Thomas Melle: Die Welt im Rücken

Klappentext:
Auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2016
«Wenn Sie bipolar sind, hat Ihr Leben keine Kontinuität mehr. Die Krankheit hat Ihre Vergangenheit zerschossen, und in noch stärkerem Maße bedroht sie Ihre Zukunft. Mit jeder manischen Episode wird Ihr Leben, wie Sie es kannten, weiter verunmöglicht. Die Person, die Sie zu sein und kennen glaubten, besitzt kein festes Fundament mehr. Sie können sich Ihrer selbst nicht mehr sicher sein. Und Sie wissen nicht mehr, wer Sie waren. Was sonst vielleicht als Gedanke kurz aufleuchtet, um sofort verworfen zu werden, wird im manischen Kurzschluss zur Tat. Jeder Mensch birgt wohl einen Abgrund in sich, in welchen er bisweilen einen Blick gewährt; eine Manie aber ist eine ganze Tour durch diesen Abgrund, und was Sie jahrelang von sich wussten, wird innerhalb kürzester Zeit ungültig. Sie fangen nicht bei null an, nein, Sie rutschen ins Minus, und nichts mehr ist mit Ihnen auf verlässliche Weise verbunden.»
Thomas Melle leidet seit vielen Jahren an der manisch-depressiven Erkrankung, auch bipolare Störung genannt. Nun erzählt er davon, erzählt von persönlichen Dramen und langsamer Besserung – und gibt einen außergewöhnlichen Einblick in das, was in einem Erkrankten so vorgeht. Die fesselnde Chronik eines zerrissenen Lebens, ein autobiografisch radikales Werk von höchster literarischer Kraft.
Von Thomas Melle las ich vor einiger Zeit „3000 Euro“, welches ebenfalls für den Deutschen Buchpreis nominiert war und fand das Buch vollkommen überbewertet. Sowohl inhaltlich als auch sprachlich.
Als er nun mit „Die Welt im Rücken“ wieder auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis stand, machte mich das Buch nicht neugierig. Zu dem Zeitpunkt hatte ich es noch nicht in den Händen gehalten. Als ich verstand, dass er über seine manisch-depressive Erkrankung schrieb, wurde ich nur ein klitzeklein wenig neugierig. Vor einigen Jahren war ich händeringend auf der Suche nach Büchern zu diesem Thema, um festzustellen:

  • Es gibt nur wenige Bücher zu dem Thema
  • Diese wurden meist von der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störung heraus gegeben und waren ein Sammelsurium schlechter Texte
  • Wenn es Bücher gab, erschienen sie als BoD und waren schlecht geschrieben
  • „Matze, Dein Papa hat ´ne Meise“ war OK, weckte aber nicht mein Bedürfnis wirklich mehr über das Thema lesen zu wollen.

