhaft in einer finanziellen Krise, übernimmt zuerst sehr zögernd. Seine Abscheu vor Waffen macht ihn im Belgrader Milieu zu einem denkbar schlechten Ermittler, doch seine Hartnäckigkeit bringt ihn voran. In der Metropole mit den düsteren Geheimnissen der Vergangenheit stellt er zu viele Fragen – und gerät auf die Abschussliste einer Miliz, die alles daransetzt, dass sein erster Fall auch sein letzter bleibt …

Der Autor beschreibt sich folgendermaßen: Dem Schreiben ist Balkan-Korrespondent Thomas Roser schon sein ganzes Leben lang verpflichtet. Als Korrespondent deutschsprachiger Tageszeitungen berichtete er seit 1995 erst aus den Benelux-Staaten und nach der Jahrtausendwende aus Polen. 2007 schlug der rastlose Grenzgänger seine Zelte im serbischen Belgrad auf. Nach einer Veröffentlichung seiner Alltagskolumnen »Post vom Balkanspion« in 2017 tritt er mit »Der Tote im Bärenzwinger« erstmals als Krimi-Autor in Erscheinung.

Die Handlung lässt sich schnell beschreiben: Im Bärenzwinger des Belgrader Zoos wird ein nackter, zerrissener Toter entdeckt. Die Polizei und der Zoo sprechen von einem Suizid, was der Großvater des Toten nicht glauben mag. Dieser beauftragt den Journalisten Walter Kühn den Tod zu untersuchen. Mangels Aufträge und Geldnot übernimmt er den Fall, welchen er recht schnell auflöst. Es folgt ein zweiter Auftrag, den er ebenfalls aus Geldnot übernimmt.
Die Auflösung zu dem ersten Todesfall erfolgt grob bereits im Prolog. Mutig ein Buch so beginnen zu lassen oder geschieht es eher aus Überzeugung, dass der Leser trotzdem am Ball bleibt?
Der Protagonist unterscheidet sich nicht von anderen Ermittlern, die zu viel trinken und in der Sonne schwitzen. Man hat es einfach schon zu oft gelesen. Es vergeht kaum eine Seite auf der nicht beschrieben wird wie Walter Kühn sein Bier trinkt oder sein Schweiß tropft. Mir erschwerte es das Lesen ungemein und nicht nur einmal dachte ich: „Nicht schon wieder.“ Dies schleppt sich über 237 Seiten, in denen er die beiden Aufträge bearbeitet und durch seine Ermittlungen ins Visier der Miliz gerät. Natürlich überlebt er seine Ermittlungen.
Nebenbei erfährt der Leser oberflächlich etwas über den ehemaligen Krieg in Serbien und die Verbindungen in die Gegenwart, auf die die Lösung des Buches beruht.
Das Buch wird u.a. Als „Walter Kühn, Band 1“ angekündigt. Mir stellt sich die Frage, auf was ein Band 2 aufgebaut werden soll. Der Charakter wurde diesbezüglich noch nicht ausreichend entwickelt. Mich würde es leider nicht reizen, eine Fortsetzung zu lesen.

Wer Krimis mit etwas geschichtlichen Hintergrund und saufenden Ermittlern/Protagonisten mag, der wird dieses Buch mögen.

Warum denken Journalisten oder Kolumnenschreiber so häufig, dass sie auch Bücher schreiben sollten? Vielen möchte ich sagen: Schuster, bleib bei Deinen Leisten. Oder im konkreten Fall: Einen weiteren, verlotterten, versoffenen Ermittler benötigt die Krimiwelt nicht wirklich.

