Martin Suter: Melody

Klappentext:
In einer Villa am Zürichberg wohnt Alt-Nationalrat Dr. Stotz, umgeben von Porträts einer jungen Frau. Melody war einst seine Verlobte, doch kurz vor der Hochzeit – vor über 40 Jahren – ist sie verschwunden. Bis heute kommt Stotz nicht darüber hinweg. Davon erzählt er dem jungen Tom Elmer, der seinen Nachlass ordnen soll. Nach und nach stellt sich Tom die Frage, ob sein Chef wirklich ist, wer er vorgibt zu sein. Zusammen mit Stotz` Großnichte Laura beginnt er Nachforschungen zu betreiben, die an ferne Orte führen – und in eine Vergangenheit, wo Wahrheit und Fiktion nche beieinanderliegen.

Man kann sich ein Buch noch so gut einteilen, irgendwann hat man es gelesen. In diesem Fall mit viel Genuss, denn schreiben kann Martin Suter.

Wie bereits häufiger geschehen, nimmt er sich auch in diesem Buch die Welt der Reichen vor. Dieses Mal in Form des Multimillionärs Dr. Peter Stotz, der nicht nur eine Karriere im Militär, sondern auch in der Politik, der Wirtschaft, als Mäzen uvm. hinter sich hat. Todkrank möchte er nun seinen Nachlass durch den jungen Juristen Tom ordnen lassen. Bei gemeinsamen Kamingesprächen in der Villa erzählt er Tom von seiner großen Liebe Melody, die vor über 40 Jahren – kurz vor der Hochzeit – verschwunden ist. Seitdem sucht er sie, die in der Villa immer noch durch Portraits, Altare und dem Lesezimmer präsent ist.
Die 329 Seiten lesen sich durch den schnörkellosen Schreibstil schnell. Die Rückblenden in die Vergangenheit machen neugierig darauf, ob es eine Erklärung für das Verschwinden von Melody gibt.
Leider stockt die Handlung zwischendurch etwas und durch ein paar Seiten musste ich mich tatsächlich durchquälen. Dies geht schnell vorbei und es geht umso packender weiter.
Eigentlich war es nicht Toms Aufgabe nach Melody zu suchen. Doch letztendlich ist es das, was ihn beschäftigt. Seine Aufgabe war es die „Wahrheit zu finden“.
„Hat sich die Fiktion geändert, weil sich die Wahrheit geändert hat?“

Bis auf wenige Seiten war es mal wieder Lesegenuss pur.

Karin Peschka: Dschomba

 

Klappentext:

Ein halbnackter Fremder tanzt zwischen den Gräbern des Eferdinger Pfarrfriedhofs. Es ist November 1954, ein nasskalter Tag, und Dragan Džomba ist auf der Suche. Vor dem Friedhofstor stehen die Bürger – aufgebracht, misstrauisch, neugierig. Nur der Dechant nähert sich dem Serben und gibt ihm schließlich Quartier im Pfarrhof. Dragan spricht nicht viel, immer wieder zieht es ihn hinaus zum Lagerfriedhof nahe der Donau. Dort, wo es kaum Spuren der Vergangenheit gibt, sucht Dragan aber genau diese. Er bezieht die Hütte auf dem „Serbenfriedhof“, schließt Freundschaften, erlebt Anfeindung und Argwohn. Jahre später, alt geworden, sitzt er im Gasthof „Zum roten Krebs“ am Stammtisch. Dem Fremden bleibt das Fremde haften, das Seltsame. Ab und zu stellt ihm die zehnjährige Wirtstochter ein Bier hin. Sie ist in ihren Tagträumen daheim und fühlt eine Verbindung zu dem Mann, der nach Wald und Erde duftet, der vor ihr da war und weiß, welche Geschichte sich unter den Feldern verbirgt. Mit „Dschomba“ schreibt sich Karin Peschka das Wissen um die Vergangenheit jenes Ortes, in dem sie aufgewachsen ist, in die eigene Biografie. Sie erzählt vom Leben in einer kleinen Stadt, von Begegnungen, von Lebenswegen und -wendungen, und ein wenig davon, wie es ist, als Wirtstochter aufzuwachsen.

Im Buch wird unter anderem die Geschichte von Dschomba, der einst in das Dorf Eferding kam und halbnackt auf dem Friedhof tanzte. Seine Geschichte und die Geschichte der Dorfbewohner werden über Jahrzehnte, in diesem etwas autobiografischem Roman häufig aus der Sicht der Wirtstochter erzählt, ohne dabei in kindliche Sprache zu verfallen. Wer aus den anderen Erzählperspektiven erzählt wurde mir nicht klar. Erschloss sich mir nicht. Apropos Sprache: Häufig werden unvollständige Sätze oder auch nur einzelne Worte verwendet, die der Grammatik nicht entsprechen. Mich brachte es ständig aus dem Lesefluss und mehr als einmal legte ich das Buch verärgert beiseite und ich benötigte Wochen, um das Buch zu lesen. Mit der Verwendung dieses Sprachstils hat die Autorin hoch gepokert und in meinen Augen verloren, denn die Geschichte des Dorfes, des Fremden, über Heimat, den 1. Weltkrieg, Liebe und die Dorfbewohner hätte ich gerne schneller gelesen. Die kurzen Kapitel. die letztendlich zu einem Gesamtbild führen, fand ich passend.

