Kolumne: Manisch-Depressiv: Ich bin meiner Erkrankung (inzwischen) dankbar Teil I

Wie soll ich beginnen? Mein Name ist xxxxxx, ich bin  xxxx Jahre alt und ich bin manisch-depressiv? Eine solche Vorstellung verbinde ich mit einer Gesprächsrunde bei den Anonymen Alkoholikern. Ob es dort wirklich so gehandhabt wird ist mir unbekannt. Ich nahm nie an einem solchen Treffen teil.
Ja, ich leide an einer Bipolaren Störung. Im Allgemeinen als  manisch depressiv bekannt. Und noch bekannter als „ Himmelhoch  jauchzend, zu Tode betrübt“. Stimmungsschwankungen, die ein geregeltes Leben erschweren.
Ja, ich bin eine von ihnen.
Wie kann ich einer Erkrankung dankbar sein, die

  • mich belastet hat?
  • immer noch belastet?
  • oft zerreißt?
  • meine Arbeitskraft brutal dezimiert hat?
  • mich stigmatisiert?
  • zu einer Medikamenteneinnahme führt, bei der mir die langfristigen Folgen unbekannt sind?
  • auf Unverständnis stößt?
  • die ich hätte vererben können?
  • die mich in sehr destruktive Phasen geführt hat?
  • die mich fast in den Suizid getrieben hat?