Sarah

Sarah saß auf der Bettkante und betrachtete das Gesicht ihres Gegenübers im Kissen. Das Gesicht von Lille. Den blonden Flaum über ihrem Mund, die lange Nase. Im Schlaf wirkte sie harmlos. „Wie konnte ich bloß auf diese Hackfresse reinfallen?“ dachte sie, während sie die Wärme der Lichter des über 2,50m großen Weihnachtsbaums im Rücken spürte. Mit Millionen auf dem Privatkonto bestand Lille, der Kosename für Alice, auf den Trend zur Zweittanne. Zählte man den kleineren Baum im Kinderzimmer der zwei Jungen mit, so beherbergte ihr Haus insgesamt drei Nordmanntannen. Drei, die Lille in wenigen Stunden allein genießen konnte.

Als Sarah nichts mehr über „Kopftuchmädchen“ „alimentierte Messerstecher“ „Festung Europa“ und anderen Nazisch… hören konnte, ritt sie irgendwann der Teufel und sie nahm ein paar größere Umbuchungen von Schweizer Firmenkonten auf Konten in Deutschland – vorrangig in Baden-Württemberg – vor. Dazu benötigte sie nicht einmal Hackerkenntnisse. Arroganz, gepaart mit Dummheit, und einfache Passwörter erleichterten ihr das Eindringen in die Onlinekonten. Nachdem die Buchungen in Deutschland öffentlich wurden, war das Geschrei groß und Sarah erwartete hohe Strafzahlungen für das Dreckspack. Wer Spendenbetrug betreibt, sollte sich nicht erwischen lassen oder zumindest nicht schweigen. So dachte Sarah nun. Es war immer noch besser Bußgeld zu zahlen, als die Gelder in einen Wahlkampf zu stecken oder in eine geplante TV-Station. Welch eine Horrorvorstellung Lille rund um die Uhr sehen zu können. Oder zu müssen.
Es geschah bereits im Herbst, dass Sarah für ihre Jungs an Nikolaus den Knecht Ruprecht buchte. DEN Knecht Ruprecht. Als sie die Fotokartei der Modellagentur durchforstete, blieb ihr Blick nicht nur einmal an ihm hängen. Als Unterwäschemodell sehr gut ausgebucht, erlebte er im Dezember regelmäßig eine Auftragsflaute, die er mit Einsätzen als Knecht Ruprecht überbrückte. Mal mit dicker Rute ausgestattet, mal mit Nikolaus im Anhang, mal mit dem Stock oder der Gerte, mal im roten Kostüm, mal nur im roten Stringtanga. Immer den Wünschen des Kunden, der Kundinnen und ihrer Kinder gerecht werdend.

Am 6. Dezember klopfte er pünktlich um 18 Uhr an. Die Jungs waren begeistert von ihm. Obwohl ihnen die Unterschiede zwischen Nikolaus und dem Knecht Ruprecht bekannt waren, genossen sie seine dominante Show, während in der Ecke der Holzofen bollerte. Die Temperatur stieg und stieg im Haus. Dem Knecht Ruprecht wurde es offensichtlich zu warm. Viel zu warm. Daher zog er oben blank. Der mit Schweißtropfen durchtrainierte Oberkörper beeindruckte die Jungen sehr. Fasziniert lauschten sie seinen Erklärungen, wie man sich mit einer halben Stunde Training solch einen gestählten Körper antrainieren konnte. Knecht Ruprecht untertrieb und log ein bisschen. Kinder sollte man nicht demotivieren und früh genug würden sie, falls sie ernsthaft interessiert wären, seine Notlüge verstehen. Unter zwei Stunden täglich würden sie nicht davonkommen können. Nicht nur die Jungen staunten. Sarah war sprachlos: Dieser Körper. Diese Stimme. Diese Eloquenz.

Um einen langen Abend, eine lange Nacht, kurz zu machen: Während Lille in Berlin weilte, die Jungs im Bett schliefen, weihten sie und Knecht Ruprecht das Rehfell vor dem Holzofen ein.
Dabei blieb es nicht. Bereits am nächsten Tag besprachen sie ihren Auszug und den Einzug bei ihm.
In den folgenden Tagen trafen sie sich täglich. Knecht Ruprecht, der Alexander hieß und heißt, und Sarah mit ihren zwei Jungs, die ihn ebenfalls sofort in ihr großes Herz geschlossen hatten.
Die heimlichen Treffen gaben ihr so viel Energie, dass binnen 24 Stunden die Idee zu ihrem Film: „In bed with Tino and Björn“ entstand. Sie war fest davon überzeugt als Produzentin einen Kinoerfolg zu schaffen.

