„Read what I see“: Typisch H. ……?

Der lauwarme Oktobertag verführt zu einem Besuch auf den Friedhof. Am Himmel zeigen sich dunkle Wolken, die sich langsam vor die Sonne schieben, und dennoch genug Wärme bis zu mir durchlassen. Der Weg vom Parkplatz bis zum Kolumbarium ist kurz. Über der Schulter trage ich eine große Tasche, in der sich die bepflanzte Grabschale befindet. Unter dem Arm die Gießkanne.Auf der Bank vor dem Kolumbarium setze ich die Tasche ab. Die Gießkanne stelle ich unter diese. Neben anderen. Die Grabschale platziere ich auf eine freie Fläche auf dem großen Sockel links von der Bank. Ein wenig verschiebe ich dazu eine Pflanzschale. Hier stehen Laternen neben bepflanzten Schalen, Blumentöpfen und Grablichtern.

Während ich mich mit einem Angehörigen unterhalte, wir in Erinnerungen schwelgen, nähern sich drei Männer der Bank. Ihre Unterhaltung ist bereits von weitem zu hören. Man unterhält sich darüber, dass die Zeit als Rentner nie ausreicht und dass man die Heizung natürlich so weit aufdrehen wird, wie man möchte. Ist doch egal, ob das Gas für alle reichen wird.

Inzwischen sind alle drei an der Bank angekommen. Einer von ihnen schaut sich die abgestellten Dinge auf dem Sockel an, stürzt sich beinahe auf diesen, hebt die Grabschale, die ich erst vor wenigen Minuten dort abgesetzt habe, grob an und stellt sie an eine andere Stelle. „Das ist MEIN Platz. Da stehen immer meine Dinge! Wie kann man nur so unverschämt sein und meine Schale verschieben?!“ Während er diese Sätze brüllt, schiebt er seine wenige Zentimeter beiseite, so dass sie parallel zu einer Laterne steht. „Wer wagt sich das? Hier stehen immer die Sachen für meine Frau. IMMER!“
Dieses Verhalten macht mich sprachlos. Während ihm seine Begleiter zustimmen, befürchte ich, dass ihm gleich Unmengen an weißem Schaum aus dem Mund tropfen. „Wehe, wenn auch nur ein Tropfen die Grabschale meiner Mutter benässt.“ denke ich lautlos.
Mein Angehöriger erwähnt, dass wir seine Schale etwas verschoben haben, damit eine weitere abgestellt werden konnte.
Der alte Mann zetert weiter. Mir wird es zu bunt. „Ich empfinde Ihr Verhalten als recht asozial. Natürlich ändere ich diesbezüglich meine Meinung, wenn Sie mir die Rechnung der Friedhofsverwaltung zeigen aus der hervorgeht, dass Sie die Steinfläche gepachtet haben, um ausschließlich Ihre Dinge dort abzustellen.“
„Das gibt es nur hier, dass man meinen Platz nicht respektiert.“
Aha.
Das gibt es also nur hier. Kann ich ihn wirklich als asozial bezeichnen? Eine der Definitionen lautet: „Asozial“ bezeichnet an sich ein von der anerkannten gesellschaftlichen Norm abweichendes Verhalten: Ein Individuum oder eine Gruppe verstößt durch die eigenen Handlungen gegen geltende gesellschaftliche Normen und gegen Interessen anderer Mitglieder der Gesellschaft. Greift der letzte Teil des Satzes? Oder ist es nur Egoismus, gepaart mit Altersstarrsinn? Er taxiert mich, was mich nicht aus der Ruhe bringt. Mit festem Blick betrachte ihn von oben bis unten. Das rote Poloshirt ist in eine graue Bundfaltenhose gesteckt, der beige Gürtel passt optisch nicht dazu. Ebenfalls die bunten Turnschuhe, die vermutlich nicht einmal ein zwanzigjähriger mehr tragen würde. Der über die Schultern drapierte Pulli macht das Outfit komplett. Ich möchte wetten, dass sowohl auf diesem als auch auf dem Poloshirt ein Lacostekrokodil prangen.
Für einen kurzen Moment verspüre ich den Wunsch ein Mann zu sein, den Reißverschluss meiner Hose zu öffnen und auf… Abgesehen davon, dass dies schlecht für´s Karma ist, empfinde ich diese kurze Anwallung dann doch als primitiv.

Ich stelle meine Ohren auf Durchzug und schüttele innerlich immer noch mit dem Kopf. Letztendlich entgehe ich der Situation, indem ich mich mit einer Besucherin ein paar Urnenfächer weiter unterhalte. Sie ist ebenfalls über den alten Mann entsetzt und erzählt von ihren Erfahrungen. Auf dem Sockel, auf dem sie und andere Dinge abstellen, werden beinahe täglich Dinge gestohlen, Pflanzen herausgerissen oder beschädigt.
Für mich ist das kaum vorstellbar und kaum nachvollziehbar. Wer und warum macht man das? Sie vermutet, dass es Angehörige sind. Wie verwahrlost muss der Charakter sein, um dies zu machen? Vor Jahren wurden einige Urnengräber im Kolumbarium aufgebrochen, Urnen und etliches mehr zerstört.
Ich frage mich, ob das typisch für H. ist? Die Zerstörung, die ich bei einem Besuch hier erfuhr, als jemand in mein heiß geliebtes Youngmobil fuhr, Fahrerflucht beging und einen Totalschaden hinterließ. Oder vor vier Wochen Reifen an meinem alten Möhrchen zerstochen wurde. Dinge, die mir nicht einmal in Irland in sozialen Brennpunkten passierten. Hier geschah es auch zum ersten Mal in einem Café, dass mein Tisch mit Kaffee, Buch und Kuchen leergeräumt war, als ich von der Toilette kam. Ein altes Ehepaar fand meinen Platz im Schatten so gut, dass sie kurzerhand meine Dinge „entsorgten“.
Ist dieser alte Mann ebenfalls typisch für H.? Oder ist er einfach nur dumm und primitiv? Er verlässt den Friedhof, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass er natürlich zur Kontrolle zurückkommen wird.

Ach, ein Kontrollfreak? Oder ein misstrauischer Mensch? Oder ein ehemaliges Parteimitglied in der ehemaligen DDR? Meine Phantasie würde noch viele weitere Vermutungen hergeben.

Laut Grabplatte verstarb seine Renate 2017. Wie mag er sich ihr gegenüber verhalten haben? Auch nur laut redend? Im Umgang rechthaberisch? Ihr zu führendes Haushaltsbuch täglich kontrollierend? Ihr die Tür aufhaltend oder vorausgehend und ihr diese vor der Nase zuschlagend? Seinen Hobbies frönend, während sie daheim die Wohnung in Schuss zu halten hatte? Sich Markenkleidung gönnend und sie musste daheim Kittel tragen? Auf Kochen, Gartenpflege und putzen reduzierend? Oder zwang er sie in eine ungeliebte Stellung, um sich stets den neuesten Mercedes leisten zu können, den er Samstag vor der Sportschau wienerte?
Ich weiß es nicht und möchte es nicht wissen.
Oder führt Trauer zu einem solchen Verhalten?
Er hat mir die heutige Zwiesprache mit meiner Mutter verdorben. Ich stehe von der Bank auf, als er erneut um die Ecke kommt. „Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich kontrollieren werde.“

Was kontrollieren?

Er ist doch nur ein armer Wicht.

 

 

Foto: privat

„Read what I see:“ Mit dem Dampfschiff „Colonia“ über`n Rhein

Davor:
Auf einer Bank im Schatten am Rheinufer sitzend warte ich auf die Ankunft des Dampfschiffes „Colonia“. In meiner Ausflugstasche befinden sich Mineralwasser und Sandwich, sowie mein Notizbuch nebst Bleistift und Radiergummi.
Auf der Bank rechts von mir sitzt eine Frau, die an einem bunten Korb häkelt. Ihr Blick ist auf die vorbei flanierenden Passanten geheftet, während ihre Häkelnadel in einem Affentempo durch das Garn jagt. Die Wärme setzt ihr optisch zu, obwohl sie ebenfalls im Schatten sitzt. An den Schläfen bahnen sich die Schweißtropfen ihren Weg in schnellem Tempo Richtung Hals, während vom Kopf her in stetigem Fluss Nachschub tropft. Das von mir angebotene Mineralwasser lehnt sie dankend ab.
Der angekündigte Regenschauer verzog sich bereits eine Stunde zuvor in irgendeine Richtung und machte der schwülen Wärme Platz, die den Wunsch nach einem großen Ventilator aufkommen lässt.
Links von mir sitzen zwei ältere Frauen, deren Beine mit identischen Wanderhosen bekleidet sind. Ihre Füße stecken in beigen Nylonsocken, die sicherlich Schweißfüßen nicht vorbeugen? Ohne Punkt und Komma reden sie, zeigen dabei auf Passanten und ja, ich gebe es zu: Gerne würde ich ihren Worten lauschen, doch bin ich ihrer Sprache nicht mächtig.
Geradeaus sehe ich den Turm mit dem RTL Logo, neben den weiteren braunen Gebäuden, den ehemaligen Messehallen. Nicht alles, was denkmalgeschützt ist muss schön sein. Wenn ich die Hallen sehe, assoziiere ich sie immer mit Nazibauwerken (obwohl zeitlich davor erbaut), mich daran erinnernd, dass sie als Außenlager des KZ Buchenwald verwendet wurden.
Bis zur Panoramafahrt über den Rhein dauert es noch eine halbe Stunde. An der Anlegestelle bildet sich bereits eine lange Schlange. Das ist ja noch schlimmer als in Lindau am Bodensee. Ach, Köln wäre wirklich schön ohne die Touristen.
An der Promenade sind viele Menschen unterwegs. Radfahrer fahren in Fußgänger, Fußgänger laufen in Radfahrer.
Halb rechts schaue ich auf die Hohenzollernbrücke. Die große Brücke, an der zehntausende Liebesschlösser hängen. Wie viele Liebesschlossbesitzer sind noch miteinander glücklich? Wie viele Schlösser stehen inzwischen für eine gescheiterte Beziehung? Wie viele Schlösserbabies mag es inzwischen geben?
An mir vorbei schiebt ein älterer Mann eine Art Bollerwagen. Er trägt ein gestreiftes T-Shirt, sein Kopf ist mit einem Käppi bedeckt und im Mundwinkel hängt eine dicke Zigarre. Er erinnert mich irgendwie an Popeye. Der Bollerwagen verfügt in der Mitte über eine Art kleinen Tisch. Auf diesem Tisch liegen die Köpfe von drei kleinen Mädchen, die im Wagen sitzen und sich laut schnarchend von Popeye schieben lassen. Was mag ihnen der Tag bereits abverlangt haben, dass sie erschöpft einschlafen? Oder wirkt der Zigarrenqualm auf sie wie eine Schlaftablette? Sie rühren mich.