Nein, bis vor knapp 14 Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich an einer psychischen Erkrankung leide. Anzeichen, die es gab, habe ich ignoriert. Ich war eine Frau, die immer dachte und handelte „Da muss ich durch“. Nie kam es mir in den Sinn nach Ursachen zu suchen, die dazu führten, dass ich so war wie ich war.
Nie hätte ich mein Verhalten auf der Abschlussfahrt der Oberstufe in Prag anders interpretiert „als gut drauf zu sein“. Oder extrem gut drauf zu sein. Noch gut kann ich mich an meine Verwunderung erinnern, als ich in Prag ständig von Männern angesprochen wurde, die mir eindeutige Angebote machten. In einem seiner nüchternen Momente bemerkte es mein Klassenlehrer und sprach mich darauf an. Ich konnte ihm keine Erklärung geben. Er schon: „Schaue Dir Deine Augen an und jeder sieht, was Du willst.“
Heute weiß ich, dass meine Augen in manischen Phasen nur so funkeln, eine Anziehungskraft haben, die mir nicht bewusst ist. Wenn das „Sparkling in the eyes“ wieder vorhanden ist, dann ist „die Kacke am Dampfen“, sprich ich befinde mich in einer manischen Phase.
Nicht nur meine Augen verraten es mir. Mein Verhalten ebenfalls. In Prag bin ich, nüchtern und mit Champagnerflaschen für meine Begleitung in den Armen, über die Hoteldächer geklettert. Keine Angst vor der Tiefe, stattdessen von einem Dach über das nächste gesprungen. Es macht mir viel Spaß. Leise war ich dabei auch nicht. Als es zu langweilig wurde, bin ich mit meiner Begleitung einfach durch das nächste Hotelfenster wieder abgestiegen.
In einer manischen Phase habe ich kein Gefühl für Gefahr. Bungee springen ohne Seil erscheint mir möglich. Tatsächlich wollte ich es in den 90er Jahren auf der Rhein-Knie-Brücke in Düsseldorf umsetzen. Wäre nicht eine Polizeistreife gekommen würde ich heute vermutlich nicht hier sitzen und schreiben. Stattdessen rannte ich davon und einen Tag später verlor die Idee auch schon ihren Reiz.
Ein anderes Symptom ist, dass ich in solchen Phasen einfach nicht müde werde. Ich kann mich erinnern, wie ich nach anstrengenden Doppelschichten in der Gastronomie sehr lange joggen ging. Joggte bis ich mich übergab. Müde wurde ich trotzdem nicht.
Ganze Nächte verbrachte ich an den Rheinwiesen und schaute stundenlang auf das Wasser. Im Gegensatz zu anderen Situationen beruhigte es mich nicht. Mit der fehlenden Müdigkeit geht eine Unruhe einher, die nicht zu steuern ist. Auf Bahnhöfen. Flughäfen, in Kneipen, am Rhein – dort verbrachte ich meine Nächte. Ich konnte nicht alleine sein, benötigte Menschen, Bewegung und Unruhe um mich herum.
Das waren die „stillen“ Momente.
Die „lauten“ waren die, in denen ich in den Kneipen/Clubs schnell Gesellschaft fand. Vermutlich nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechend, so bin ich in einer manischen Phase charismatisch. Mir entkommt Mann irgendwie nicht. Rock, tiefer Ausschnitt und das Ergebnis war stets identisch: Ein Hotelbett zu zweit in der Nähe der Kö. In dieser Phase geschieht es meist, ohne dass es geplant ist.
Darüber wird gerne vergessen, dass diese manischen Phasen äußerst anstrengend sind. Letzend blätterte ich in älteren Tagebucheinträgen aus den 90ern. Ich habe gespürt, dass mit mir etwas nicht stimmt. Diese Unruhe, dieses nicht schlafen können, dieser Männerverschleiß, das Gedankenkarussell – ich wurde schier wahnsinnig. Gleichzeitig genoss ich die Energie die ich hatte. Paradox.
In einer dieser Phasen ging ich zu einer Ärztin und erklärte dass ich nicht schlafen kann. Beschrieb die schlaflosen Nächte am Rhein. Sie nahm mich an die Hand und führte mich zur Praxis nebenan, die ihr Mann leitete. Er war Psychologe. Natürlich betrat ich seine Praxis nicht. Ihre Praxis ebenfalls nicht mehr.
Mir kam nicht ansatzweise in den Sinn, dass an meinem Verhalten etwas nicht „normal“ war. Ich war halt ein wenig überdreht. Auch als ich mit meinem Auto in der Düsseldorfer Altstadt eine Kreuzung blockierte, das Radio aufdrehte, die Songs (mit einer Coladose in der Hand) laut mitsang und auf dem Auto stand: Ich fand das nicht schlimm. Ich war gut drauf.
Die gerufene Polizei sah das nicht so. Da ich stocknüchtern war, verweigerte ich mich dem Drogen – und Alkoholtest. Ich kann nur eines sagen: Verweigert Euch keiner Blutprobe. Der Arzt mag das gar nicht. Der Piks schmerzt umso mehr. Daran kann ich mich noch erinnern. An das Theater auf der Wache, weil ich mich nicht piksen lassen wollte.
Letztendlich war es ein teurer Spaß. Spaß in Anführungszeichen geschrieben. Ich verschwendete für mich weiterhin kein Gedanke daran, dass dieses Verhalten so nicht der Norm entspricht.
Diese Phase besteht in der Erinnerung aus langen Nächten, Besuchen in der Nobeldisco, vielen schönen abgeschleppten Männern, im großen Bekanntenkreis im Mittelpunkt stehend und tollen lockeren Momenten.
Solche Phasen wiederholten sich im Laufe der Jahre. Phasen in denen ich viel Geld ausgab. Geld, welches ich hatte oder auch nicht hatte. Unterbrochen von Depressionen. Die erkannte ich überhaupt nicht. Für mich war es normal  viel zu arbeiten. Freie Tage oder Urlaub verbrachte ich ausschließlich mit schlafen. Heute weiß ich, es handelte  sich hier um depressives schlafen.
Als ich in Irland lebte, war ich von solchen Phasen ebenfalls nicht gefeit. Allerdings empfinde ich sie rückblickend als nicht so ausgeprägt und auszehrend.
Dann, dann kam der Dezember 2004. Ich hatte Urlaub, den ich ausschließlich im Bett verbrachte. Keine Energie für nichts. Der Haushalt wurde nicht mehr gerichtet, ich nicht mehr gerichtet. Locker schaffte ich es zwei Tage am Stück im Bett zu bleiben. Wenn die Blase schier platzte stand ich kurz auf. Ernährte mich von Schokolade und Mandarinen. Wenn letztere aus waren, ging ich kurz in den Supermarkt gegenüber, kaufte neue und legte mich wieder ins Bett. Vom vielen liegen plagten mich schlimme Rückenschmerzen. Egal. Ich konnte nicht mehr aufstehen. Der Urlaub war vorbei, ich musste wieder zur Arbeit und sagte dort: Ich bin krank, muss nach Hause.
Kurz vor dem Urlaub war ich beim Hausarzt und erzählte ihm, dass ich für Januar meinen Suizid planen würde. Gesund wäre diese Planung nicht?
Man muss es sich vorstellen: Ich will mich umbringen, plane und gehe dann zum Arzt und erzähle es ihm. Viele Schutzengel müssen über mich gewacht haben!

Fortsetzung folgt

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