Es geschah an Heiligabend, als Sarah beschloss das Haus an diesem Tag endgültig, erst nach einem Abstecher an ihren ehemaligen Schreibtisch,zu verlassen. Sie loggte sich in alle ihr bekannten Schweizer Onlinekonten ein und begann ein paar (eine herrliche Untertreibung) größere Echtzeitüberweisungen von fremden Firmenkonten zu tätigen. Wie definiert man groß? Groß ist groß. So groß, dass sich viele Konten der UNHCR weltweit über die hohen Geldeingänge freuten.

Inspiriert durch: Broilers: „Alice und Sarah“

Foto: pixabay.com Alexas_Fotos

 

Es geschah zu jener Zeit – Barbara

Es geschah zu jener Zeit
Sinnlich betrachtete Peppone sein Küchenmesser, bevor er die Sardellen von Kopf und Schwanz befreite. Die ordinäre Hausfrau oder eine alte Mama würden hierfür eine Küchenschere verwenden. Doch Peppone, um seine favorisierten Stiche ins Herz gebracht, bevorzugte den Einsatz seines Messers, dessen handgearbeitete Klinge 21 Zentimeter maß. Im Alter von 13 Jahren wurde es ihm von seinem Capo in einer Zeremonie überreicht als er seinen Weg als Sgarrista begann.
Ein wenig Training reichte bei ihm, um bereits am Montag darauf zum ersten Mal zu töten. Aus dem Handgelenk heraus gelang ihm der sichere Stich ins Herz. Schmerzloser als es seine Auftraggeber häufig wünschten.
Wie oft er sein Handgelenk seitdem schwang ist nur dem aktuellen Capo Di Tuttu I Capi bekannt. Der ein oder andere Betonklotz, ein Säurefass oder Lupara kamen ebenfalls zum Einsatz, doch sein Liebling blieb „Barbara“. Sein Messer.
Er benötigte eine kurze Pause, um sein Acciughe Ripiene Al Forno im Kopf zu sortieren. So sehr ihn sein Kurzzeitgedächtnis verließ, so konnte er sich auf sein Langzeitgedächtnis verlassen. Eine kleine Pause im Schaukelstuhl und ein Glas Barolo Frankia von Giacomo Conterno würden ihm helfen. Der 2016er wurde ihm nach seinem letzten Auftrag vom aktuellen Capo geschenkt. Peppino genoss regelmäßig ein Glas, nicht nur zu besonderen Anlässen wie dem heutigen Familientreffen. Er ebnete ihm den Weg in das gelebte und geliebte Gestern. Ein tiefer Schluck und Mariella erschien vor seinem Auge. Ein weiterer tiefer Schluck und er roch ihr langes Haar, ihr Parfum, spürte ihre Haut an seiner Hand und hörte ihr herzliches lachen. Warum nur ließ er es zu, dass sie 1980 ihre Cousine in Avellino besuchte? Mit ihr verlor er bei dem Erdbeben ihr ungeborenes Kind. Tränen liefen über seine Wangen.
Am ersten Weihnachtstag 1978 verlobten sie sich im Haus ihrer Eltern, die nichts von seinen Fähigkeiten mit Barbara wussten. Seine Anstellung in der Kfz-Werkstatt, und der spätere Erwerb dieser, boten ihm eine perfekte Tarnung. Und dem Cappo einige Möglichkeiten der Geldwäsche, nachdem er sie später um den Handel mit hochwertigen Alfa Romeos ergänzte. Einen alten, roten Spider fuhr er heute noch. Sofern ihm sein Neffe nicht die Autoschlüssel versteckte.
Am ersten Weihnachtstag 1979 kochte er zum ersten Mal sein Sechs-Gänge-Menü für Mariella. So sehr er zur alten Garde gehörte und damals auch seine Frau am liebsten in der Küche und der Kirche sah, so sehr tauschte er am ersten Weihnachtstag die Rollen und kochte für sie.
Zuppa DI Fagiano Al Porto, Camoscio in Salami und als Vorspeise Acciughe Ripiene Al Forno waren seit damals die festne Bestandteile des Menüs. Sein Neffe bezeichnete letzteres als profanes Sardellen Sandwich. Eine angeheiratete Großnichte einer Patchworkfamilie, diese Familienform schien leider modern zu sein, gar als „Stulle mit Fischgeschmack“, nachdem sie zum ersten Mal von Sardellen Sandwiches hörte und nicht wusste, was sich dahinter verbarg.