Zum Buch gehört eine kleine Übersichtskarte um Eferding herum und ein Glossar von serbischen Sätzen und Wörtern. Letzteres empfand ich als sehr nützlich.

Dem Buch werde ich im Herbst eine zweite Chance geben und erneut lesen. Vielleicht stören mich die häufigen eigenwilligen Sätze dann nicht mehr.

Trude Teige: Als Großmutter im Regen tanzte

Klappentext:

Eine starke Frau in dunklen Zeiten. Und eine junge Frau, die zurückschauen muss, um nach vorn blicken zu können.
Als Juni ins Haus ihrer verstorbenen Großeltern auf der kleinen norwegischen Insel zurückkehrt, entdeckt sie ein Foto: Es zeigt ihre Großmutter Tekla als junge Frau mit einem deutschen Soldaten. Wer ist der unbekannte Mann? Ihre Mutter kann Juni nicht mehr fragen. Das Verhältnis zwischen ihrer Mutter und ihrer Großmutter war immer von etwas Unausgesprochenem überschattet. 
Die Suche nach der Wahrheit führt Juni nach Berlin und in die kleine Stadt Demmin im Osten Deutschlands, die nach der Kapitulation von der russischen Armee überrannt wurde. Juni begreift, dass es um viel mehr geht als um eine verheimlichte Liebe. Und dass ihre Entdeckungen Konsequenzen haben für ihr eigenes Glück.
»Als Großmutter im Regen tanzte« erzählt davon, wie uns die Vergangenheit prägt bis in die Generationen der Töchter und Enkelinnen. Doch vor allem ist es eine Geschichte über die heilende Kraft der Liebe.
Drei Generationen, verbunden durch die Liebe und ein tragisches Geheimnis der Nachkriegszeit

Es gibt Bücher, die fesseln einen bereits nach wenigen Minuten. „Als Großmutter im Regen tanzte“ ist ein solches. Es gibt mehrere Erzählstränge, die im Laufe des Buches immer mehr miteinander verweben und erkennen lassen, warum die Beziehung der Großmutter Thekla mit ihrer Tochter Lilla so war, wie sie war. Warum Lilla trank und wiederum Schwierigkeiten mit ihrer Tochter Juni hatte, deren Geschichte, mit der der Großmutter, im Fokus dieses Romans ist. Diese bereits erwähnten verwebten Erzählstränge von Großmutter und Enkelin bewirken, dass ein sehr schöner Familienroman entstanden ist. Ein Liebesroman mit Happy End und teilweise ein historischer Roman. Sind einem die Vorgänge um Demmin und der Deutschenmädchen nicht bekannt, so lassen sie sich hier nachlesen.

Der Titel wirkt leicht und im Laufe des Buches wird deutlich, warum Großmutter im Regen tanzte. Der Grauen des erlebten Weltkriegs in Deutschland führte dazu, dass sie diese Momente benötigte und während eines solchen Tanzes im hohen Alter stirbt. Auf den ersten Blick scheint es sich um ein „leichtes“ Buch zu handeln, doch ist es viel mehr.

Ich kann gut nachvollziehen, warum es in Norwegen so erfolgreich war.

Maria Henk: Als Rangerin im Politik-Dschungel

 

Klappentext:

Maria ist Mitte dreißig und arbeitet seit Ewigkeiten in der Politik. Sie hat mehrere Wahlkämpfe mitgerockt, unzählige Politikerinterviews begleitet und so manche Krisenkommunikation gewuppt. Doch von der anfänglichen Euphorie im Job ist nichts mehr zu spüren. Das Kribbeln im Bauch ist einer abgeklärten Routine gewichen. Kaum ein Shitstorm kann sie mehr aus der Ruhe bringen. Sie beschließt, eine Auszeit zu nehmen, und beginnt eine Rangerausbildung in Botswana. Echte Wildnis statt Politik-Dschungel. Elefantentrompeten statt Politikerreden. Lagerfeuerabende statt Talkshowbesuche. Doch schnell erkennt sie: Politik-Dschungel und afrikanische Wildnis haben mehr gemeinsam, als sie je geahnt hätte …

Der Verlag stellt sich folgendermaßen vor: Kopfreisen Verlag – Der Verlag für Komfortzonenverlasser, Perspektivwechsler und Kopfreisende.
Mit dieser Beschreibung und der Information aus dem Klappentext wurden bei mir Erwartungen geschürt. Dieser suggeriert eine längere Ausbildung zur Rangerin. Der tatsächliche Urlaub hier als 6-wöchige Auszeit benannt, beinhaltet eine Ausbildung, die gerade 4 Wochen dauert.