Dann kam der Tag, an dem ich eine Leseprobe von „Die Welt im Rücken“ erhielt. Gleich der Prolog mit der Beschreibung der verlorenen Bibliothek und dem Sex mit Madonna faszinierten mich. Inhalt, angedeuteter Humor und die Sprache: Ich musste das Buch schnell haben. Das Buch über „Manie & Depression. Vom Krieg zweier Ungeheuer“
Ungeduldig las ich es quer und „peng, peng“ erwischten mich die sprachgewaltigen Sätze. Deren Energien erschlugen mich beinahe und sogen mich in den Bann. Den obigen Satz werde ich in ähnlicher Form folgend noch häufiger nutzen.
Endlich begann ich das Buch von Seite 1 an zu lesen. Und war wieder von der Schonungslosigkeit und der Energie gepackt. Ich konnte es nicht an einem Stück lesen. Zu oft schweiften meine Gedanken in Erinnerungen ab und ich reflektierte. Dieser Prozess benötigte einige Wochen. Reflektieren, ohne in Selbstmitleid zu zerfallen, kostet Zeit und verbraucht Kraft. Da ich selber manisch-depressiv bin (der Göttin sei Dank habe ich keine Psychosen) ging die Kraft des Buches, die Kraft des Themas einfach nicht an mir vorbei.
Nun war diese Phase beendet und ich konnte das Buch endlich so lesen, wie ich ein Buch lese. Von Seite 1 bis zur letzten Seite.
Die Faszination wurde nicht weniger. Wie soll ich in Worte fassen, was diese Sprachgewalt von Thomas Melle hier ausmacht? Das Buch liegt weiterhin bei mir auf dem Schreibtisch. Gespickt mit vielen verschiedenen farbigen Post Its. Wäre es mein eigenes Buch, hätte ich Notizen über Notizen hinein geschrieben. Da es nur ausgeliehen ist, behalf ich mir mit diesen Mitteln. Auch beim dritten lesen bekam ich wieder das Gefühl: „Peng, dieser Satz knallt mir ins Gehirn.“ „Peng, dieser Satz brennt sich ein. „Peng, peng, dieser Satz strotzt vor Virtuosität“
Lese ich Sätze, in denen er die Depression mit dem Kampf gegen den Selbstmord beschreibt, so ziehe ich den Hut. Zwei Absätze, die alles beschreiben. Wofür andere ein halbes Buch benötigen würden. Kann man ihm böse sein, wenn er schreibt „die Psychiatrie ist ein Sammelsurium von Fehlexemplaren, die….“? Nein, denn er beschreibt es treffend.
Hier schreibt jemand über eine Erkrankung, die irgendwo nicht greifbar ist. Auch nach lesen des Buches versteht man sie und das Handeln eines Manisch-Depressiven als solchen nicht besser.
Melle schreibt über sich: „Wenn Sie manisch-depressiv sind, hat Ihr Leben keine Kontinuität mehr.“ Über diese nicht vorhandene Kontinuität schreibt er halt. Das könnten sicherlich einige. Doch wie macht er es, dass dieses Buch mich so in den Bann gezogen hatte. Und hat?
Zum einen, indem er nichts beschönigt und radikal offen schreibt. Er beschreibt die Abgründe genauso, wie die absurden Momente. Man kann sich darüber streiten, ob es nicht ausgereicht hätte, über eine manisch-depressive Phase zu schreiben, da sich theoretisch alles wiederholt.
Nein, es hätte nicht gereicht. Wenn er über seine Leben schreibt, welches durch die Erkrankung geprägt ist, gehören für mich alle seine drei Phasen dazu. Genauso gehört für mich dazu, dass er auch ein wenig über seine Kindheit schreibt.
Mich fasziniert seine Schonungslosigkeit, wie er über sein Leben, welches inzwischen durch die Erkrankung geprägt ist, schreibt und dieses analysiert.
Natürlich bin ich auch fasziniert, weil Thomas Melle einfach schreiben kann und mich mit den „Peng, peng Momenten“ packt. Bei mir entsteht der Eindruck, dass er nicht monatelang über Sätze und Worte gebrütet hat, sondern einfach geschrieben hat.
Er kann schreiben. In einer Qualität, die der Hammer ist. Die mich beeindruckt und mich zweifeln ließ jemals selber wieder etwas zu schreiben.
Hätte er den Deutschen Buchpreis bekommen, ich hätte es mehr als O.K. gefunden.
Stattdessen scheint er der Leonardo di Caprio des Deutschen Buchpreises zu werden.
Ist es große Literatur? Ich weiß es nicht, da ich mir ein Urteil darüber nicht zutraue. Ich weiß, dass mich dieses Buch auch gepackt und fasziniert hätte, wenn ich nicht selber manisch-depressiv wäre. Im Gegenteil. Das wurde mir ja erst wieder beim ersten vollständigen Lesen richtig bewusst.
Für mich ist es leichter, schlechte Bücher zu beschreiben. Hier finde ich Ansatzpunkte. Doch wie ein, in meinen Augen, grandioses Buch beschreiben, ohne in Floskeln zu ergehen?
Ich habe es mit den obigen Zeilen versucht.
Auszug der letzten Seite aus „Die Welt im Rücken“:
„Die Welt im Rücken werde ich nicht aufgeben. Die Hoffnung heißt: nie wieder manisch werden. Aber es mag mich noch einmal umhauen und hinaustragen, dann als quallig knochenloses Etwas heranspülen. Ich werde mir die Knochen wieder erarbeiten.“
Dieser Absatz gibt Hoffnung.

Kuhl + Sandrock: Das Dickicht

Klappentext:
Ein smartes Ermittlerduo, auf das die Krimiwelt gewartet hat, und ein Twist, bei dem sich die Nackenhaare aufstellen …
Ein Must-have für alle, die richtig gute Spannung lieben.
Juha Korhonen und sein Kollege Lucas «Lux» Adisa vom LKA Hamburg werden zu einem Entführungsfall hinzugezogen. Schnell merkt Juha, dass der Fall frappierende Parallelen zu einem fast zwei Jahrzehnte zurückliegenden Verbrechen aufweist, einem seiner ersten Einsätze beim LKA, der ihn bis heute nicht loslässt. Damals wurde der vierzehnjährige Daniel Boysen in einer Kiste im Wald vergraben und konnte nur noch tot geborgen werden. Der Täter beging Suizid.
Bei den Ermittlungen entdeckt Lux Unstimmigkeiten in der Akte Boysen. Warum hat der damalige Kommissar nach Abschluss des Falles weiterermittelt, bevor er kurz darauf starb? Juha und Lux folgen seinen Hinweisen immer tiefer ins Dickicht der Vergangenheit. Hat man sich seinerzeit vorschnell mit der falschen Lösung zufriedengegeben? Stück für Stück offenbart sich eine Tragödie, in der Opfer zu Tätern wurden und umgekehrt – und die ihren Schatten bis in die Gegenwart wirft …
 