An Bord:
Inzwischen hat die „Colonia“ angelegt und ich sitze an einem Tisch direkt an der Reling. Schilder weisen darauf hin, dass mitgebrachte Getränke und Speisen an Bord nicht verzehrt werden dürfen. Dennoch trinken die Passagiere aus mitgebrachten Getränkeflaschen und leeren ihre Vesperboxen. Manch einer schaut sich dabei um. Fürchtet er eine aufmerksame Kellnerin, die ihn maßregelt? Ich weiß es nicht.
Eine vierköpfige Clique in den 30ern setzt sich zu mir an den Tisch. Ich schätze sie als intelligent ein, dennoch erzählen sie kaum auszuhaltendes dummes Zeugs. Meine Ohren versuche ich auf Durchzug zu stellen und lieber die frische Brise und den Ausblick zu genießen.
Der rechts neben mir sitzende nervt die Kellnerin mit ausgefallenen Getränkewünschen, obwohl die Getränkekarte diese nicht hergibt. Ein anderer erzählt, dass ihm immer dolle übel wird, wenn er auf See ist. Na ja, zählt ein langsam fahrendes Dampfschiff auf dem Rhein dazu?
Aha: Köln verfügt über sieben Rheinbrücken erzählt die Stimme aus dem Lautsprecher. Diese Info werde ich in wenigen Minuten bereits vergessen haben, da ich sie nicht als überlebenswichtig einstufe.
Nun fahren wir unter den Seilbahnen hindurch. Ich frage mich, ob diese wirklich von Kölnern benutzt wird, die sie für eine Fahrt von Deutz zum Zoo nutzen oder eher ein „Must have“ für Touristen sind? Noch erschließt sich mir der Reiz nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich sie an einem schwülen Tag wie heute nur mit aufgeheizten Gondeln in Verbindung bringe?
Oh, die Clique vergleicht gerade Stuttgart mit Köln und lässt Stuttgart viel besser wegkommen. Ich würde anders werten. Beiläufig erfahre ich, dass alle in Stuttgart wohnen. Kein Wunder, dass sie Stuttgart nicht neutral vergleichen können. Die Clique besteht aus den erwähnten vier Personen. Der mit seiner Seekrankheit kokettierende, und den zweiten Aperol Spritz trinkend, ist mit Angie liiert. Angie trägt ihr langes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihr Gesicht wird durch eine große Sonnenbrille verdeckt. Ihre Stimme hat einen gelangweilten Unterton und sie nöhlt. Unangenehme Stimme. Die beiden anderen Männer scheinen ebenfalls ein Paar zu sein. Einer von ihnen, der rechts neben mir sitzende, dominiert die Unterhaltung.
„Also, ohne eine Sonnenbrille brauche ich erst keine Bootsfahrt zu machen.“
„Nein, Deine Frauensonnenbrille will ich nicht. Wo ist denn in ihr meine Sehstärke?“ (In ihr? In einer Brille? Was soll das sein?)
Ein merkwürdiger Satz. Er ist der Typ, der all´ die Getränke bestellen möchte, die die Karte nicht hergibt.
„Ängschie, was sollen wir heute Abend essen? Bloß nicht wieder so etwas profanes wie Pizza!“
Auf diese Art und Weise bestreitet er die Unterhaltung. Auf mich wirkt er, als möchte er intelligent und sarkastisch herüberkommen. Stattdessen erzeugt er bei mir ein starkes Gefühl des fremden Schämens. Sein Partner hält sich verbal zurück.
Der Wind hebt sein Hemd an und legt eine Stelle seines Unterarms, die eine Tätowierung zeigt. Ich sehe bunte tätowierte Farbkleckse, die …. irgendwie überflüssig ausschauen. Ich mag Tattoos. Stilvolle. Doch wie definiere ich nun stilvoll?
Die Lautsprecherdurchsagen erwähnen weitere wichtige Informationen über Köln. Als Tagestourist muss ich abends selbstverständlich mit einem prall gefüllten Kopf heimkommen? Wie lange mag das neue Wissen abgespeichert bleiben?
Die Sonne, der Fahrtwind, der Rhein – ich fühle mich gut. Die Unterhaltung der Stuttgarter blende ich aus und beobachte ein paar der Passagiere. Die zwei Frauen in Wanderhosen von der Promenade sehe ich erneut. Sie plaudern weiterhin ohne Punkt und Komma. Hinter mir sitzt ein älteres Ehepaar, die sich die ganze Zeit anschweigen und steif auf ihrem Stuhl sitzen. Nur wenn sie ihre Kaffeetasse an den Mund führen, kommt etwas Bewegung in sie hinein. Ihnen gegenüber sitzen ein Junge und ein Mädchen im Teenageralter. Da sie dem Paar ähnlichsehen, vermute ich, dass es ihre Kinder sind. Auch diese geben kaum einen Ton von sich. Sie heben den Blick nicht von ihrem Smartphone und nehmen ihr Umfeld vermutlich kaum wahr. Schade. Oder wurde es ihnen nicht vorgelebt miteinander von Angesicht zu Angesicht zu kommunizieren?
Ebenfalls an Deck sitzen vier betagte Frauen, die sich entschieden haben, jetzt und sofort das „Kaffeegedeck“ zu bestellen. Einen Pott Kaffee, serviert mit einem Stück Kuchen zum Sonderpreis. Die Kellnerin versucht sie zu überzeugen, dass es zeitlich eng wird, da bald angelegt wird. Egal. Sie würden dann halt schnell essen und trinken und zuletzt von Bord gehen. Kurz danach höre ich sie noch nach einer großen Portion Sahne rufen und muss an Udo Jürgens denken.
Trotz der blendenden Sonne versuche ich Fotos zu machen. Das Selfie, vermutlich bin ich die einzige Frau in Deutschland, die kein gescheites machen kann, besteht nur aus wehenden Haaren.
Das Dampfschiff (woran könnte ich bloß erkennen, dass es sich wirklich um ein Dampfschiff handelt?) wendet und bald wird der Fahrspaß ein Ende haben.
Vorne rechts sitzt ein Pärchen mit einem kleinen Jungen, der zu weinen beginnt. Nicht laut, doch hört man es. Der unangenehme Typ rechts von mir schaut hinüber und sagt überdeutlich laut: „I fucking hate kids.“
„Ich nur, wenn aus ihnen später empathielose Arschlöcher werden.“ Dabei schaue ihm ins Gesicht.
Der Satz kam einfach so über meine Lippen. Überlegt? Unüberlegt? Na ja, zum Überlegen blieb nicht wirklich Zeit.
Angie murmelt etwas: „Das hast Du Dir verdient.“ Mir ist ihr Zuspruch egal.
„You get what you deserve“ würde meine Freundin sagen.
Ich genieße die letzten Minuten an Bord, bezahle meinen Kaffee und schaue weiter auf den Rhein.
Wir legen an. Der „I fucking hate kids“ Mann springt auf. „Los, steht auf. Wir sollten vor dem Pöbel los gehen!“
Pöbel?
Pöbel wird definiert als ungebildete, unkultivierte in der Masse gewaltbereite Menschen (der gesellschaftlichen Unterschicht).
Ich wünsche diesem dummen Arschloch, dass er gleich die sehr steile Gangway hinauffällt und auf dem Bauch rutschend unten auf den Pöbel trifft.
Andererseits: Karma wird es richten.

Ich verlasse das Schiff und stürze mich weiter in mein heutiges Touristen Dasein in Köln.