Es geschah zu jener Zeit, dass er diese Tradition etablierte. In Erinnerung an Mariella und ihr erstes gemeinsames Weihnachtsfest als Ehemann und Ehefrau. Sie träumten von den vielen Bambinis, die sie schaffen wollten. Spaß an der vorbereitenden Arbeit hatten sie.
Eine weitere Träne lief über seine Wange. Im Lager seiner ehemaligen Werkstatt stand immer noch die Wiege, die er in seinen Pausen geschnitzt hatte. Seit 1980 wurde sie regelmäßig entstaubt, doch er brachte es immer noch nicht über sein Herz sie an ein Mitglied der nächsten Generationen weiterzugeben.
Kurz fand sein erster Cappo den Weg in seine Erinnerung. Dank ihm wurde er mit 13 Jahren zum Mann und ernährte fortan seine vier Schwestern und seine Mutter. Nicht lange darauf konnte er ihnen und ihm den Umzug in eine trockene Wohnung mit Badezimmer ermöglichen. Sein Vater starb Jahre zuvor bei einem Arbeitsunfall und die kleine Witwenrente stürzte seine Familie in bittere Armut. Einmal nahm seine Mutter ihn in die Arme, schaute ihm tief in die Augen und sprach: „Ein Mann muss tun, was er tun muss.“
Erteilte sie ihm damit ihren Segen? Sie sprachen nie wieder darüber.

Das Klingeln riss ihn fort von Mariella. Er öffnete seinem Neffen die Haustür und ging zurück in die Küche, um vorsichtig mit seinen Daumen das Rückgrat der Sardellen aus dem Fleisch zu lösen, so dass die beiden Filets von der äußeren Haut zusammengehalten wurden. Das Backblech fettete er mit etwas Öl ein und legte zwölf Sardellen mit der Haut nach unten dicht nebeneinander darauf. Jede Sardelle bestreute er mit etwas Kräutermischung, Pinienkernen, Salz und Pfeffer und beträufelte sie mit etwas Zitronensaft. Darauf legte er eine weitere Sardelle mit der Haut nach oben, so dass sich ein Sandwich ergab. Die halbe Scheibe Weißbrot schnitt er in Würfel und streute sie drüber. Das restliche Olivenöl goss er in einem feinen Strahl darüber.
Der Anfang war geschafft.

 

Foto: Pixabay.com Amoraio

 

Kleid und High Heels

Klack, klack

Ich liebe meine High Heels. Im Schneegestöber auf dem Brückengeländer zu der Musik zu tanzen, die sich nur im meinem Kopf befindet. Gloria Gaynors „I will survive“ hört sich nur laut in meinem Kopf gut an. Ich singe laut mit und höre dennoch das magische klack klack der Heels auf dem Geländer. „I“ – klack- „will“- klack „survive“-klack.
Nach dem halben Song ist das Ende der Brücke erreicht. Ein aufstampfen, klack klack. Eine Umdrehung. Mein rotes Kleid dreht sich mit, mein Mantel dreht sich mit. Weiter geht es. Weiterlesen