Juha Korhonen vom LKA ermittelt mit seinem Kollegen Lucas Adisa (Lux) in einem Entführungsfall, der auffällige Parallelen zu einem Cold Case aufweist.
Vor nicht ganz zwanzig Jahren, ganz zu Beginn seiner Tätigkeit beim LKA fand er mit seinem Vorgesetzten Werner Swoboda ein vierzehnjähriges Mordopfer. Daniel Boysen. Erstickt in einer vergrabenen Holzkiste im Wald.
Nach dem Suizid des angeblichen Täters galt der Fall als abgeschlossen.
Die aktuelle Entführung klärt sich schnell auf. Es stellt sich heraus, dass der damalige Kommissar Swoboda vor seinem Tod privat weiter in dem Fall Boysen ermittelte. Mit diesen Hinweisen eröffnen Korhonen und Lux den Cold Case. Weiterlesen

Tana French: Feuerjagd

 

Klappentext:
Zwei Männer kommen nach Ardnakelty. Einer kommt nach Hause. Einer kommt, um zu sterben. Und ein junges Mädchen steht zwischen allen Fronten.
Ein ungewöhnlich heißer Sommer hat Irland im Griff. Die Farmer sind nervös, die Ernten bedroht. Die 15-jährige Trey hat an das kleine Dorf schon ihren Bruder verloren. Etwas Sicherheit bietet der Außenseiterin nur der ehemalige Polizist Cal, der sie liebt wie eine Tochter. Da kommt nach Jahren der Abwesenheit unerwartet Treys Vater zurück. Mit offenen Armen empfängt ihn niemand, doch er bringt einen verheißungsvollen, gefährlichen Plan mit. Und einen Fremden. Cal versucht, Trey zu schützen, aber Trey will keinen Schutz. Sie will Rache.

»Herausragend. Welch ein Glück für uns Leser!« Stephen King
»Einzigartig stimmungsvoll … außergewöhnlich … wer immer noch glaubt, French müsse sich an die Regeln halten, hat ihre bemerkenswerten Romane nicht verdient.« Washington Post
»Tana Frenchs Dialoge gehören zu den besten der Branche. Sie zeigt das banale Böse hinter dem lächelnden Gesicht des Dorfes und erinnert uns daran, dass wir solche Orte auf eigene Gefahr unterschätzen.« New York Times
»Vielschichtig erzählt, eindringlich und atmosphärisch … Die Figuren werden so lebendig, dass ich mich noch lange nach der Lektüre frage, wie es ihnen geht – ein Beweis für die Meisterschaft der Autorin.« Guardian
»Vielleicht Tana Frenchs bester Roman bisher. Spannend und intelligent erkundet die Autorin Fragen von Loyalität, Instinkt und Gemeinschaft. Meisterhaft legt sie Geheimnisse frei, die wir aus Liebe oder Rache bewahren, und erforscht, wie weit wir gehen, um unsere Familie zu schützen, sei sie blutsverwandt oder gewählt.« CrimeReads
»Eine fesselnde Geschichte von Vergeltung, Aufopferung und Familie – von der Königin der irischen
Spannungsliteratur.« TIME

 Schwer beeindruckt fällt es mr schwer meine Begeisterung in Worte zu fassen.

Der Vorgänger, „Der Sucher“, war bereits ein grandioses Buch. Bewusst spreche ich von Buch und nicht Krimi, da es für mich kein klassischer Krimi war. Ein Roman, der mich in vielen Bereichen an einen Western erinnerte. Nie hätte ich damit gerechnet, dass Tana French einen zweiten Band, ebenfalls grandios, schreiben würde.
Während eines heißen Sommers kommt Treys Vater zurück ins Dorf. Er bringt einen reichen Engländer mit, der in dem Ort nach Gold suchen möchte.
Dies beschreibt oberflächlich die Handlung, die ein Buch von 528 Seiten füllt. Spannend füllt.
Die Spannung wird nicht durch Aneinanderreihung von blutigen Morden erzeugt.
Im Gegenteil. Die Beschreibung von Familie, Natur und Bewohnern und der Dynamik im Dorf ließen mich jede Seite schnell umblättern.