 

 

Foto: privat

„Read what I see“: Im Café Mai 2022 – Teil I

„Boh, jetzt muss ich die ganze Kinderschokolade umtauschen.“
„Musst Du nicht, überprüfe doch erst einmal die Chargennummern.“
„Chargen Watt?
„So Nummern auf der Schokolade. So steht es im Internet.“

Ich liebe es eine Spannerin zu sein und stehe zu dieser Vorliebe. In einem Café als passive Zuhörerin Unterhaltungen mitzuhören und teilweise anzuschauen ist immer wieder ein Quell der Freude. Während der Pandemie vermisste ich einige Dinge. Vor allem die Besuche in Cafés. Unfreiwillig in Geschehnisse eingebunden zu werden, die zu eigenen Gedankengängen, Vermutungen und Geschichten führen ist eine schöne Kopfarbeit. Die Qualität des servierten Kaffee ist manchmal zweitrangig.
Heute wurde ich ein einem Café am Niederrhein fündig. Eine nette Mitarbeiterin schaufelte mir im wahrsten Sinne des Wortes noch einen Platz in der Ecke, neben zwei Seniorenpärchen, frei. Der Parkplatz ist rappelvoll mit Fahrzeugen jeder Art, an der Theke gibt es eine ständige Schlange und die Gäste, aber auch die Mitarbeiter, wirken entspannt. Den gewünschten Milchkaffee bekam ich schnell serviert, fuhr den Laptop hoch und stellte fest, dass ein kostenlosen WLAN-Zugang angeboten wird. Die ersten Satzfetzen der Gäste, die meine Ohren erreichen, deuten an, dass mir der Aufenthalt hier gefallen wird. Die runden, blaugrauen Sessel sind gemütlich. Die Tischdeko ist dezent, aber farblich abgestimmt. In den grau angemalten Marmeladengläsern von „Glück“ wurde etwas Stroh und Holz reingelegt, dazu ein Stecker mit „It´s spring time“ aufgehängt.
Die meisten Gäste scheinen hier zu frühstücken. Auf einem Tisch steht eine Etagere mit Marmelade, Wurst usw. Auf den anderen Tischen Thermoskannen mit Kaffee. Daneben kleine Müslischalen mit abgepackter Kondensmilch und Zuckerwürfeln in Papier eingewickelt. Später erfahre ich, dass es eine Kaffee Flatrate gibt. Unbewusst erwarte ich den Spruch: „Draußen gibt es nur Kännchen.“
Die zwei Pärchen neben mir diskutieren, wie bereits erwähnt, über den großen Rückruf der Kinderschokolade Produkte und wundern sich, wie es geschehen konnte.
„Boh, jetzt muss ich die ganze Kinderschokolade umtauschen.“
„Musst Du nicht, überprüfe doch erst einmal die Chargennummern.“
„Chargen Watt?“
„So Nummern auf der Schokolade. So steht es im Internet.“
„Wie konnte datt nur passieren?“
„Da wird wohl Scheisse in die Produktionsanlage gelaufen sein.“
Würde Ferrero dies zugeben?

Ich nippe an meinem heißen Milchkaffee und mutiere erneut ungewollt zur ohralen Spannerin.
„Mein Mann hat nur noch wenige Hobbies: Fernsehen, essen und furzen.“
„Warum besorgst Du Dir dann keinen neuen?“
Fast spucke ich meinen Kaffee aus. Mit ach und krach kann ich verhindern ganz laut loszulachen.
Die Sätze fallen in einer Frauenclique, die aus sechs Frauen besteht. Die anderen Frauen dieser Clique scheinen den besagten Ehemann zu kennen und gehen nicht weiter auf die Hobbies oder die neue Besorgung ein. Sie widmen sich mit ihrer Unterhaltung nun anderen Themen. Mir ist dieser Ehemann unbekannt, dennoch bauen sich vor meinem Auge einige Bilder auf. Wer kennt besagte „“Helden“ nicht von Erzählungen betagter oder auch weniger betagter Damen?

Es gibt viel zu hören und zu sehen. Hinter der Verkaufstheke arbeitet ein junges Mädchen, die mit jedem zweiten Satz sagt: „Weiß ich nicht.“ Nichts zu wissen ist nicht schlimm. Doch wie sage ich gerne: Man sollte sein Nichtwissen kompetent und eloquent verkaufen. Oder?
Ob es eine Auszubildende ist oder eine Schülerin, die sich in den Osterferien ihr Taschengeld aufbessert? Die vorgeschriebene, lange Schürze mit Rüschen steht ihr gut und lässt sie kaum älter als 16 Jahre wirken. Wo werden noch Schürzen mit Rüschen getragen? Oder mit Spitze? Der Einheitslook – oder die Corporate Identity- gibt meist die bequemen langen Bistroschürzen vor. Die weißen Bauchschürzen aus gestärkter Baumwolle gehören schon lange dem letzten Jahrhundert an.
Schauen, zuhören, Gedanken fließen lassen und parallel dazu zu schreiben führt heute vermutlich dazu, dass ich den einen oder anderen Schreibfehler fabriziere?
Von der Frauengruppe höre ich noch: „Jetzt werden zwei Ehemänner an ihrem Grab stehen. Das ist doch schön.“
„An meinem wird keiner stehen und das ist auch schön.“
Die Unterhaltung driftet in das promiskuitive Verhalten der Freundin mit den zwei Ehemännern ab. So sehr die Frauen es in ihrer weiteren Unterhaltung verurteilen, so sehr bewundert es eine von ihnen. Wenn sie noch einmal die Zeit zurückdrehen könnte, ja dann … Was würde ich machen, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte?
Was würdest Du machen?
Eine Frage, die sich manch einer nicht nur an seinem Geburtstag stellt? Momente rückgängig machen, in denen Menschen verletzt wurden? Der einen oder anderen Versuchung nachgeben?

Fortsetzung folgt ….

„Read what I see“: Im Café Mai 2022 Teil I

„Boh, jetzt muss ich die ganze Kinderschokolade umtauschen.“
„Musst Du nicht, überprüfe doch erst einmal die Chargennummern.“
„Chargen Watt?
„So Nummern auf der Schokolade. So steht es im Internet.“

Ich liebe es eine Spannerin zu sein und stehe zu dieser Vorliebe. In einem Café als passive Zuhörerin Unterhaltungen mitzuhören und teilweise anzuschauen ist immer wieder ein Quell der Freude. Während der Pandemie vermisste ich einige Dinge. Vor allem die Besuche in Cafés. Unfreiwillig in Geschehnisse eingebunden zu werden, die zu eigenen Gedankengängen, Vermutungen und Geschichten führen ist eine schöne Kopfarbeit. Die Qualität des servierten Kaffee ist manchmal zweitrangig.
Heute wurde ich ein einem Café am Niederrhein fündig. Eine nette Mitarbeiterin schaufelte mir im wahrsten Sinne des Wortes noch einen Platz in der Ecke, neben zwei Seniorenpärchen, frei. Der Parkplatz ist rappelvoll mit Fahrzeugen jeder Art, an der Theke gibt es eine ständige Schlange und die Gäste, aber auch die Mitarbeiter, wirken entspannt. Den gewünschten Milchkaffee bekam ich schnell serviert, fuhr den Laptop hoch und stellte fest, dass ein kostenlosen WLAN-Zugang angeboten wird. Die ersten Satzfetzen der Gäste, die meine Ohren erreichen, deuten an, dass mir der Aufenthalt hier gefallen wird. Die runden, blaugrauen Sessel sind gemütlich. Die Tischdeko ist dezent, aber farblich abgestimmt. In den grau angemalten Marmeladengläsern von „Glück“ wurde etwas Stroh und Holz reingelegt, dazu ein Stecker mit „It´s spring time“ aufgehängt.
Die meisten Gäste scheinen hier zu frühstücken. Auf einem Tisch steht eine Etagere mit Marmelade, Wurst usw. Auf den anderen Tischen Thermoskannen mit Kaffee. Daneben kleine Müslischalen mit abgepackter Kondensmilch und Zuckerwürfeln in Papier eingewickelt. Später erfahre ich, dass es eine Kaffee Flatrate gibt. Unbewusst erwarte ich den Spruch: „Draußen gibt es nur Kännchen.“
Die zwei Pärchen neben mir diskutieren, wie bereits erwähnt, über den großen Rückruf der Kinderschokolade Produkte und wundern sich, wie es geschehen konnte.
„Boh, jetzt muss ich die ganze Kinderschokolade umtauschen.“
„Musst Du nicht, überprüfe doch erst einmal die Chargennummern.“
„Chargen Watt?“
„So Nummern auf der Schokolade. So steht es im Internet.“
„Wie konnte datt nur passieren?“
„Da wird wohl Scheisse in die Produktionsanlage gelaufen sein.“
Würde Ferrero dies zugeben?

Ich nippe an meinem heißen Milchkaffee und mutiere erneut ungewollt zur ohralen Spannerin.
„Mein Mann hat nur noch wenige Hobbies: Fernsehen, essen und furzen.“
„Warum besorgst Du Dir dann keinen neuen?“
Fast spucke ich meinen Kaffee aus. Mit ach und krach kann ich verhindern ganz laut loszulachen.
Die Sätze fallen in einer Frauenclique, die aus sechs Frauen besteht. Die anderen Frauen dieser Clique scheinen den besagten Ehemann zu kennen und gehen nicht weiter auf die Hobbies oder die neue Besorgung ein. Sie widmen sich mit ihrer Unterhaltung nun anderen Themen. Mir ist dieser Ehemann unbekannt, dennoch bauen sich vor meinem Auge einige Bilder auf. Wer kennt besagte „“Helden“ nicht von Erzählungen betagter oder auch weniger betagter Damen?