Die Idee hinter dem Reisebericht und der gewonnenen Selbsterkenntnis, ist gut gemeint und wurde leider schlecht umgesetzt. Letztendlich liest sich das Buch wie ein Schulaufsatz, welcher mit Sätzen, die eher an Kalendersprüche erinnern, gespickt ist.
Die Vergleiche der Politik mit den Erlebnissen in der Rangerausbildung und während ihres Aufenthalts in Botswana sind… speziell. Seicht. Häufig habe ich da Gefühl, dass sie genannt werden, um dem Klappentext und dem Buchtitel einen Sinn zu geben. Als ehemalige Pressesprecherin der Grünen finden natürlich eher Politiker der anderen Parteien eine Erwähnung und müssen für Vergleiche herhalten. So wird Olaf Scholz gerne erwähnt und auch mal mit einem Stachelschwein verglichen. Natürlich darf das Verhalten Armin Laschets während der Flutkatastrophe im Ahrtal nicht unerwähnt bleiben.
Nach dem Lesen habe ich nicht wirklich etwas Neues erfahren, welches Tierdokumentationen, Lebenserfahrung und politisches Interesse mir nicht schon gezeigt hätten.
Der Ausstieg aus dem Hauptjob hin zu einer Tätigkeit in einer NGO wird zum Schluss beschrieben. Leider zu oberflächlich, als dass es nachvollziehbar ist. Die mehrmalige Nennung des zu engen Korsetts ändert daran leider nichts.
Von den 190 Seiten bleiben netto etwa 170 übrig. Das ist nicht viel. Doch zu viel, wenn die Formatierung im eBook das Lesen erschwert. Auf jeder Seite befinden sich zwischen einzelnen Worten viele Leerzeichen, die Absätze beginnen meist ebenfalls mit Leerzeichen. Ob diese überarbeitet werden ist mir nicht bekannt.
Schade, aus der Idee hätte man etwas machen können.

Nun weiß ich leider einmal mehr, dass nicht jede Journalistin automatisch eine gute Autorin ist.

Lars Keppler: Spinnennetz

Klappentext:
Knapp nur hat Kommissarin Saga Bauer den letzten Einsatz überlebt. Bevor sie endlich die Reha-Klinik verlassen kann, erreicht sie noch eine handgeschriebene Postkarte: „Eine blutrote Pistole liegt vor mir. In deren Magazin befinden sich neun weiße Kugeln. Eine dieser Kugeln ist für Joona Linna bestimmt. Die einzige Person, die ihn retten kann, bist du.“ Unterschrieben ist die Karte mit einem Anagramm vom Serienmörder Jurek Walter. Als Saga von dieser Drohung Joona Linna erzählt, winkt der ab. Er ist sicher, dass Jurek Walter nicht mehr lebt. Doch bald wird klar, dass die Drohung ernst gemeint war. Und damit beginnt die gefährlichste Jagd auf einen Serienmörder, die Schweden je erlebt hat …

Hochspannung ist von Anfang an in diesem Buch mit dem passenden Cover gegeben. Die Handlung erstreckt sich über pralle 656 Seiten und wieder einmal spielt Jurek Walter eine wichtige Rolle. Saga Bauer erhielt vor Jahren eine Postkarte in der beschrieben wird, dass es eine blutrote Pistole mit 9 weißen Kugeln gibt. Eine dieser Kugeln ist für Joona Lina bestimmt. Inzwischen hat sie die REHA-Klinik verlassen, arbeitet als Detektivin und hofft bald wieder als Polizistin/mit Joona Lina arbeiten zu können.
Der erste Mord geschieht, bei dem das Opfer mit einer weißen Kugel getötet wird. Wird Joona Lina nun das nächste Opfer sein? Bald wird klar, dass ein Serienmörder unterwegs ist. Lebt Jurek Walter doch noch? Hat er einen Komplizen?
Bereits in der Mitte des Buches wird die Identität des Serienmörders gelüftet, was der Spannung keinen Abbruch tut.

Wie ich betone: Das Buch ist spannend. Reicht dies für ein gutes Buch aus? Die beschriebene Brutalität empfinde ich oft als unnötig, ebenso die Menge an erotischen Szenen, die für die Handlung meist überflüssig sind. Wie oft und durch wen Saga Bauer geleckt wird, interessiert mich schlichtweg nicht. Hinzu gibt es etliche logische Fehler. So wird von „er wurde regelrecht hingerichtet“ erzählt, taucht zum Ende der Geschichte nur mit einem Kopfverband versehen wieder auf.
Manchmal ist weniger mehr. Bücher dürfen sich Zeit lassen. Vielleicht würden sich dann die Fehler vermeiden lassen? Vielleicht gibt es auch die Arroganz, dass dem Leser diese nicht auffallen.
Trotz allem liest sich das Buch in einem Rutsch weg. Da ich die Reihe um Joona Lina seit dem ersten Band lese, werde ich vermutlich den nächsten Band ebenfalls lesen.