Der amerikanische Ex-Polizist Cal ist inzwischen im Dorf angekommen und liebt Trey wie eine eigene Tochter. Trey hat sich in den zwei Jahren entwickelt, vergisst und verzeiht dem Dorf die Schuld an dem Tod ihres Bruders Brendan nicht. Rache verzehrt sie.
Mir fiel es sehr schwer das atmosphärisch dichte Buch aus der Hand zu legen. Ich hätte stundenlang die facettenreiche Beschreibung der Dorfbewohner, der Natur weiterlesen können. Oder weitere Dialoge, die sehr gutgeschrieben sind, lesen mögen. Die Figuren sind dermaßen lebendig, dass es schwer fällt mit ihnen keine eigenen Dialoge mit ihnen zu führen.

 

John Ajvide Lindqvist: Refugium

Klappentext:
Der Auftakt der spektakulären neuen Spannungstrilogie aus Skandinavien.»Einfach großartig, wie John Ajvide Lindqvist mit seinem glitzernden Monstertruck in die Krimilandschaft donnert.« Aftonbladet
Ein explosives Ermittler-Duo. Sie: Expolizistin und Krimiautorin im Karrieretief. Er: ein Hacker mit gequälter Seele. Sie ziehen einander an. Sie stoßen einander ab, aber sie müssen einander vertrauen.
Ursprünglich sollte Kim Ribbing, der die Spuren eines tiefen Traumas in sich trägt, die ehemalige Polizistin Julia Malmros bei Recherchen unterstützen. Doch dann erschüttert ein Verbrechen das sommerliche Leben in den Schären.
Mittsommer. Der längste Tag. Die dunkelste Nacht.
Nicht weit von Julias Ferienhaus werden die Gäste eines Mitsommerfests grausam hingerichtet. Nur Astrid Helander, der Tochter der Familie, gelingt es, sich zu retten. Aber das junge Mädchen ist verstummt. Für Julia ist die Zeit gekommen, zu handeln.
Mit Gespür für dichte Atmosphäre und die psychologischen Feinheiten seiner Figuren schreibt John Ajvide Lindqvist einen vielschichtigen Thriller, der unter die Haut geht.
Während Kim sich auf die Spur der Täter setzt und ihnen im World Wide Web und rund um den Globus folgt, nutzt Julia ihre Kontakte zur Kriminalpolizei. Ausgerechnet ihr Exmann Johnny ist mit den Ermittlungen betraut. Wer steht hinter den Auftragskillern? Und was hat Kim Ribbing zu verbergen, der immer wieder im Alleingang arbeitet.
Für alle Fans der Millenium-Reihe und Leser:innen von skandinavischer Spannung.

Die dem Buch beigefügte Leseprobe war für mich nicht nötig, um meine Gier auf Band 2 anzustacheln.
Die Handlung ist „schnell“ erzählt: Eine Autorin, Julia Malmros, benötigt Unterstützung für Recherchen. Sie soll eine Fortsetzung der „Millenium“ Reihe schreiben. Kim Ribbing klärt sie über die Hackerwelt auf.
Während sich beide später in Julias Ferienhaus aufhalten, werden während der Feierlichkeiten zur Mittsommernacht ihre Nachbarn ermordet. Die 14-jährige Tochter überlebt. Die Ermittlungen führt Julias Ex-Mann Johnny.
So weit so gut.
Reicht diese Rahmenhandlung wirklich aus, um einen Thriller mit 528 Seiten zu füllen? Spannend zu füllen? Mich der Fortsetzung entgegen fiebern zu lassen?Und wie!
Der Thriller lebt natürlich von seinem Plot, der einige Wendungen nimmt. Genauso lebt er von seinen Charakteren. Zum einen gibt es die Autorin Julia, die ein Ersatzbuch schreiben muss, zum anderen den reichen, traumatisierte Hacker Kim Ribbing, dessen Geschichte stückchenweise in dem Buch entblättert wird. Doch beileibe nicht komplett. Seine Alleingänge führen letztendlich zur Lösung des Falls, doch wie gesagt, ist das nur ein Aspekt der Handlung.
Die Charaktere werden ausführlich beschrieben, sie haben Ecken und Kanten, Geheimnisse und sind einfach lebendig.
Mir trinken einige zu viel. Lassen sich Handlungen nicht beschreiben, ohne dass ständig eine Flasche Wein gekippt wird?
Mit „Refugium“ wurde ein fulminanter Start hingelegt, dessen Fortsetzungen vermutlich ein jeder Leser sehnsüchtig erwartet. Sei es, um die Geheimnisse und Vergangenheit um Kim Ribbing zu erfahren? Kann er sich weiterentwickeln, um zu leben?
Immer wieder wird auf die Millenium Reihe“ verwiesen. Beginnend mit dem Klappentext und später im Buch, da Julia Malmros eine Fortsetzung der Reihe schreiben soll. Nein, es ist mit der Millenium Reihe nicht vergleichbar. Qualitativ nicht vergleichbar. Der hier erwähnte Hacker verfügt über ein Trauma, die Autorin hängt zeitlich zwischen zwei Büchern fest.