Es gibt viel zu hören und zu sehen. Hinter der Verkaufstheke arbeitet ein junges Mädchen, die mit jedem zweiten Satz sagt: „Weiß ich nicht.“ Nichts zu wissen ist nicht schlimm. Doch wie sage ich gerne: Man sollte sein Nichtwissen kompetent und eloquent verkaufen. Oder?
Ob es eine Auszubildende ist oder eine Schülerin, die sich in den Osterferien ihr Taschengeld aufbessert? Die vorgeschriebene, lange Schürze mit Rüschen steht ihr gut und lässt sie kaum älter als 16 Jahre wirken. Wo werden noch Schürzen mit Rüschen getragen? Oder mit Spitze? Der Einheitslook – oder die Corporate Identity- gibt meist die bequemen langen Bistroschürzen vor. Die weißen Bauchschürzen aus gestärkter Baumwolle gehören schon lange dem letzten Jahrhundert an.
Schauen, zuhören, Gedanken fließen lassen und parallel dazu zu schreiben führt heute vermutlich dazu, dass ich den einen oder anderen Schreibfehler fabriziere?
Von der Frauengruppe höre ich noch: „Jetzt werden zwei Ehemänner an ihrem Grab stehen. Das ist doch schön.“
„An meinem wird keiner stehen und das ist auch schön.“
Die Unterhaltung driftet in das promiskuitive Verhalten der Freundin mit den zwei Ehemännern ab. So sehr die Frauen es in ihrer weiteren Unterhaltung verurteilen, so sehr bewundert es eine von ihnen. Wenn sie noch einmal die Zeit zurückdrehen könnte, ja dann … Was würde ich machen, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte?
Was würdest Du machen?
Eine Frage, die sich manch einer nicht nur an seinem Geburtstag stellt? Momente rückgängig machen, in denen Menschen verletzt wurden? Der einen oder anderen Versuchung nachgeben?

Fortsetzung folgt ….

„Read what I see“ oder besser „Read what I cook“: Der Kochkurs

Der Kursleiter, der sehr viel Wert auf die Schreibweise „Bistrot“ legte eröffnete den Kochkurs „Pariser Bistrot Küche“. Entstanden sei diese Bezeichnung für einen Teil der französischen Küche während des zweiten Weltkriegs. Paris wurde durch Russen, die ihre Bestellung stets mit: „Bistrot, bistrot“ aufgaben, besetzt. Auf Russisch bedeutet es angeblich schnell. Den Wahrheitsgehalt habe ich nicht per google gegengeprüft.
8 Teilnehmer plus Kursleiter – eine überschaubare Teilnehmeranzahl für die große Küche. Mein Blick fiel auf die 12 Flaschen Wein. Aha, korrespondierenden Wein wird es also in reichlicher Menge geben. (Später stellte ich fest, dass ich als einzige mit dem Auto angereist war). Während der Vorstellungsrunde schaute ich mir die bereit gestellten Lebensmittel an. Die Qualität war wirklich gut.
Kicher, kicher, kicher. Wie es bei solchen Kursen manchmal ist, wenn die Hausfrauen abends los gelassen werden, erfüllte sich mein Vorurteil schnell. Der Worte wurden wenig genutzt, das Gekichere ersetzte sie. Die erste Weinfalsche wurde gekippt, bevor der erste Kochtopf heraus gesucht wurde; beim Kursleiter verbal eingeschleimt, wenn man bereits an einem Kurs teilgenommen hatte.
Herrlich für meine niederen Instinkte namens: „Ich liebe es zu beobachten…..“
Laut Kochplan sollte folgende gekocht werden:
Soupe courte a`la provencale, Provenzalische Suppe
Tatin dèchalotes, Tarte mit Schalotten
Tatin de Tomates, Tarte mit Tomaten
Quenelles de poisson, sabayon de safran, Fischklößchen mit Safran Zabaione
Souris dàgneau aux lentilles, kleine Lammhäxle mit schwarzen Linsen (grüne waren ausverkauft)
Magret de canard a`lórange, Ente Orange mit Orangensauce
Bourdelots normands, In Blätterteig gebackener Apfel
Sacristains, Blätterteigstangen mit Mandeln
Mousse au chocolat
Kürbispüree
Pommes Macaire