Dirk Gieselmann: Der Inselmann

Klappentext:

Eine vergessene Insel, ihr stiller König und die Sehnsucht nach einem Leben abseits der Welt. »Der Inselmann« ist das ebenso berührende wie sprachmächtige Porträt eines Außenseiters und eine Hymne auf den Eigensinn. Anfang der Sechziger in einem entlegenen Teil Deutschlands. Das Ehepaar Roleder zieht auf eine unbewohnte Insel inmitten eines großen Sees. Es ist eine Flucht nach innen, vor der Stadt und der Wirklichkeit. Mit dabei ist ihr Sohn Hans, der auf der Insel ein neues Zuhause findet. Und noch so viel mehr. Denn mit der Zeit scheint der schüchterne Junge geradezu mit der Insel, den Bäumen, dem Laub, dem Moos und dem Gestein zu verwachsen. Hans wird zum König der Insel. Bis, mit dem Bescheid der Schulbehörde, die Realität in seine kleine große Traumwelt einbricht und ihn von Insel und Eltern trennt. Es ist der Beginn einer beschwerlichen Odyssee, gelenkt zunächst von gnadenlosen Institutionen des Staates und schließlich dem einen großen, pochenden Wunsch: zurückzukehren auf seine Insel, in die ersehnte Einsamkeit im Schatten der Welt. Doch: Wie wird die Insel, wie werden die Eltern ihn empfangen?
Dirk Gieselmanns Debüt ist die faszinierende literarische Studie eines Insellebens und erzählt von der Sehnsucht nach Einsamkeit in einer Gesellschaft, die das Individuum niemals alleine lässt, im Guten wie im Schlechten. »Der Inselmann« ist ein Roman, der nachhallt, voller berückender Bilder, leuchtender Sätze und magischer Kulissen.

Die Kurzbeschreibung beschreibt im Grunde den Inhalt des Buches. Die Eltern von Hans ziehen in den 60er Jahren aus der kleinen Wohnung in der Stadt auf die Insel. Hier findet er sein Reich und die Einsamkeit. Hans hält die Insel aus und die Insel ihn. Warum der Umzug erfolgte, warum die Eltern lieblos und sprachlos mit ihm umgehen wird nicht beschrieben oder erklärt. Als er zur Schule muss, verändert sich sein Leben. Täglich rudert er dorthin, schwänzt und wird bis zum 18. Lebensjahr in einer Erziehungsanstalt untergebracht. Kaum entlassen, will er nur noch zurück auf die Insel, doch sein Vater verwehrt ihm den Zutritt.
Er verdingt sich über die Jahre als Handlanger, um dann endlich wieder auf die Insel zurückkehren zu können, auf der er mindestens bis zum Alter von 70 Jahren lebt.

Reicht dies, um ein Buch zu füllen? Oh ja. Die Geschichte über den Rückzug aus der Gesellschaft und über ein weltabgewandtes Leben fasziniert. Hierzu benötigt es keine lange Geschichte. Die Bildhafte Sprache führte dazu, dass ich immer tiefer eintauchte, spürte, innehielt und hoffte, von nichts und niemanden gestört zu werden. Die Sprachgewalt hat mich umgehauen und ließ mich geistig äußerst befriedigt und gesättigt zurück.

Ich werde es gleich erneut lesen.

Thomas Roser: Der Tote im Bärenzwinger (Walter Kühn, Band 1)

Klappentext:
Atmosphärisch und voll düsterer Geheimnisse – ein spannender Krimi des Balkan-Spezialisten Thomas Roser.
Die dunkle Vergangenheit wirft ihre Schatten auf Serbiens Hauptstadt.
Zerrissen von den Raubtieren, wird ein Toter im Bärenzwinger des Belgrader Zoos entdeckt. Der Zoodirektor und die Polizei reden von Suizid, aber daran glaubt der Großvater des Opfers nicht. Er bittet seinen Freund, den deutschen Korrespondenten Walter Kühn, in dem Fall zu recherchieren.
Walter, dauerhaft in einer finanziellen Krise, übernimmt zuerst sehr zögernd. Seine Abscheu vor Waffen macht ihn im Belgrader Milieu zu einem denkbar schlechten Ermittler, doch seine Hartnäckigkeit bringt ihn voran. In der Metropole mit den düsteren Geheimnissen der Vergangenheit stellt er zu viele Fragen – und gerät auf die Abschussliste einer Miliz, die alles daransetzt, dass sein erster Fall auch sein letzter bleibt …

Der Autor beschreibt sich folgendermaßen: Dem Schreiben ist Balkan-Korrespondent Thomas Roser schon sein ganzes Leben lang verpflichtet. Als Korrespondent deutschsprachiger Tageszeitungen berichtete er seit 1995 erst aus den Benelux-Staaten und nach der Jahrtausendwende aus Polen. 2007 schlug der rastlose Grenzgänger seine Zelte im serbischen Belgrad auf. Nach einer Veröffentlichung seiner Alltagskolumnen »Post vom Balkanspion« in 2017 tritt er mit »Der Tote im Bärenzwinger« erstmals als Krimi-Autor in Erscheinung.