Dieser Vergleich ist zu gewollt.

Zwischendurch musste ich beim Lesen darüber schmunzeln, nach Beendigung des Buches bin ich der Meinung, dass diese ständige Anspielung überflüssig ist. Die Handlung hätte gut für sich alleine stehen können, ohne sich an Millenium Charaktere anzubiedern.

Charles Lewinsky: Rauch und Schall

Klappentext:
Goethe kommt zurück aus der Schweiz und hat zu Hause in Weimar plötzlich eine Schreibblockade. Da kann sein kleiner Sohn August noch so still sein und seine Frau Christiane noch so liebevoll um sein Wohl besorgt. Ausgerechnet sein Schwager Christian August Vulpius, ebenfalls Schriftsteller und von Goethe verachteter Viel- und Lohnschreiber, kommt ihm in dieser Situation zu Hilfe. Zu einer Hilfe, die Goethe nicht will und doch dringend braucht.

Wie soll man über ein Buch schreiben, welches mir so viel Spaß bereitet hat, es zu lesen? Gelangte ich ans Ende einer Seite, so war ich bereits auf die nächste gespannt. Im Grund konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Charles Lewinsky Goethe und die damalige Zeit ein „wenig auf die Schippe nimmt“ und versuchte so viele Infos wie möglich über Goethe ganz nebenbei unterzubringen.

Wie soll ich über ein Buch schreiben, welches mit Hämorrhoiden beginnt und mit diesen endet? Selbstverständlich haben sich diese am Ende des Buches gebessert. Weiterlesen

Christian Handel.Andreas Suchanek: Spiegelstadt. Tränen aus Gold und Silber

Klappentext:

»Babylon Berlin« goes Fantasy:
Ein magisches Berlin in den 20er-Jahren, ein zerstörerisches Familiengeheimnis und eine Liebe, die alles verändert, sind die Zutaten für den Urban-Fantasy-Roman »Spiegelstadt. Tränen aus Gold und Silber« von Christian Handel und Andreas Suchanek.
In den Schatten unserer Welt existiert eine andere Wirklichkeit: die Spiegelstadt, ein magisches Berlin, erstarrt in den glamourösen 1920er-Jahren und bewohnt von vielgestaltigen Feen-Wesen. Reisen zwischen den Welten sind streng verboten und nur mithilfe magischer goldener Tränen möglich.
Auf einer wilden Party in Berlin, die ganz im Motto der 20er-Jahre steht, begegnet Max dem ebenso attraktiven wie geheimnisvollen Lenyo – und gerät damit mitten hinein in einen blutigen Konflikt um die Herrschaft in der Feen-Welt. Verfolgt von gnadenlosen Kreaturen und gefangen in einem Netz aus Intrigen und Machtgier, ahnt keiner von ihnen, dass sie längst zum Spielball einer gefährlichen Macht geworden sind, die die Barriere zwischen den Welten bedroht … 
Die Zusammenarbeit der beiden preisgekrönten deutschen Fantasy-Autoren Christian Handel und Andreas Suchanek ist ein echter Glücksfall für alle Urban-Fantasy-Fans: »Spiegelstadt. Tränen aus Gold und Silber« ist eine mitreißende Story in einem betörenden Setting mit einer wunderschönen queeren Liebesgeschichte.