Diese Gerichte waren nicht nur auf dem Kochplan zu lesen. Nein, sie wurden auch alle gekocht. Später wurden alle reichlich probiert, bzw. reichlich davon gegessen.
Wo war ich stehen geblieben? Alle schlugen sich darum, Mitglied in der Gruppe zu sein, die die Ente zubereiten sollte. O.K., es war „nur“ Entenbrust, doch irgendwie wollte jeder die Ente massakrieren.
Die Teams wurden aus jeweils 2 Personen zusammengestellt. Meine Kochnachbarin war eine Frau namens xxxxx. Den Namen habe ich vergessen. Nicht vergessen konnte ich, dass sie niemals zuvor im Leben Zabaione geschlagen hat. Im Gegensatz zu mir. Diese Erfahrung wird sie sicherlich nicht so schnell vergessen oder gar wiederholen. Doch dazu später mehr.
Daheim habe ich als Arbeitsfläche in meiner Küche nur meine Spüle zur Verfügung. Das schränkt den Spaß am Kochen teilweise etwas ein. Umso mehr genoss ich die großen Arbeitsflächen in dieser Küche oder Zutaten und Töpfe mit einem Handgriff in der Nähe zu haben.
Wir legten mit der provenzalischen Suppe los. Lammfleisch, gepökeltes Schweinefleisch, Zwiebeln, Knoblauch, sehr viel frische Kräuter, gehackte Tomaten, Lammbrühe und Gewürze ergaben nach 1,5 Stunden eine tolle Suppe. Wenige Minuten vor Kochende wurden ein paar kleine Makkaroni beigefügt. Serviert wurde die Suppe mit etwas geriebenem Parmesan.
Was soll ich sagen? Der Topf wurde leer gegessen und ich werde sie in den nächsten Wochen nachkochen. Der Geschmack des Lamms tritt zugunsten des gepökelten Schweinefleisches zurück und ergibt eine sehr aromatische Mischung.
Weiter ging es mit den Fischklößen. 400 g Rotbarsch wurden von Gräten befreit, in kleine Stücke geschnitten und püriert. Eiweiß und etwas Sahne dazugeben und mit Salz, Pfeffer, Muskat und Cayennepfeffer abschmecken. Für 30 Minuten in den Kühlschrank geben. In unserem Fall stand die Schüssel neben der Mousse, von der wir nicht naschten, auch wenn es schwer fiel.
Ein Topf wurde mit Salzwasser aufgesetzt und die Fischklößchen abgestochen. In einem gebutterten Topf auf den Boden gesetzt und mit dem nicht mehr sprudelnd kochendem Salzwasser übergossen.
Gar ziehen lassen.
In der Zwischenzeit gab ich mir vor, mich nicht über die Kochnachbarin aufzuregen. Es gibt solche und solche Leute beim Kochen. Besserwisserinnen, wie in diesem Fall und „ich nutze jeden Topf, jede Messer die es gibt. Spülen können andere.“
Hach, mein kleiner Moment der Genugtuung sollte noch kommen. Nein, nicht dadurch, dass sie sich einen Wolf spülen würde. Nein, viel subtiler … Wer hat schon einige Zabaiones hergestellt? Ich.
Wer noch nie? Genau, die Koch-Utensilien-Verschwenderin.
„Soll ich vielleicht die Zutaten mischen und Du machst dann die Sauce? Der Kursleiter erklärt Dir, wie angeboten, die weitere Vorgehensweise anschließend in aller Ruhe.“
„Tolle Idee, so lerne ich es endlich.“ (Sie schaut überhaupt nicht dezent auf den riesigen Spülberg)
„O.K. wenn ich es schaffe, beginne ich schon einmal mit dem Abwasch.“
Schwups wurden Fischfond, Weißwein, Eigelb, Safran, Sahne, Tomatenmark, Salz und Cayennepfeffer vermischt, während das Wasser für das Wasserbad erwärmte.
„Kursleiter xxx, kannst Du mir bitte erklären, wie ich die Zabaione machen muss?“
Kursleiter kommt, erklärt ihr wie sie am besten rührt/schlägt und ich drehe mich um. Beginne innerlich grinsend mit dem Abwasch. Eine Zabaione lässt sich nicht in einer Minute schlagen.
Zwischenstand nach 5 Minuten:
Abwasch ist erledigt, abgetrocknet noch nicht.
Kochnachbarin schnauft leicht bei gleichzeitig gerötetem Gesicht.
Zwischenstand nach 7 Minuten:
Die Lautstärke beim schnaufen erhöht sich deutlich, die Armbewegungen sind deutlich langsamer.
Kochgeschirr ist abgetrocknet.
Zwischenstand nach 10 Minuten:
Mit hochrotem Kopf wird nach Verstärkung zum Rühren gerufen. Vergeblich.
Ich rolle Blätterteig in 4 Stücke aus, steche 4 Äpfel aus, fülle sie mit Vanillezucker, Calvados und Zucker. Stelle diese auf die Vierecke, schlage den Teig um und pinsele den Teig mit Eigelb ein.
Zwischenstand nach 15 Minuten:
Die Zabaione wird nicht dickflüssig, fluffig. Der Versuch wird aufgegeben.
Egal, es wird mit dem gemeinsamen Essen begonnen und ich frage mich, ob meine Kochnachbarin beim nächsten Kurs lieber spült, statt irgendwelche Zutaten aufzuschlagen?
Die Fischklößchen wurden mit der Safran Zabaione und etwas Baguette serviert. Sie schmeckten lecker. Ich fühlte mich wie nach meinem ersten Zahnarztbesuch: Fischklößchen zu machen tut gar nicht weh. Ist mit wenig Aufwand herzustellen, gut vorzubereiten und schmeckt einfach nur lecker.
Anschließend gab es die Tarte mit Tomaten. Da ich kein so großer Freund von Tartes bin, fand ich sie OK, aber nicht so berauschend. Geschmacklich wirklich gut, aber halt nicht so mein Fall.
Gefolgt wurde diese Tarte von einer Zwiebeltarte, die ein wenig daneben ging. Ein krümeliger Teighaufen aus Dinkelmehl war bedeckt mit karamellisierten Schalotten. Der Teig zuvor war ebenfalls von wenig Erfolg gekrönt, so dass dieser Versuch aus Zeitgründen herhalten musste. Wer Krümel mit zu dick karamelisierten Schalotten mag, der wird auf seine Kosten gekommen sein.
Es gab eine kleine Verschnaufspause. Wir schmissen den Backofen an, puhlten uns das Karamell aus den Zähnen, schauten den anderen Köchen über die Schulter, genossen den Duftmischmasch in der Küche, genossen ein Schluck Wein.
Weiter ging es mit den kleinen Lammhaxen auf schwarzen Linsen und Kürbispüree. Was soll ich sagen? Das Fleisch war butterzart, die Linsen ein Gedicht und das Püree lecker. Die Menge war sehr reichlich bemessen und wir hatten unsere Teller nicht wenig gefüllt.
Irgendwie schienen wir alle vergessen zu haben, dass noch ein Hauptgang (die Ente) und drei Desserts folgten.
4 Lammhäxle wurden mit Salz und Pfeffer gewürzt und in Öl angebraten. Später wurden Knoblauchzehen, Zwiebel, Thymian, Rosmarin, 1/8l Lammfond, 1/8l Rotwein dazu gegeben. Deckel drauf und 1,25 Std. kochen lassen.
In Öl Suppengemüse anschwitzen, schwarze Linsen und Lorbeerblätter zugeben. Mit Fond/Rotwein aufgießen und aufkochen. 1 Std. köcheln lassen.
Die Lammhäxle mit ihrem Fond zu den Linsen geben. Umrühren und für 30-45 Minuten in den Ofen stellen.
Boh, wenn solch Gericht auf dem Tisch steht gibt es nur eine einzige Gefahr: Dass man zu viel isst, weil es so bombig schmeckt.
Ein Teil der Kursteilnehmer kämpfte mit ihren Hosenknöpfen und wünschte sich bereits jetzt ein Verdauungsschnäpschen.
Weiter ging es mit der Ente Orange. Also Entenbrust Orange. Hierzu schreibe ich nichts zur Zubereitung, reiche diese notfalls nach.
Das Highlight bei dem Gericht war die separat gekochte Sauce. Eine „Angebersauce“, eine „Baby ich mache Dich schwach Sauce“, eine „damit befriedige ich auch die Schwiegermutter Sauce.“ Welches Superlativ hatte ich noch nicht in Gebrauch? Toll, super lecker, hammer lecker, bombig lecker? Ich sage nur: Turbo lecker.
Honig wird mit dem Orangensaft aufgekocht, reduziert. Die Streifen von der Orangenschale im Saft verrühren, dann den Essig zugeben, reduzieren. Rotwein dazu, reduzieren. Geflügelfond dazu, reduzieren. Es sollen etwas 0,3l Sauce übrig bleiben.
Mit den Gewürzen abschmecken.
Zur Entenbrust gab es die besagte Sauce in kleiner Menge und Pommes Macaire. Letztere mag ich seit den 80er Jahren nicht mehr, passten aber gut zu dem Gericht. Wie soll ich sagen? Die „Ich bin aber satt“ Rufe wurden lauter. Um sich zu bewegen, wurde eine allgemeine Spülrunde eingeläutet. Weiter ging es der Mousse au chocolat. In diesem Rezept wird die Hälfte der Sahne durch Butter ersetzt. Die Mousse ist in der Konsistenz fester, schmeckte auch nicht mehr so süß. Wir nahmen jeder einen kleinen Löffel. Die Hosenknöpfe sollten schließlich dran bleiben.
Wo blieb eigentlich der Rest der fast vollen Schüssel?
Es folgten die Blätterteigstangen mit Mandeln, die gar nicht blätterten und bei weitem nicht so süß schmeckten, wie man im Vorfeld geglaubt hatte. Lecker.
Blätterteig wurde ausgerollt, mit Eigelb bepinselt und der Inhalt einer Vanilleschotte darauf verteilt. Puderzucker mit gemahlenen Mandeln vermischen und bis auf 3 EL darauf verteilen, ebenso 2/3 der gehobelten Mandeln. Einmal zusammenschlagen, Streifen von ca. 2cm Dicke schneiden, radeln. Jedes Teil drehen und auf Blech setzen. Mit dem restlichen Ei bepinseln und den restlichen Zucker und Mandeln darüber streuen.
Zum Schluss, kurz bevor die Hosenknöpfe abfielen, gab es die in Blätterteig gebackenen Äpfel mit einem Glas Calvados. Auch diese schmeckten lecker, waren aber nichts Besonderes. Wir waren halt an dem Abend zu sehr verwöhnt worden.
Es begann die Plauderrunde, die den Kursleiter anhimmelnde Gesprächsrunde (man will ja schließlich wieder am nächsten Kurs teilnehmen können) und die „Ich will jetzt gar nicht mehr nach Hause“ Gesprächsrunde. Ich weiß nicht, ob man aus meinen Worten nachvollziehen kann, dass ich mich an dem Abend teilweise köstlich amüsiert habe. Zum einen habe ich etwas gelernt, Angst vor Fischklößchen verloren, Schadenfreude gegenüber meiner Kochnachbarin gehabt (tja, hatte ich wirklich ein wenig) und den meisten Spaß an den Beobachtungen meiner Mitstreiterinnen gehabt.
Doch beinahe hätte ich einen wichtigen Punkt vergessen. Ich kann nicht schließen, ohne auf das Thema „Tupper“ einzugehen.
Ja, so ist es mit den Schwaben. Wenn in der Kursbeschreibung steht, „Tupperschalen mitbringen“, so wird dieser Aufforderung brav gefolgt. Sie werden nicht nur in große Einkaufstaschen mitgebracht, nein sie werden auch gefüllt mit heim genommen. Der noch reichlich gefüllte Topf mit Resten wird unter dem Vorwand: „Ich gehe schon mal den Topf spülen“ außer Reichweite des Esstisches gebracht, an dem die “Konkurrenz“ sitzt. Anschließend wird sich auf den Küchenboden gehockt, durch die Küchenzeilen von Blicken der anderen Teilnehmer geschützt der Inhalt des Topf heimlich in die Tupperschale(n) umgefüllt und leer der Kochkollegin präsentiert.
Ich verstehe die Welt nicht mehr.
So erging es auch den Lammhaxen mit schwarzen Linsen und Kürbispüree, die noch locker für eine 6-köpfige Familie, die Cortison einnehmen und dementsprechenden Heißhunger haben, gereicht hätten. Sie wurden schnell von einer Teilnehmerin in eine riesige Tupperschale verfrachtet und in der Ecke gebunkert.
Interpretation:

  • Der Schwabe bunkert, was er bekommen kann?
  • Die Schwäbin hat keine Lust zu kochen und füttert ihren Ehemann viele Tage damit?
  • Die Schwäbin nimmt die Tupperschale mit in die Firma, um in der Mittagspause angeben zu können. „Schaut ´mal liebe Kollegen, was ich Euch tolles in meiner schlaflosen Nacht nur für Euch gekocht habe.“

Mensch, ich hätte beinahe meine Seele verkauft, um von diesen Linsen erneut einen Löffel naschen zu können.

Und wo ist die Schüssel mit der Mousse geblieben???

 

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„Read what I see“: Der Anblick von viel Frau aus der Sicht von Leo

Leo ist ein kleiner blonder Junge im Alter von 3 Jahren. Ein kleiner Charmebolzen, der mich immer an eine Astrid Lindgren Figur erinnert, die noch nicht geschrieben wurde.
Ohne seine Polizeimütze habe ich ihn kaum gesehen, kaum mit schlechter Laune erlebt. Wenn ihm etwas auf dem Herzen liegt, dann stellt er Fragen. Wenn ihm etwas nicht gefällt, dann sagt er es. Wenn er vor mir steht, ausführlich und sehr ausdrücklich erzählt, dass er Polizist werden möchte, dann glaube ich es ihm
auf ’s Wort. Wobei ich die leichte Vermutung habe, dass vielleicht auch der Beruf des Feuerwehrmannes ins Spiel kommen könnte.
Leo hat mir gegenüber keinerlei Hemmungen, mich Löcher in den Bauch zu fragen. Der folgende Auszug gibt einen Überblick darüber, wie groß diese Löcher sein können.
Als ich das erste Mal bei seiner Familie  war, wurde ich erst einmal in Augenschein genommen. Dann sah ich, wie es in seinem Kopf arbeitete und schon stellte er mir, sehr charmant, seine Fragen. Vollkommen aus dem Zusammenhang heraus:
Leo: „Frau Sabine, wann kommt Dein Baby?“
Sabine dreht sich um, verkneift sich das Lachen:
„Leo, das ist kein Baby, das ist mein dicker Bauch.“
Leo: „Nicht schlimm, mein Papa hat auch einen dicken Bauch.“
Leo: „Frau Sabine, wo sind Deine Kinder?“
„Leo, ich habe keine Kinder.“
Leo: „Keine Kinder. Gibt es nicht.“
Leo: „Und wo ist Dein Mann? Im Auto?“
„Ich habe keinen Mann.“

Leo ist irritiert. „Frau Sabine, aber wenigstens Hühner hast Du?“
„Nein, Leo, ich habe keine Hühner. Ich habe keinen Garten dafür.“
Leo: „Frau Sabine, keine Hühner? Egal, Du darfst trotzdem wiederkommen.“
Drehte sich um, knallte seine Hacken wie ein Soldat vor seinem Oberst zusammen und wackelte mit der viel zu großen Mütze auf dem Kopf von dannen.
Und hinterließ eine sehr amüsierte Sabine.