Die Handlung lässt sich schnell beschreiben: Im Bärenzwinger des Belgrader Zoos wird ein nackter, zerrissener Toter entdeckt. Die Polizei und der Zoo sprechen von einem Suizid, was der Großvater des Toten nicht glauben mag. Dieser beauftragt den Journalisten Walter Kühn den Tod zu untersuchen. Mangels Aufträge und Geldnot übernimmt er den Fall, welchen er recht schnell auflöst. Es folgt ein zweiter Auftrag, den er ebenfalls aus Geldnot übernimmt.
Die Auflösung zu dem ersten Todesfall erfolgt grob bereits im Prolog. Mutig ein Buch so beginnen zu lassen oder geschieht es eher aus Überzeugung, dass der Leser trotzdem am Ball bleibt?
Der Protagonist unterscheidet sich nicht von anderen Ermittlern, die zu viel trinken und in der Sonne schwitzen. Man hat es einfach schon zu oft gelesen. Es vergeht kaum eine Seite auf der nicht beschrieben wird wie Walter Kühn sein Bier trinkt oder sein Schweiß tropft. Mir erschwerte es das Lesen ungemein und nicht nur einmal dachte ich: „Nicht schon wieder.“ Dies schleppt sich über 237 Seiten, in denen er die beiden Aufträge bearbeitet und durch seine Ermittlungen ins Visier der Miliz gerät. Natürlich überlebt er seine Ermittlungen.
Nebenbei erfährt der Leser oberflächlich etwas über den ehemaligen Krieg in Serbien und die Verbindungen in die Gegenwart, auf die die Lösung des Buches beruht.
Das Buch wird u.a. Als „Walter Kühn, Band 1“ angekündigt. Mir stellt sich die Frage, auf was ein Band 2 aufgebaut werden soll. Der Charakter wurde diesbezüglich noch nicht ausreichend entwickelt. Mich würde es leider nicht reizen, eine Fortsetzung zu lesen.

Wer Krimis mit etwas geschichtlichen Hintergrund und saufenden Ermittlern/Protagonisten mag, der wird dieses Buch mögen.

Warum denken Journalisten oder Kolumnenschreiber so häufig, dass sie auch Bücher schreiben sollten? Vielen möchte ich sagen: Schuster, bleib bei Deinen Leisten. Oder im konkreten Fall: Einen weiteren, verlotterten, versoffenen Ermittler benötigt die Krimiwelt nicht wirklich.

Stevan Paul: Der große Glander

Klappentext:
Der junge Künstler Gustav Glander wird im New York der 1990er-Jahre zum Star der Eat-Art-Bewegung. Seine kulinarisch geprägten Arbeiten und Aktionen sind spektakuläre Inszenierungen und treffen den Nerv der Zeit, Kritiker und Sammler stürzen sich auf die Werke des schweigsamen Deutschen. Doch der Erfolg bereitet ihm Unbehagen. Nach einem Flug in die Heimat verschwindet Glander. Spurlos.
Zwölf Jahre später: Ein Restaurant in Hamburg. Es herrscht Hochbetrieb in Küche und Service. Im Speiseraum sitzt auch der bekannte Kunstkritiker Gerd Möninghaus. Dem kommt einer der anderen Gäste seltsam bekannt vor. Zu spät fällt Möninghaus ein: War das etwa Glander? Als kurze Zeit später bislang unbekannte Skizzen des verschollenen Künstlers in der Redaktion auftauchen, beginnt der engagierte Journalist zu recherchieren. Seine Suche führt ihn von Hamburg nach New York, nach St. Moritz, an den Bodensee und ins Allgäu – und er macht dabei eine überraschende Entdeckung.
Stevan Paul geht in seinem ersten Roman »Der große Glander« der Frage nach, was Essen zur Kunst macht. Er erzählt von der Liebe, vom Heimkommen und von der Freiheit, sich immer wieder selbst neu erfinden zu können. Herausgekommen ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die Sorgfalt und das Authentische, eine Liebeserklärung ans Kochen – und ein großer Spaß.