Ich musste 55 Jahre alt werden um den Begriff „Urban-Fantasy“ kennenzulernen, zu verstehen und in Form des Buches „Spiegelstadt: Tränen aus Gold und Silber“ als Lesestoff zu genießen.
Nicht erst seit Babylon Berlin mag ich Bücher und Filme, die in den 20er Jahren spielen. Insbesondere, wenn der Handlungsort Berlin ist.
Max reist nach dem Tod seiner Großmutter nach Berlin. Mit seiner Freundin aus Kindheitstagen besucht er eine Motto-Party der 20er Jahre. Dort trifft er auf Lenyo, doch bevor er ihn auf der Party näher kennenlernen kann, flieht er mit ihm von dieser. Auf der Flucht erklärt ihm dieser die Spiegelstadt, die von Feen-Wesen bewohnt ist und in den 20er Jahren stehen geblieben ist. Es gibt also das magische Berlin der 20er Jahre mit Feen-Wesen, der Spiegelstadt und das Berlin der heutigen Zeit. Reisen zwischen diesen Welten sind streng verboten und nur durch magische goldene Tränen möglich.
Mit Freundin aus Kindheitstagen und Lenyo befindet sich Max nun als Andersartiger und gleichzeitig Grenzgänger in der Spiegelstadt. Der Weg zurück ist gefährlich.
Während Max immer mehr über die Spiegelstadt, die Feen-Wesen und das Königshaus erfährt, kommt er Max näher.
Nach der Rückkehr ins heutige Berlin ist seine Reise nicht beendet. Etliche Fragen finden eine Antwort, weitere neue ergeben sich.
Um nicht zu spoilern, möchte ich nicht mehr erzählen. Nur so viel: Der Kampf um die Welten vergeht nicht ohne Gefahren und Blut, ist dabei so spannend und fantasievoll geschrieben, dass man die 352 Seiten nicht so schnell umblättern kann, wie man möchte.
Ich hätte viele weitere Stunden lesen können. Gemein, richtig gemein empfand ich das Ende. Ja, es soll der Auftakt einer Trilogie sein, doch empfand ich die letzte Seite definitiv nicht als Cliffhänger, sondern als .. ja, was? Lest selbst und bildet Euch eine Meinung.

Angelika Rehse: Josses Tal

Klappentext:
1930: Josef ist ein uneheliches Kind und eine Schande für seinen Großvater, der ihn seine Enttäuschung mit Schlägen täglich spüren lässt. Mit seiner Mutter im Haus der Großeltern erlebt Josef eine Kindheit, die geprägt ist von Angst und Schuld, fehlender Nähe und Geborgenheit. Als er seinen Nachbarn Wilhelm kennenlernt, erfährt er zum ersten Mal in seinem Leben Freundschaft und Zuneigung. Wilhelm beschützt und fördert Josef – und nutzt dessen Arglosigkeit aus, um für ihn, der Hitler treu ergeben ist, die Bewohner im Ort auszuspionieren. Stolz auf diese Aufgabe und seine neue Uniform wird er zu einem folgsamen Gehilfen, doch dann erfährt Josef etwas, das sein bisheriges Leben aus den Fugen geraten lässt …

Eine Postkarte aus September 1945, die ein Josef Tomulka schrieb, führte dazu, dass Helen 2004 nach Norwegen reist, um von ihm die Hintergründe zu dem Tod ihrer Urgroßmutter zu erfahren. In Norwegen trifft sie auf Josef Tomulka, der als Einzelgänger spartanisch in „Josses Tal“ lebt. Ihr erzählt er erstmalig seine Lebensgeschichte.
Als unehelicher Sohn wächst er mit seiner Mutter bei den Großeltern auf. Hier erfährt er weder Nähe oder Geborgenheit. Stattdessen verprügelt ihn sein Großvater ständig, so dass der kleine Josef in Furcht lebt. Mit dem Umzug in ein Dorf lernt er den Nachbarssohn Wilhelm kennen, der dem prügelnden Großvater Einhalt gebietet. Wilhelm nimmt ihn unter seine Fittiche und integriert ihn in seine Familie, wo er Zuneigung und Freundschaft erlebt.
Wilhelm, der Medizin studiert, ist schon recht früh ein strammer Nazi und lenkt Josef ebenfalls in die Richtung. Manipuliert ihn und fährt mit ihm zur Bücherverbrennung nach Berlin, an der beide aktiv teilnehmen. Diese wird sehr lebendig beschrieben, so dass das Gefühl entsteht als Leser live dabei gewesen zu sein. Schwer beeindruckt gerät Josef immer mehr in „die Fänge“ von Wilhelm und spioniert überzeugt die Dorfbewohner aus. Als Wilhelms Protegé geht er über die Jahre seinen braunen Weg und wird dadurch nicht nur von den Mitschülern akzeptiert.
Im Sterbebett erzählt Josefs Mutter von seinem Vater, was diesen schockiert, so dass er Zuflucht bei Wilhelms Familie sucht.
Es gibt viele Bücher, die sich mit der Nazizeit beschäftigen. Was macht dieses Buch anders oder warum lässt es sich so leicht lesen? Sicherlich liegt es an der Geschichte des kleinen, misshandelten Josef, der als er endlich wahrgenommen wird, sich manipulieren lässt und überzeugt einem Nazi/den Nazis folgt. Wie viele andere Kinder mit anderer Geschichte. Oder der Beschreibung der Dorfbewohner, die nicht alle überzeugte Nazis sind. Es gibt Widerstand, versteckten Widerspruch, der ebenfalls beschrieben wird. In Josef wachsen mit der Zeit Zweifel und er fühlt sich schuldig. Nicht nur in Bezug auf die Folgen seiner Spionage, den Tod von Helens Urgroßmutter und den Dorfbewohnern, die abreisen müssen. Diese Schuld begleitet ihn bis ins hohe Alter.
Seine aufkommenden Zweifel teilt er nicht mit Wilhelm. Auch mit niemand anderem. Wie und warum er in Norwegen als Einzelgänger lebt ist schlüssig erzählt. Ich las „Josses Tal“ recht schnell und atmete tief durch als ich es beendete. Die 408 Seiten über die gesellschaftliche Entwicklung während des Nationalsozialismus in Deutschland, anhand des Lebens von Josef zu erzählen, ist mehr als gelungen. Überzeugend, bildhaft und Nachdenkens wert. Da verzeihe ich den einen oder anderen handwerklichen Schnitzer in der Zeichnung der Figuren.