Beim nächsten Besuch war Leo inzwischen 4 Jahre alt. Die Polizeimütze ist immer noch viel zu groß und ich erstaune ihn wegen meiner Körperfülle immer noch?
Leo erzählte ganz stolz von seinem schwarzen Huhn. Dieses Mal war ich ein wenig vorgewarnt und es hätte mich eher enttäuscht, wenn ich mein Fett nicht abbekommen hätte. Schneller als ich denken konnte, ging sein Gedankenkarussell wieder los.
Leo:“ Mein Huhn Valentina ist bald so dick wie Du Frau Sabine.“
„Leo, man sagt den Menschen aber nicht ins Gesicht, dass sie dick sind. Dann sind die traurig.“
Leo: „Aber Frau Sabine, ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der einen so großen Bauch und Popo hat wie Du.“
„Leo, das solltest Du mir so nicht sagen. Ich lache darüber, aber es gibt Menschen, die sind dann traurig, wenn man ihnen sagt, dass sie dick sind.“
Leo: „Aber Frau Sabine, Du bist doch dick!“
„Leo, ich habe eine Freundin, die hat noch einen dickeren Popo als ich. Die wäre ganz traurig, wenn Du ihr sagst, dass sie dick ist“
Leo: „Einen größeren Popo als Du Frau Sabine? DAS gibt es wirklich nicht. Aber Du hast nicht einen so großen Busen wie meine Oma. Der ist nämlich riesig.“
Damit schien das Thema vorerst erledigt.

Er hörte Musik, malte, und erklärt, dass er das Kinderzimmer neben dem Bad bekommen hat, da er nachts manchmal ganz schnell auf die Toilette muss. Mit dem kurzen Weg passiert ihm nicht so schnell ein Malheur.
„Leo, das kann doch mal passieren. Der Sohn von meinem Bruder hat im Kindergarten manchmal in die Hose gemacht. Dann haben ihn die anderen Kinder Hosenscheißer genannt.“
Leo: „Frau Sabine, das ist aber ganz, ganz gemein!“
„Ja Leo und wenn Du zu Menschen sagst, dass sie dick sind, ist das auch gemein.“
„Oh Frau Sabine, ja das ist richtig gemein.“ Und schüttelt seinen blonden Lausbubenkopf dazu…..
Dreht sich um und hat etwas gelernt?

Auf die Fortsetzung unseres nächsten Dialoges bin ich sehr gespannt.

Zum Abschied bekam ich ein selbst gemaltes Bild von ihm. Für ihn stelle ich irgendwie ein Phänomen dar. Er kennt Frauen mit dickem Bauch nur, wenn sie schwanger sind. Eine Frau ohne Mann ist für ihn ebenfalls unbekannt. Nun repräsentiere ich einige Bereiche dar, die ihm unbekannt sind: Dick, kein Mann und man beachte: Keine Hühner.
Um ehrlich zu sein: Seine offene Fragestellungen ohne dabei  Hemmungen zu haben, seine Verwunderungen anzusprechen, amüsieren mich. Mir machen sie Spaß. Nein, sie verletzen mich nicht und erinnern mich daran, wie meine Außenwirkung sein kann. Ja, viel Frau wird von den Menschen sicherlich verschieden wahrgenommen. Und von vielen Männern gemocht.

„Read what I see“: Der alte Bonbonladen

Von weitem sah ich das alte Blechschild an einer Stange über dem Schaufenster hängen: Feinkostgeschäft. Mit langsamen Schritten näherte ich mich, um dort ein paar „Leckerlis“ zu kaufen. Gedacht hatte ich an ausländische, in Öl eingelegte Spezialitäten. Als ich vor dem Geschäft stand, musste ich schmunzeln. Es war ein alter „Bonbonladen“. Hier würde ich eher süße Dinge finden. Im linken Schaufenster befand sich ein alter Kaffeeverkaufsautomat, der mit seinen Einschüben einem Zigarettenautomaten ähnelte. Umgeben war er von verschiedenen 500g Kaffeepackungen hochwertiger Hersteller. Nachdem sich mein Blick von diesem Schaufenster löste, wanderte er nach rechts. Das im Schaufenster platzierte Fahrrad nahm ich nur halb war. Mein Augenmerk wurde auf mehrere Tabletts gerichtet, die mit Fruchtgummi Fröschen, Brause Bären, Brause Stäben, Saftigen Schokoladenfrüchten, Englischem Weingummi, Lakritzstaffetten bestückt waren und vielen weiteren Süßigkeiten, die sich in alten Metalldosen befanden und drumherum platziert waren. Erinnerungen an den alten Dorf- Tante- Emma- Laden wurden wach. Die alte Besitzerin hatte noch vor den Supermärkten erkannt, dass die Kinder von heute die Kunden von morgen sind und die kleinen Süßwaren direkt neben der Kasse aufgestellt. Brausebrocken, dünne runde Brausebonbons, Gummiteufelchen, Braustetüten und vieles mehr lockten, wenn die Mutter ihren Einkauf bezahlen wollte. Oder es lockte die Kinder, wenn sie Biene Maja oder Heidi Sammelbilder für ihr Album kaufen wollten. Oft gab es die Qual der Wahl: Das Sammelalbum oder den Bauch füllen? Zu oft gewann der Bauch. Vor allem, wenn gelegentlich Mohrendatschbrötchen im Sortiment waren.
Ich blendete meine Erinnerung mit einem Lächeln aus und betrat den Laden. Hinter einer breiten, runden Verkaufstheke standen drei Verkäuferinnen in weißen, langen, gestärkten Kitteln. Mitten im Raum stand eine große Etagere, die mit vielen verschiedenen Bonbons zum Einheitspreis gefüllt war. Kleine Bonbons, und große, in buntem Papier eingepackt. An Haken hingen Papiertüten in verschiedenen Größen. Da ich nicht widerstehen konnte, nahm ich mir eine Tüte und füllte sie mit einer Handvoll der verschiedensten Sorten.
Links am Eingang befanden sich Regale mit Einlegefächern, die jedem Schleckermäulchem und in Kindheitserinnerungen Badenden automatisch ein Lächeln oder ein dickes Grinsen ins Gesicht zauberten.

Zuerst sah ich die Sahne Toffee Bonbons. Süße, in Papier mit Kuhaufdruck eingewickelte, Karamellbonbons. Als Kinder nannten wir sie nur „Kuhbonbons“. Noch heute konnte ich mich an den Geschmack des Karamells erinnern, den ich immer als zu penetrant empfand und sich wie eine Kaugummischicht auf die Backenzähne legte.
Im Fach darunter lagen Brombeeren. Mit kleinen Kügelchen ummantelt, die beim langsamen Lutschen gerne am Gaumen festklebten und sich nur durch Zungenakrobatik entfernen ließen.
In weiteren Fächern lagen kleine Löffelbiskuits, Pfefferminzbrocken und Magenbrot. Was lachte mein Herz als ich mit Pfefferminz gefüllte Creme Hütchen und saure Zungen entdeckte. Weitere paradiesische Erinnerungen durchströmten mein Hirn als ich mich umschaute, wobei die Schleckmuscheln mich, im Gegensatz zu früher, an diesem Tag nicht in Versuchung führten. Irgendwie hoffte ich in einem Fach die kleinen silbrigen Lakritzfischchen zu sehen, die, mit Plomben in Kontakt kommend, gerne einen kleinen Stromschlag durch die Mundhöhle schickten.

Ich schaute mich weiterhin um und kam mit den Mitarbeiterinnen ins Gespräch. Irgendwann erzählte die Ältere von ihnen: „Ja, wir hatten auch ein Geschäft in Tübingen. Auf der Neuen Straße. Das ist gar nicht so lange her. Bis 1960.“
Bis 1960.
Gar nicht so lange her.
Ich verkniff mir ein liebevolles Grinsen.
Als ich an der Kasse meine Handvoll Bonbons bezahlte, wurden sie von der großen Tüte in eine kleine umgepackt. Es wird ja nichts verschenkt. Auch keine zu große Tüte.

Beschwingt verließ ich dieses alte Geschäft und hatte über den Tag verteilt immer wieder Erinnerungen an Bonbons aus der Kindheit oder an Rituale.