Tja, mit diesem Klappentext ist bereits alles gesagt:
Das Buch handelt von Sehnsüchten, der Liebe,  Wesentlichen, von der Rückbesinnung auf die wirklich wichtigen Dinge. Vom Finden der eigenen Berufung, vom Heimkommen und letzten Endes vom Ankommen im Leben.
Ein Buch welches ein „Hach“ Gefühl gibt und mich zufrieden die letzte Seite schließen ließ.
Die Handlung ist schnell erzählt. Gustav Glander, ein junger Mann vom Land, aufgewachsen im Allgäu, entwickelt sich im New York der 90er zu einem bekannten jungen Künstler. Einem Star. Er macht „Eat-Art“ Kunst, die spektakulär ist und bei seinen Fans sehr gut ankommt. Genannt wird er der große Glander. Eher menschenscheu scheint er mit seinem Ruhm nicht so zufrieden zu sein und hinterfragt ihn.
Als sein Vater stirbt, fliegt er nach Deutschland und verschwindet spurlos.
12 Jahre später glaubt ein Kunstkritiker ihn in einem Restaurant zu erkennen. Da er gezwungenermaßen auf der Suche nach einer guten Story ist, beginnt er mit seinen Recherchen.
Wird er den großen Glander finden? Das Rätsel um sein verschwinden lösen können? Lösen können, was der große Glander nun im zweiten Leben macht?
Die Antwort lautet ja.
Warum gefällt mir das Buch so gut? Zum einen, weil es in mir dieses „Hach“ Gefühl erzeugte. Weil der Einband sehr schön gestaltet ist. Noch mehr gefällt mir aber der Inhalt. Stevan Paul war mir als Autor vollkommen unbekannt. Mir war nicht bewusst, dass ich ein Buch lese, welches von einem Foodblogger. Kochbuchautor, Rezepteerfinder geschrieben wurde.
Dementsprechend wird in diesem Buch nicht nur über die Freiheit, sich selbst zu erfinden geschrieben. Bei jeder Gelegenheit werden selbstverständlich Gerichte beschrieben. Jeder Charakter hat einen Bezug zum Kochen und das fließt im Buch mit ein. Nein, es ist kein Kochbuch, sondern ein Buch über das Leben, über das Kochen, über das trinken über verschiedene Küchen und und und.
Die Gerichte wurden übrigens nicht erfunden, sondern von Stevan Paul bereits so gekocht.

Foto:pixabay.com

Kolumne: Manisch-Depressiv: Ich bin meiner Erkrankung (inzwischen) dankbar Teil I

Wie soll ich beginnen? Mein Name ist xxxxxx, ich bin  xxxx Jahre alt und ich bin manisch-depressiv? Eine solche Vorstellung verbinde ich mit einer Gesprächsrunde bei den Anonymen Alkoholikern. Ob es dort wirklich so gehandhabt wird ist mir unbekannt. Ich nahm nie an einem solchen Treffen teil.
Ja, ich leide an einer Bipolaren Störung. Im Allgemeinen als  manisch depressiv bekannt. Und noch bekannter als „ Himmelhoch  jauchzend, zu Tode betrübt“. Stimmungsschwankungen, die ein geregeltes Leben erschweren.
Ja, ich bin eine von ihnen.
Wie kann ich einer Erkrankung dankbar sein, die

  • mich belastet hat?
  • immer noch belastet?
  • oft zerreißt?
  • meine Arbeitskraft brutal dezimiert hat?
  • mich stigmatisiert?
  • zu einer Medikamenteneinnahme führt, bei der mir die langfristigen Folgen unbekannt sind?
  • auf Unverständnis stößt?
  • die ich hätte vererben können?
  • die mich in sehr destruktive Phasen geführt hat?
  • die mich fast in den Suizid getrieben hat?

