Drei Männer im Schnee

Gegenseitig Arm in Arm untergehakt, heimkommend von einer Veranstaltung, liefen sie in ihren Nikolauskostümen zum Professor heim. Der kein Wässerchen trübende Professor Jörg, der hagere Björn und der immer mürrisch wirkende, seine Tränensäcke nicht verstecken könnende, Alexander. Ihr Nikolauskostüm kaschierte ihre wahre Natur. Ihre faszinierende Sprachgewandtheit, führte dazu, dass zu viele Menschen an ihren Lippen hingen.
Zuvor hatten sie am Nikolauszug teilgenommen und bei dem sich anschließenden Nikolausfeuer sprach der Björn einige Worte, die schnell in eine lange Rede überging. Die Buhrufe störten ihn nicht, er konzentrierte sich auf die vielen Zuschauer, die ihm laut und teilweise gröhlend, zustimmten.
Das Nikolausfeuer war erloschen und frierend liefen sie zum Haus des Professors. Der Halbmond leuchtete ihnen, neben der einzig funktionierenden Straßenlaterne, den Weg über die Neckarbrücke.
Recht verfroren und berauscht von ihrer Rede kamen sie an. Sie fühlten sich in ihren Nikolauskostümen und der sich daran befindlichen Rute so wohl, dass sie sich nicht umzogen.
Alexander ließ sich plumpsend in den dicken Ohrensessel fallen, der Björn bevorzugte den harten Strohstuhl. Jörg holte eine Flasche Asbach Uralt aus dem Schrank und schenkte jedem großzügig ein. Aufwärmen von innen war nun angesagt. Den guten Jenssen Arcana Cognac hatte er bereits zuvor gut versteckt. Es wäre ein Sakrileg gewesen ihn an diese Banausen auszuschenken.
Während er zwischen ihnen auf einem Sitzpuff aus Pelz Platz nahm (ja, der Professor hielt seinen Hintern gerne warm), schenkte er eine Runde nach der anderen aus.
Um 20 Uhr schien es, dass der Björn nicht nur von innen gut aufgewärmt war. Sein Kopf glühte ebenfalls. Das war sicherlich keinem Hormonschub geschuldet.
Wer die Idee zum „Rückwärts den Kamin hochklettern“ Wettbewerb hatte, ließ sich im Nachhinein nicht mehr feststellen.
Björn legte seine Rute ab und kaum verschwand er in der offenen Kaminstelle, so wurde er auch nicht mehr gesehen. Beinahe stießen Jörg und Alexander mit ihren Köpfen zusammen, als sie den Schacht hochblickten. Da, da waren tatsächlich die dunklen Schuhsohlen von unten zu sehen. Der Björn konnte also nicht nur gut reden, sondern auch gut klettern. Lernt man so etwas als Lehrer auf dem Gymnasium? Oder auf einer Klassenfahrt? Der Gedanke war kaum zu Ende gedacht, da kam er, nur leicht verschmutzt, unten wieder an.
Grinste siegessicher.
Der Alex, der Alex: Der wollte sich wirklich weigern. „Ich habe Rücken.“ „Ich habe Höhenangst.“
Es half alles nichts. Der Gastgeber bestand darauf, dass auch er am Wettbewerb teilnahm. Eine Runde Asbach Uralt, eine weitere Runde davon und mit Hilfe vom Björn verschwand auch er im Schacht, in dem es recht still wurde. Plötzlich wurde laut geflucht und in Sekundenschnelle war der Alex wieder unten. Insgesamt langsamer als der Björn, dafür mit einem angeknickten Fuß versehen.
Ein weiterer Asbach sollte den Schmerz lindern.
Jörg machte kein Aufheben um den Kamineinstieg. Ein großer Asbach auf Ex und schwupps verschwand er singend im Kamin. Unten am Kaminschacht glaubten Jörg und Björn ein schiefes „What shall we do with a drunken sailor“ zu hören oder war es ein schiefes „Hoch auf dem gelben Wagen?“
Nach gefühlten 10 Minuten erschien er unbeschadet. Glücklich lächelnd hatte er oben auf dem Dach den Mond und die Nachbarn angesungen.
Björn wurde einstimmig zum Sieger des „Rückwärts den Kamin hochklettern“ Wettbewerb ausgerufen. Dokumentiert wurde es mit einigen Selfies, die sofort an die Alice geschickt wurden. Sie wünschten ihr einen schönen Nikolausabend.
Die erste Flasche war schon lange geleert, die zweite nicht weit davon entfernt. Im angetrunkenen Kopf wollten sie Strippoker spielen. Den Björn begeisterte die Idee, der Alexander war strikt dagegen. Wollte er seinen Rettungsring nicht zeigen oder gab es andere Dinge zu verstecken? Hatte er vielleicht Haare auf den Rücken?
Stattdessen spielten sie Flaschendrehen. Drei Männer können dabei in dieser kleinen Runde viel Spaß haben. Die Frage: „Bist Du schon einmal ohne Slip aus dem Haus gegangen?“ wurde noch wahrheitsgemäß beantwortet. Bei der Frage: „Kannst Du Dir vorstellen mit Maske in einem Porno mitzuspielen?“ wurde das Spiel beendet.
Zu viel Alkoholgenuss macht meist hungrig. So erging es am Nikolausabend auch den dreien. Die Mägen knurrten, die Köpfe glühten, die Koordination der Beine war anders als am frühen Morgen oder noch am Nikolausfeuer.
Also wollten sie in der Altstadt beim Udo Snack eine große, leckere Currywurst Pommes essen. Mit viel Mayo.
Sie nahmen den gleichen Weg wie vom Nikolausfeuer. Dieses Mal in die andere Richtung.
Tja, wenn die letzte Straßenlaterne nicht defekt gewesen wäre, der Halbmond nicht hinter einer großen Wolke verdeckt gewesen wäre, hätten sie das große Loch in der Holzbrücke gesehen und wären nicht in den Neckar geplumpst.
Rettungsringe gab es keine, die eigenen, an den Bäuchen vorhandenen, halfen ihnen auch nicht.
An Sylvester fand man sie am Stauwehr. Arm in Arm, aufgebläht auf dem Rücken schwimmend, die Ruten im Gitter verhakt. Manch einer schwor: Sie schauten selig in die untergehende Sonne.
Oder waren es die Gaffer, die selig schauten?

 

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