 

Laetitia Colombani: Der Zopf

Klappentext:

Die Lebenswege von Smita, Giulia und Sarah könnten unterschiedlicher nicht sein. In Indien setzt Smita alles daran, damit ihre Tochter lesen und schreiben lernt. In Sizilien entdeckt Giulia nach dem Unfall ihres Vaters, dass das Familienunternehmen, die letzte Perückenfabrik Palermos, ruiniert ist. Und in Montreal soll die erfolgreiche Anwältin Sarah Partnerin der Kanzlei werden, da erfährt sie von ihrer schweren Erkrankung.
Ergreifend und kunstvoll flicht Laetitia Colombani aus den drei außergewöhnlichen Geschichten einen prachtvollen Zopf.

Es gibt Bücher, die nimmt man in die Hand und kann sie, unabhängig davon auf welcher Seite man sie beiseitegelegt hat, sofort weiterlesen. Dieses Buch ist ein solches.
Auf den ersten Blick zeigt das Cover den Inhalt des Buches recht deutlich. Ein Zopf wird auf grünem Hintergrund geflochten. Dieser stellt die Gemeinsamkeit von drei Frauen dar: Ihre Haare.
Die Geschichten um Smita, eine unberührbare aus Indien, die Geschichte um eine erkrankte erfolgreiche Rechtsanwältin und die Geschichte einer Fabrikantentochter werden zum Ende des Buches in Form eines Zopfes miteinander verflochten.
Dieses Buch bezeichne ich als ein „Hachz“ Buch. Es berührt und die Geschichten gehen teilweise nah. Ein Buch, welches nun genau passend zum Herbst eingemummelt in eine Wolldecke zu Stunden auf dem Sofa verführt.
Natürlich kann nicht die ganze Lebensgeschichte der drei Frauen bis zum Ende erzählt werden. Ein spannender, wunderbarer Anfang wurde gemacht, der viel intensiver hätte ausgeschöpft werden können. Und diesen Vorwurf mache ich dem 288 Seiten Buch. Die Geschichten wurden angeschnitten, wirken wie ein Auftakt zu einem Fortsetzungsband oder gar einer Trilogie, leider nicht wie ein eigenständiges, abgeschlossenes Buch. Es weckt Hunger auf mehr.

Ich mag es nicht hungrig zu bleiben.

Lotti Huber: Diese Zitrone hat noch viel Saft

Klappentext:
Lotti Huber, am 16. Oktober 1912 als Tochter großbürgerlicher jüdischer Eltern in Kiel geboren, wollte immer zur Bühne, zum Theater. Aber die Nazis schickten sie ins KZ. Sie wurde freigekauft, ging nach Palästina und Ägypten, tanzte in Nachtklubs, heiratete einen englischen Offizier, ging dann nach Zypern, wo sie ein Restaurant eröffnete, nach 1945 mit ihrem zweiten Mann nach London und Anfang der 60er Jahre nach Berlin. Sie gab Englischunterricht, übersetzte Trivialliteratur, eröffnete eine Tanzschule, arbeitete als Filmstatistin, lernte Rosa von Praunheim kennen und wurde mit 75 Jahren zum Star. Lotti Huber starb am 31. Mai 1998 in Berlin.