Nein, bis vor knapp 14 Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich an einer psychischen Erkrankung leide. Anzeichen, die es gab, habe ich ignoriert. Ich war eine Frau, die immer dachte und handelte „Da muss ich durch“. Nie kam es mir in den Sinn nach Ursachen zu suchen, die dazu führten, dass ich so war wie ich war.
Nie hätte ich mein Verhalten auf der Abschlussfahrt der Oberstufe in Prag anders interpretiert „als gut drauf zu sein“. Oder extrem gut drauf zu sein. Noch gut kann ich mich an meine Verwunderung erinnern, als ich in Prag ständig von Männern angesprochen wurde, die mir eindeutige Angebote machten. In einem seiner nüchternen Momente bemerkte es mein Klassenlehrer und sprach mich darauf an. Ich konnte ihm keine Erklärung geben. Er schon: „Schaue Dir Deine Augen an und jeder sieht, was Du willst.“
Heute weiß ich, dass meine Augen in manischen Phasen nur so funkeln, eine Anziehungskraft haben, die mir nicht bewusst ist. Wenn das „Sparkling in the eyes“ wieder vorhanden ist, dann ist „die Kacke am Dampfen“, sprich ich befinde mich in einer manischen Phase.
Nicht nur meine Augen verraten es mir. Mein Verhalten ebenfalls. In Prag bin ich, nüchtern und mit Champagnerflaschen für meine Begleitung in den Armen, über die Hoteldächer geklettert. Keine Angst vor der Tiefe, stattdessen von einem Dach über das nächste gesprungen. Es macht mir viel Spaß. Leise war ich dabei auch nicht. Als es zu langweilig wurde, bin ich mit meiner Begleitung einfach durch das nächste Hotelfenster wieder abgestiegen.
In einer manischen Phase habe ich kein Gefühl für Gefahr. Bungee springen ohne Seil erscheint mir möglich. Tatsächlich wollte ich es in den 90er Jahren auf der Rhein-Knie-Brücke in Düsseldorf umsetzen. Wäre nicht eine Polizeistreife gekommen würde ich heute vermutlich nicht hier sitzen und schreiben. Stattdessen rannte ich davon und einen Tag später verlor die Idee auch schon ihren Reiz.
Ein anderes Symptom ist, dass ich in solchen Phasen einfach nicht müde werde. Ich kann mich erinnern, wie ich nach anstrengenden Doppelschichten in der Gastronomie sehr lange joggen ging. Joggte bis ich mich übergab. Müde wurde ich trotzdem nicht.
Ganze Nächte verbrachte ich an den Rheinwiesen und schaute stundenlang auf das Wasser. Im Gegensatz zu anderen Situationen beruhigte es mich nicht. Mit der fehlenden Müdigkeit geht eine Unruhe einher, die nicht zu steuern ist. Auf Bahnhöfen. Flughäfen, in Kneipen, am Rhein – dort verbrachte ich meine Nächte. Ich konnte nicht alleine sein, benötigte Menschen, Bewegung und Unruhe um mich herum.
Das waren die „stillen“ Momente.
Die „lauten“ waren die, in denen ich in den Kneipen/Clubs schnell Gesellschaft fand. Vermutlich nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechend, so bin ich in einer manischen Phase charismatisch. Mir entkommt Mann irgendwie nicht. Rock, tiefer Ausschnitt und das Ergebnis war stets identisch: Ein Hotelbett zu zweit in der Nähe der Kö. In dieser Phase geschieht es meist, ohne dass es geplant ist.
Darüber wird gerne vergessen, dass diese manischen Phasen äußerst anstrengend sind. Letzend blätterte ich in älteren Tagebucheinträgen aus den 90ern. Ich habe gespürt, dass mit mir etwas nicht stimmt. Diese Unruhe, dieses nicht schlafen können, dieser Männerverschleiß, das Gedankenkarussell – ich wurde schier wahnsinnig. Gleichzeitig genoss ich die Energie die ich hatte. Paradox.
In einer dieser Phasen ging ich zu einer Ärztin und erklärte dass ich nicht schlafen kann. Beschrieb die schlaflosen Nächte am Rhein. Sie nahm mich an die Hand und führte mich zur Praxis nebenan, die ihr Mann leitete. Er war Psychologe. Natürlich betrat ich seine Praxis nicht. Ihre Praxis ebenfalls nicht mehr.
Mir kam nicht ansatzweise in den Sinn, dass an meinem Verhalten etwas nicht „normal“ war. Ich war halt ein wenig überdreht. Auch als ich mit meinem Auto in der Düsseldorfer Altstadt eine Kreuzung blockierte, das Radio aufdrehte, die Songs (mit einer Coladose in der Hand) laut mitsang und auf dem Auto stand: Ich fand das nicht schlimm. Ich war gut drauf.
Die gerufene Polizei sah das nicht so. Da ich stocknüchtern war, verweigerte ich mich dem Drogen – und Alkoholtest. Ich kann nur eines sagen: Verweigert Euch keiner Blutprobe. Der Arzt mag das gar nicht. Der Piks schmerzt umso mehr. Daran kann ich mich noch erinnern. An das Theater auf der Wache, weil ich mich nicht piksen lassen wollte.
Letztendlich war es ein teurer Spaß. Spaß in Anführungszeichen geschrieben. Ich verschwendete für mich weiterhin kein Gedanke daran, dass dieses Verhalten so nicht der Norm entspricht.
Diese Phase besteht in der Erinnerung aus langen Nächten, Besuchen in der Nobeldisco, vielen schönen abgeschleppten Männern, im großen Bekanntenkreis im Mittelpunkt stehend und tollen lockeren Momenten.
Solche Phasen wiederholten sich im Laufe der Jahre. Phasen in denen ich viel Geld ausgab. Geld, welches ich hatte oder auch nicht hatte. Unterbrochen von Depressionen. Die erkannte ich überhaupt nicht. Für mich war es normal  viel zu arbeiten. Freie Tage oder Urlaub verbrachte ich ausschließlich mit schlafen. Heute weiß ich, es handelte  sich hier um depressives schlafen.
Als ich in Irland lebte, war ich von solchen Phasen ebenfalls nicht gefeit. Allerdings empfinde ich sie rückblickend als nicht so ausgeprägt und auszehrend.
Dann, dann kam der Dezember 2004. Ich hatte Urlaub, den ich ausschließlich im Bett verbrachte. Keine Energie für nichts. Der Haushalt wurde nicht mehr gerichtet, ich nicht mehr gerichtet. Locker schaffte ich es zwei Tage am Stück im Bett zu bleiben. Wenn die Blase schier platzte stand ich kurz auf. Ernährte mich von Schokolade und Mandarinen. Wenn letztere aus waren, ging ich kurz in den Supermarkt gegenüber, kaufte neue und legte mich wieder ins Bett. Vom vielen liegen plagten mich schlimme Rückenschmerzen. Egal. Ich konnte nicht mehr aufstehen. Der Urlaub war vorbei, ich musste wieder zur Arbeit und sagte dort: Ich bin krank, muss nach Hause.
Kurz vor dem Urlaub war ich beim Hausarzt und erzählte ihm, dass ich für Januar meinen Suizid planen würde. Gesund wäre diese Planung nicht?
Man muss es sich vorstellen: Ich will mich umbringen, plane und gehe dann zum Arzt und erzähle es ihm. Viele Schutzengel müssen über mich gewacht haben!