„Read what I see“: Sonntagmorgen im Café

„Die Maschine iss kaputt. Deshalb können wir das nich machen. Deshalb hat die Maschine unten auch noch das Loch drinne.“
„Sie wollen mir damit sagen, dass Sie mir heute keinen frisch gepressten Orangensaft machen können?“
„Genau, die Maschine iss kaputt.“
„Von Hand pressen?“
„Des kenn ich nich.“
Ich muss den Blick nicht heben, um altbekannte Gesichter im Café hinter der Kuchentheke und als Gast im Café zu sehen. Menschen, die ich bereits hier beschrieb. http://schreiben-von-innen.de/read-what-i-see-sonntagmorgen/ 
„Des kenn ich nich“ kommt aus dem Mund der Mitarbeiterin, der ich weiterhin unterstelle, ihre Arbeitskraft besser als Magd auf einem Bauernhof einzusetzen. Nicht im direkten Kundenkontakt. Bei uns im Dorf hätte man sie früher als Trampel bezeichnet.
„Weisse, ich mach´ das hier nur nebenbei,“ klärt sie den Auszubildenden auf. „Die Woche unter schaff´ ich auf dem Rathaus.“ Meine Fantasie reicht nicht aus, um sie mir als Mitarbeiterin einer Behörde vorzustellen. Oder doch? Hat sie Kundenkontakt und jeder zweite Satz, den sie ausspricht lautet: „Von den gelben Säcken gibbet aber nur einen.“
Peng, peng. Was ist das? Erschrocken fahre ich aus meinem gemütlichen Sessel hoch. Kein Pistolenschuss, sondern ein großer Besen, der von der besagten Mitarbeiterin durch die hintere Backstube geführt wird. Anscheinend sieht sie ihre Aufgabe darin jede Ecke und jede Kante mit dem Besenstiel zu schlagen? Zu erschlagen? Peng, peng geht es weiter. Nicht nur ihr Stimmorgan ist sehr laut, auch die Besenführung. Mit dem Besen fegt sie hinter der Kuchentheke weiter und ich befürchte schon, dass die ersten Scheiben in der Theke zerbersten. Peng, peng, peng.
Ich habe mich meinem Buch gewidmet und werde abgelenkt.
„Brötchen warm kann ich nich belegen,“ höre ich. „Nich, dass die Wurst schlecht wird.“
Ich schaue auf.
„Dann nehme ich halt eines mit Salami,“ kommt es aus Richtung eines jungen Mannes.
„Ach, das gehet ja. Salami wird auf der Pizza ja auch immer warm und man wird davon nicht krank.“
Der Kunde, ein vom Fußball spielen einkehrender junger Mann, schaut mich an, verdreht die Augen und kann sich ein grinsen nur schwer verkneifen.
Ich trinke meine zweite Latte, als mich ein lauter Schwall an Sätzen aus meinem Lesegenuss reißt.
„Wir hab´n nix mehr. Die wollten heute Morgen schon alle Brötchen.“
Wer sind alle? Ja, es ist Sinn einer Bäckerei Brötchen zu verkaufen, oder?
„Ich hab´ da schon angerufen. Ob wir noch was kriegen, weiß ich doch nich.
Komm´ se nachher mal wieder.“

Nicht nur ein Kunde verlässt kopfschüttelnd das Café mit angeschlossener Bäckerei. Als sie schreit: „Kaufen Sie statt 8 Weckle doch 8 Stück Kuchen, schmeckt doch auch,“ ist es für mich an der Zeit meine Ohren auf Durchzug zu stellen. Diese Frau ist die Umsatzbremse und Kundenverscheucherin schlechthin. Wurde sie eventuell von der Konkurrenz eingeschleust? Mein Detektivsinn ist erwacht. Parallel kreist im Kopf weiterhin der Gedanke als was sie im Rathaus tätig sein könnte.
Auf der Terrasse bekomme ich Gesprächsfetzen von Kunden mit, die sich am kleinen Brunnen vor dem Café gesammelt haben.
„Kuchen statt Weckle, auf welchen Schmarrn die kommt.“
„Hier kannst Du sonntags keinen Kaffee trinken gehen, wenn sie arbeitet. All´ die Interna, die sie laut raus brüllt, das will ich doch nicht hören. Eigentlich müsste man mal in der Zentrale anrufen und dort Bescheid geben. Sie würden uns sicher einen Brezelorden verleihen.“
„Ich gehe hier sonntags eigentlich nicht mehr hin. Die lebendige Betriebs-Läster-Zeitung auf zwei Beinen muss ich mir nicht geben. Man will doch nur einen Kaffee trinken gehen oder ein paar Weckle holen, aber nicht mit Ohropax ein Café betreten müssen.“
Ohne Weckle, ohne Kuchen ziehen alle von dannen.
Ich fühle mich mit meinen Empfindungen nicht alleine.

 

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„Read what I see“: Verschiedene Alltagsbeobachtungen

Häufig beobachten wir die kleinen Momente im Alltag, die wir wahrnehmen und dennoch nicht wahrnehmen. Die Besucher der Stadtbibliothek, die täglich die verschiedenen Tageszeitungen dort lesen. Die betagte Dame, die sich mit ihrem Rollator im Kreise dreht, weil sie etwas in der Handhabung falsch macht und herzhaft über sich lacht. Die vielen verschiedenen Besucher in den Cafés, die ihre Zeit aus den verschiedensten Gründen dort verbringen. Der Nichtschwabe, der versucht tiefstes schwäbisch zu verstehen und dessen Gesicht nur aus einem großen Fragezeichen besteht.
Woran erkenne ich im Schwabenland einen „Ausländer“? Damit ist nicht jemand gemeint, der eine Fremdsprache spricht oder fremd ausschaut. Im Coffee Shop am Stuttgarter Hauptbahnhof outet sich derjenige als Nichtschwabe, der folgendes bestellt: „Eine Brezel mit etwas Butter oben drauf.“ Ich gehe nun nicht auf den starken sächsischen Dialekt ein, sondern auf die Umschreibung des schwäbischen Nationalgutes. Ein Schwabe hätte ganz ordinär „Butterbrezel, bitte“ bestellt.
Gegebenenfalls auch ohne bitte hin zu zufügen.
Ich kann selten durch einen Bahnhof schlendern, ohne dass mir Menschen auffallen.
Am Fahrkartenautomat stand eine ältere Dame, die versuchte einen Fahrschein zu ziehen. Auf eine Art und Weise gekleidet, die ich heute nicht mehr oft sehe. Dunkler, langer Rock, sehr schicke Bluse mit einem Blazer darüber, Halbschuhe mit Absatz. Dazu schneeweiße, ondulierte Haare. Sie fiel mir auf, da sie einen Henkelkorb aus Bast in der Hand trug, der mindestens 50 Jahre alt sein muss. Erwartet hätte ich, dass er mit frischem Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten gefüllt gewesen wäre. Das Bild wäre für mich dann irgendwie komplett gewesen.
Unaufgefordert half ich ihr den passenden Fahrschein zu ziehen, worüber sie sich sehr freute. Ich gestand ihr nicht, dass auch ich mit diesen Fahrscheinautomaten auf Kriegsfuß stehe, wenn ich unter Zeitdruck bin oder im Nahverkehr mehr als 2 Zonen benötige.
Den ganzen Tag sah ich ihr Gesicht vor mir. Sie hatte etwas Feines und verletzliches an sich.

