„Read what I see“: Im Wartezimmer

Warum habe ich das Gefühl, dass die Patienten im Wartezimmer eines Orthopäden fast immer eine schlechte Laune ausstrahlen. Die Münder hängen herunter, es wird geseufzt, was das Zeug hält und die Stimmung ist zum Schneiden. Niemand lacht oder führt das Gespräch mit einem anderen Patienten. Ich kam in der Praxis an und wurde durch eine nette Arzthelferin empfangen. Sie machte mich auf die Wartezeit aufmerksam, doch war mir das an dem Tag egal. Hauptsache dem Rücken würde später geholfen werden. Die Praxis verfügt über verschiedene Wartebereiche und erzeugt beim Patienten gerne das Gefühl, dass es für ihn in der Warteschleife nun nennenswert weitergeht. Er überholt die anderen wartenden Patienten in der Wartehierarchie, wenn er aus dem Wartezimmer gerufen, auf die andere Stuhlreihe platziert wird. Schon keimt die Hoffnung auf, dass man gleich im Arztzimmer sitzt. Falsch gedacht. Nach dieser Stuhlreihe folgte eine weitere und schlussendlich der einzelne Stuhl im Behandlungszimmer, auf dem man auch einige Zeit alleine verbringen kann. Wo war ich stehen geblieben? Ich kam, setzte mich ins Wartezimmer und war überrascht. Vier Patienten saßen dort und drei weitere in der Stuhlreihe vor dem Wartezimmer. In einer Schmerzsprechstunde empfand ich die Patientenanzahl als überschaubar. Allerdings nicht als geräuschlos. Ich setzte mich, legte meine kleine Handtasche neben mir auf einen Stuhl. Auf diesem lag ebenfalls eine kleine Handtasche. Die Besitzerin nahm mit einem genervten und lauten stöhnen ihre Tasche weg. Ihr Blick strafte mich, ihre herunterhängenden Mundwinkel hingen, statt ihre Aufgabe zu erfüllen und den Mund zum Sprechen zu animieren. Naiverweise versuchte ich ein Gespräch zu beginnen und dachte mir nichts dabei als ich sagte, dass wir uns den Stuhl mit unseren Handtaschen doch teilen könnten. Mir erschien meine Aussage logisch. Darauf nahm ich mein Handy in die Hand, um es auf lautlos zu stellen. Dazu muss ich alles, also Anruf, Benachrichtigungen usw. kurz manuell anklicken. Ganz leise machte es jedes Mal ein plopp. Als Reaktion stöhnte die Frau neben mir jedes Mal und verdrehte die Augen. Bei manch anderen kündigt sie sich so eine Ohnmacht an? Ich empfand ihr Verhalten als amüsant. Trotz meiner 50 Jahre ritt mich ein kleines Teufelchen. Ich entschied mich die Frau als unangenehm einzustufen. Deshalb verstellte ich im Sekundentakt über eine Minute lang meinen Benachrichtigungston. Demenentsprechend leise ertönten im Sekundentakt die dezenten Ploppgeräusche. Ein kindisches Verhalten meinerseits, doch machte es mir in dem Moment Spaß. Meine Wahrnehmung verschob, sich von der Frau links neben, mir auf Geräusche außerhalb des Wartezimmers. Wenige Meter davon entfernt war ständig ein tiefes stöhnen/artikulieren einer schwer behinderten Frau zu hören. Abwechselnd kamen diese Laute aus ihr heraus, gefolgt von einem lauten rhythmischen stampfen mit beiden Beinen. Ihre Begleitung versuchte das zu unterbinden. Es half nichts. Im Gegenteil. Sie stampfte nur lauter und gröhlte lauter. Meine Sitznachbarin kam aus dem stöhnen kaum heraus. Unentwegte schnappte sie nach Luft, dem kurz darauf ein stöhnen folgte. Unbewusst fast im Einklang mit der anderen Patientin. Die anderen Patienten gaben vor nichts zu bemerken. Das war Teil 1 der Geräuschkulisse.
Schräg rechts neben mir saß im Wartezimmer eine weitere Frau. Diese schlief ständig ein und sprach, während sie schlief. Unterbrochen von schnarchen. Zusammenfassend:
Draußen: Stöhnen/artikulieren und stampfen, innen schnarchen und sprechen, sowie stöhnen.
Mir gegenüber saß noch ein Mann, der bei jedem neuen schnarchen mit dem Kopf und den Schultern zusammenzuckte.
Ich saß zwischendrin und wusste nicht, ob ich meinen Notizblock herausholten sollte. Oder Entspannungsübungen machen sollte.
Die Entscheidung wurde mir durch den Aufruf: „Bitte zum Röntgen.“ abgenommen. Nun war ich in den Fängen der unfreundlichen Arzthelferin. Röntgen überstand ich, obwohl sie in den Pausen über meine zuckenden Beine meckerte. Wie gesagt, in den Pausen, nicht während des Röntgens. Mit dem Röntgen war ich fertig und ich nutzte schnell die Toilette und wusch mir die Hände. Das Waschbecken befand sich draußen vor einem der Behandlungszimmer. Leider tropfte der Wasserhahn. Er tropfte so richtig: Laut und schnell. Ich versuchte es zu ignorieren, saß daneben, strickte ein paar Runden, unterdrückte den durch das Geräusch hervorgerufenen Harndrang und kam dran.
Der Rest wird verschwiegen.
Eines kann ich sagen: An dem Tag erlebte ich in dieser Praxis eine große Variation an Geräuschen.

 

Foto: Pixabay.com, geralt

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