Bevor ich auf das Buch eingehe möchte ich kurz beschreiben, warum ich es mir damals kaufte.
Zu Beginn der 90er Jahre erlebte ich Lotti Huber in vielen Talkshows. Dabei fand ich sie faszinierend. Diese kleine Person – mit dem Haardutt, mindestens einem dicken Ring an den Fingern, nicht zierlich, in Walla-Walla-Gewändern gekleidet – war mit ihrer exaltierten Art, ihrer Redensweise eine Bereicherung.
Daraufhin holte ich mir 1991 ihr Buch (damals bereits in der 5. Auflage) und las es mit Begeisterung. Auf einer ihrer Veranstaltungen ließ ich es mir signieren und nehme es alle Jahre wieder in die Hand, um es zu lesen. Wie momentan auch.
Apropos Veranstaltung: Während der Weihnachtszeit saß sie in einer Veranstaltung an einem Tische neben einem Tannenbaum und las aus ihrem Buch, performte und war in ihrem Element. Aus irgendeinem Grund fiel der Tannenbaum um, die leuchtende Deko fiel auf sie und es sah aus, als würde über ihrem Kopf für einen kurzen Moment ein Heiligenschein leuchten. Ich habe noch Fotos davon.
Unvergesslich bleibt mir ihr lispelndes „Liebchen, was darf ich Dir denn in Dein Buch schreiben?“.
Dieses Buch verlieh ich später und bekam es erst 5 Jahre später zurück. Alle Einwohnermeldeämter klapperte ich damals ab, um den Umzug/Mitzug des Buches nachzuvollziehen und um es wieder in meinen Händen zu halten. Doch nun zum Buch:  “Diese Zitrone hat noch viel Saft”, stammt aus der Beschreibung über Rosa von Praunheim von dem es hieß, er würde seine Schauspieler wie eine Zitrone auspressen. Weiterlesen

Monika Helfer: Die Bagage

Klappentext:

„Von uns wird man noch lange reden.“ Monika Helfers neuer Roman „Die Bagage“ – eine berührende Geschichte von Herkunft und Familie

josef und Maria Moosbrugger leben mit ihren Kindern am Rand eines Bergdorfes. Sie sind die Abseitigen, die Armen, die Bagage. Es ist die Zeit des ersten Weltkriegs und Josef wird zur Armee eingezogen. Die Zeit, in der Maria und die Kinder allein zurückbleiben und abhängig werden vom Schutz des Bürgermeisters. Die Zeit, in der Georg aus Hannover in die Gegend kommt, der nicht nur hochdeutsch spricht und wunderschön ist, sondern eines Tages auch an die Tür der Bagage klopft. Und es ist die Zeit, in der Maria schwanger wird mit Grete, dem Kind der Familie, mit dem Josef nie ein Wort sprechen wird: der Mutter der Autorin. Mit großer Wucht erzählt Monika Helfer die Geschichte ihrer eigenen Herkunft?

Es gab Tage, an denen wurde man ungewollt überall auf das Buch hingewiesen. Ob in den Buchhandlungen oder in den Medien – es schien kein Weg daran vorbei zu führen. Naiverweise fiel ich darauf rein und las das Buch, wozu ich mehrere Anläufe benötigte. Die Lebensgeschichte der Großmutter und ihrer Familie, die auf 160 Seiten beschrieben wurde und die Autorin prägte, müssten doch schnell zu lesen sein. Denkste. Mir fiel es schwer.

Seit der ersten Seite stieß es mir sehr negativ auf, dass gefühlt in jedem zweiten Satz die Schönheit der Großmutter betont wurde. Böse Zungen würden behaupten, dass dies gemacht wurde, um Füllwörter zu generieren und die geringe Seitananzahl zu erhöhen, um den Preis von 19€ zu rechtfertigen. Noch bösere Zungen würden behaupten, dass die mehrmalige Nennung der Schönheit der Autorin, die äußerlich nach ihrer Großmutter kommt, nichts anderes als „Fishing for kompliments“ ist. Ich empfand es als unpassend.

Die Familiengeschichte ist recht schnell und überschaubar erzählt und gibt genau den Klappentext wieder. Arme Familie, die am Ende des Ortes in den Bergen wohnt und von der Dorfbevölkerung eher gemieden wird. Dies wird mit kleinen schönen Anekdoten beschrieben und das war es auch schon. Sprache und Inhalt sind O.K., mehr nicht.

Ich empfand sowohl den Inhalt als auch die Sprache nicht berauschend und den bereits erwähnten Preis dafür als zu hoch. Die Autorin mag von ihrer Familiengeschichte geprägt sein. Diese in schriftlicher Form der Welt mitzuteilen hätte sie nicht unbedingt machen müssen.