Kaum drehte ich mich um, sah ich ein Ehepaar, welches mir auffiel, weil, ja, weil sie merkwürdiges Schuhwerk trugen. Nicht bunt oder anderweitig auffallend, sondern in einer viel zu kleinen Schuhgröße. Beide schätzte ich auf Mitte 60 ein. Er trug eine Art Sandalen, deren Zehen soweit heraus ragten, dass sie fast den Boden berührten. Der Blick des Betrachters wurde automatisch auf sie gelenkt. Sicherlich auch, weil diese Zehen aussahen, als hätten sie tausende Meilen barfuß Laufens hinter sich gebracht.Bei ihr sah es gemäßigter aus.  Die bestrumpften Füße steckten ebenfalls in Sandalen. Wobei nur geschätzte 3-4cm Zehen heraus schauten.
Komisch, was Frau plötzlich wahrnimmt. Vielleicht lag es daran, dass der Blick es Zuschauers förmlich darauf gedrängt wurde?
Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, dass mir dieses Ehepaar später erneut begegnen würde und die Hauptfiguren zum Thema „Intelligenzvakuumisten“ bilden würden.
Eine Umsteigestation weiter drückten sich mehrere ältere Ehepaare, in der Holzunterführung des Bahnhofes, die Nasen an der eingelassenen Plexiglasscheibe  platt. Hinter diese ist eine kleine Sandgrube erkennbar. Irritiert fragen sie sich untereinander: „Wie soll da `mal ein Zug rein passen?“ „ Ach, das geht schon, das ist doch bald ein unterirdischer Bahnhof.“
Aha, ein unterirdischer Bahnhof, der oberirdisch eine kleine Grube zeigt. Diese kleine Sandgrube könnte vielleicht die Märklin Eisenbahn aus dem Keller daheim aufnehmen. Es übersteigt meine Fantasie und meinen Verstand, mir eine Lok der DB mit vielen Waggons in dieser kleinen Grube vorzustellen.
Die drei Pärchen gingen weiter und beharrten in ihren Gesprächen untereinander darauf, dass der neue Bahnhof nun doch nicht so tief ist. Das ganze Theater drum herum sei doch h ein wenig übertrieben.
Irgendwann geht es vom Bahnsteig in den Zug hinein. Die Fahrt beginnt.
Von früheren Klassenfahrten habe ich es in Erinnerung, dass der Proviant ausgepackt wird sobald der Zug los gerollt ist. Früher erlebte man den Geruch von kalten Frikadellen oder hart gekochten Eiern. Die obligatorischen Äpfel und Süßwaren rochen nicht.
Was aber riecht, nein stinkt, sind frisch geschnittene Zwiebeln. Erst wird die BILD Zeitung beiseite gelegt, dann die Aufbewahrungsdose geöffnet. In dem Moment habe ich es verflucht, dass sich die Fenster nicht mehr öffnen lassen. Eine Klimaanlage kann einen solchen Duft erst in vielen, vielen Stunden verarbeiten: Harzer Käse wurde ausgepackt, der mit frisch geschnittenen Zwiebeln in reichlicher Menge in kleinen Happen verzehrt wird. Der Blick dieses „Genießers“ schweifte Beifall heischend in die gesamte Runde. „Seht, so etwas leckeres ich habe, aber ich gebe nichts ab.“
Dieser Moment führte dazu, dass ich einmal den langen Zug bis nach hinten und zurück durch marschierte. Es half nichts. Dieser Geruch war überwältigend mies. Wurde er dadurch noch angereichert, dass er es sich nun gemütlich machte? Schuhe standen unter dem Abteiltisch und die löchrigen Strümpfe boten einen interessanten Anblick.
Als später der Kaffeeservice kam, wurde dieses Geruchswirrwarr sehr speziell. Für sehr lange Zeit flüchtete ich Bordbistro.
Gerne besuche ich die Leseecke in der Stadtbibliothek. Sie bietet einen reichlichen Fundus für Beobachtungen. Oft vermute ich, dass die sehr große Auswahl an Tages- und Wochenzeitungen nur einen Vorwand abgibt. Statt zu lesen, beobachten sich die  einzelnen Besucher untereinander. Getränke dürfen nicht verzehrt werden, gesprochen wird kaum, gelegentlich an einem Laptop gearbeitet. Was macht dann den Aufenthalt dort so reizvoll als Nichtleser der Tageszeitungen?
Sehen und gesehen werden, beobachten und beobachtet werden? Und ein wenig lesen?
Die Schirmmütze sehr tief ins Gesicht gezogen, den Rücken tief gebeugt, die Süddeutsche Zeitung weit weg gehalten: Dieser ältere Mann sitzt mehrmals wöchentlich an gleichen Platz. Seinem Stammplatz. Bis weit in den Mittag liest er die Zeitung, auf Abstand gehalten und oft frage ich mich, mag er sich keine Lesebrille gönnen oder kann er sich keine gönnen. Zu gerne möchte ich einmal einen Blick in sein Gesicht erhaschen, doch die Schirmmütze verhindert es. Einmal glaubte ich, sehr buschige, weiße Augenbrauen gesehen zu haben. Oder mehr erahnt zu haben?
Schräg gegenüber sitzt häufig eine Frau in den 70ern. Stets sehr schick angezogen, manchmal mit Hut, manchmal ohne. Die Perlenkette und die Perlenohrringe fehlen nie. Sie liest meist DIE ZEIT oder auch die LANDLUST. Sie nimmt eine Körperhaltung ein, die mich immer an eine Primaballerina erinnert. Im 5- Sekundentakt schiebt sie mit einer automatischen Bewegung ihre Lesebrille von der Nasenspitze hoch Richtung Augen. Nie habe ich erlebt, dass sie andere Besucher betrachtet. Oder sich eine andere Tageszeitung nimmt. Vertieft in ihre Lektüre nimmt sie um sich herum nichts wahr.
Besuche ich die Leseecke will ich ebenfalls nur DIE ZEIT lesen und in anderen Tageszeitungen stöbern. Damit beginne ich, um dann in Betrachtungen zu versinken und mir auszumalen, warum wer so häufig hier ist. Welche Lebensgeschichte könnte ich von der Dame mit den Perlenohrringen erfahren? Wie mag das Gesicht des Mannes mit der Schirmmütze ausschauen?
Die Lösung wäre so einfach: Aufstehen und fragen. Und somit  eventuell um einige Illusionen oder Gedankengänge ärmer zu sein?

„Read what I see“: Es duftet

 „Das ist guuuuut. Das ist schööööööön!“
Nein, dieser Satz wird nicht von einer Patientin auf einer Massageliege gestöhnt.
Dieser Satz wird von einer in „4711“ getunkten, mit riesigem Perlenschmuck behangenen, älteren Dame in den Raum gestoßen. Automatisch frage ich mich, wie so viel Schmuck auf so wenig Frau Platz finden kann. Weitere Gedankengänge sind erst einmal unterbrochen, denn meine Gehirnsynapsen werden durch eine Überforderung meiner sich in der Mundhöhle befindlichen Synapsen gestört.
Der durchdringende Geruch von „4711“ breitet sich über den ganzen Raum aus und erreicht meine Zunge wie eine überdimensionierte Feinstoffwolke.
Der nächste Schluck meines entkoffeinierten Espresso verursacht ein Chaos in meinem Mund und hinterlässt einen Geschmack nach alter, mit Asphalt angereicherter Spüllauge.
Ich möchte ein Schluck Wasser zum nachspülen trinken, doch die „4711“ Wolke legt sich überall nieder. Ich befürchte, dass sie sich einen Weg unter die mit Kronkorken versiegelten Wasserflaschen bahnt oder es sich bereits im Zugang zum Wasserhahn gemütlich gemacht hat.
Ein Kaugummi würde keine wirkliche Hilfe bringen, also bitte ich die Kellnerin um zwei Kaffeebohnen, die ich tapfer und mit stoischem Gesichtsausdruck zerkaue. Bitterer Kaffeegeschmack kann wirklich Erleichterung verschaffen.
Mein Kopf funktioniert wieder und ich wäge die Möglichkeiten ab, die ältere Dame wegen „duftiger Körperverletzung“ anzuzeigen. Diesem Gedanken muss ich in Ruhe folgen.
Wer ist diese Frau, die diesen Satz so laut stöhnte? Zumindest ist sie eine Frau, die sich über ein kleines Müsli mit frisch gepresstem Orangensaft, auf eben diese Art freuen kann.
Die ihren großen Flechteinkaufskorb stolz trägt, die eine eng geschnittene Bluse mit Tigermuster trägt und über all´ den Perlen noch einen überdimensionierten blau gemusterten Schal drapiert. Von allem irgendwie etwas zu viel. Ihre Cordjacke, mit den Flicken an den Ellenbogen hat sie locker auf dem Stuhl neben sich gelegt und bei einer Armbewegung von ihr fühle ich mich in der ausgeströmten Wolke gefangen. Misshandelt.
Dieser übermäßige Gebrauch von Kölnisch Wasser vernebelt mein Gehirn, er verlangsamt meine Bewegungen. Ich möchte fliehen und kann nicht umhin, ihrer Unterhaltung zu folgen.
„Wusstest Du es schon, die Annemarie arbeitet jetzt als Domina in ihrer Garage.“
„Ja mei, wirklich? Das hatte ich mir doch schon immer gedacht.“
Ich halte inne. Was hört mein vernebeltes Hirn? Die Annemarie arbeitet nun also als Domina in ihrer Garage. Ich muss innerlich lachen und denke sofort an die typischen Verhörer im Radio: Statt „The Phone rings“ wird meist: „Da vorne links“ verstanden oder statt „All my feelings grow“ verstehen viele: „Die Oma fiel ins Klo“.
Ich möchte nicht hinüber gehen und nachfragen, in welchem Beruf die Annemarie wirklich tätig ist. Die zu erwartende Duftkonzentration würde mich eventuell in die absolute Reizüberflutung, mit einer nahenden Ohnmacht, treiben.
Stattdessen frage ich mich, ob die Garage eine Einzel- oder eine Doppelgarage ist. Oder gar eine Reihengarage?
Wo mag sie stehen? Vor einem Einfamilienhaus, neben einem Mehrfamilienhaus? Wie gestaltet sich die Außenwerbung? Was würde ich sehen, wenn sich das automatische Garagentor öffnen würde? In einer Einzelgarage vermutlich nicht viel? Etwas Ausstattung und eine Dame? Eine junge oder eine ältere? Und was noch? Würde ich etwas zu hören bekommen (Ich denke automatisch an den Song der Ärzte „Bitte, bitte“)?
Die Hausfrau in mir kommt durch und fragt sich, ob es Platz gibt für ein kleines Badezimmer?
Fragen über Fragen.
Ich könnte nun ein stattliches Gedankenkarussell laufen lassen, doch muss ich wissen, ob es wirklich eine in der Garage arbeitende Annemarie gibt?
Ich hänge meinen Gedanken nach und vermute immer stärker, dass es richtig hätte heißen müssen: Die Annemarie hat nun eine neue Garage. Dazu würde auch die Antwort der zweiten Frau passen.
Die ältere Dame hat ihr stöhnen beendet. Orangensaft und Müsli wurden verspeist und sie verlässt das Café.
Statt weiterhin über Annemarie nachzudenken, stelle ich Vermutungen an, wo die ältere Dame solch lautes und intensives stöhnen gelernt haben könnte?