Fortsetzung folgt

„Read what I see:“ K-Ä-W-I-N oder Im Freibad

Der Sonntagmorgen im Freibad begann leise und unaufgeregt. Die Schwimmer und Schwimmerinnen grüßten sich noch, wenn sie aus dem Schwimmerbecken stiegen oder man sich unter den Duschen begegnete.
Langsam füllte sich das Freibad mit Freizeitschwimmern, Sonnenanbetern und mit Kevin, Louis und Leo. Diese Jungen waren mir zuvor unbekannt, im Laufe des Tages kannte ich mindestens die lauten Rufe ihrer Mütter. Louis Mutter setzte sich so auf eine Holzbank, dass sie sich mit dem Rücken an ein Gitter anlehnen konnte und verharrte für mehrere Stunden in dieser Stellung. Sie platschte dort und bewegte sich keinen Zentimeter, schrie gerne herum. Benötigte sie ein Papiertaschentuch, so ging es folgendermaßen. „Louis“ wurde lauthals gebrüllt „hol´mir ein Tempo.“ Hörte Louis nicht sofort, so schrie sie seinen Namen einmal, zweimal oder auch dreimal. Je nachdem aus welcher Ecke des Freibads er kam und der Weg zu ihr dementsprechend lang war. Dann griff er in die Badetasche und reichte ihr das gewünschte. Den Namen des zweiten Jungen erfuhren die Badegäste nicht, da sie nie nach ihm rief. Durch ihr Geschrei wurde die Aufmerksamkeit vieler Badegäste auf sie gelenkt. Der eine nahm nur die schwarz lackierten Fußnägel wahr und fragte sich sicherlich, ob Louis ihr die auch hat lackieren müssen. Die Beine waren komplett mit dicken Krampfadern durchzogen, die Bräune kaschierte etwas die stark ausgeprägte Orangenhaut. Der Haarschnitt hatte bereits bessere Zeiten gesehen. Der Badeanzug ebenfalls. So saß und saß sie dort über Stunden. Wenn sie etwas benötigte, schrie sie nach Louis, der es ihr brachte. Als die beiden Jungs sie baten ein Eis kaufen zu dürfen, verneinte sie es. Nicht leise. Oh Mann, ihr schreien war schon ohrenbetäubend, doch ihre Kodderschnauze nicht weniger unangenehm anzuhören. Louis durfte eine Tüte mit Zwiebelringen aus einer Tasche holen. Die Durstmacher. So war es nicht verwunderlich, als die Jungs kurz darauf wiederkamen und um etwas zu trinken baten. Laut wurde es verneint und ich weiß nicht, wo sie ihren Durst stillen konnten. Als sie mit ihren beiden Jungs das Freibad verließ wurde es bedeutend ruhiger in der Ecke.
Bis Kevin kam. Ein kleiner, braun gebrannter Junge mit Hüftspeck über der Badehose. Im Alter von ca. 10 Jahren. Begleitet von einer Mutter, die in einem schwarzen Badekleid gekleidet war und deren dauergewelltes und blondiertes Haar vor zwanzig Jahren modern gewesen war. Der Vater trug ebenfalls schwarze Badekleidung und ähnelte seinem Sohn optisch sehr. Oder umgekehrt. Für mich war es eine Überraschung den Namen Kevin zu hören. Ich hatte wirklich gedacht, dass der Name unter den Kindern bis zehn Jahre ausgestorben wäre. Kevin nahm seine übergroße Wasserpistole, stellte sich auf die Kinderrutsche und machte sich ein Vergnügen daraus, kleine Kinder, die noch in Windeln herumliefen, ins Gesicht zu spritzen. Oder Kinder, die rutschen wollten, so lange zu bespritzen, bis sie weinend davonliefen. In wenigen Minuten wurde er der Herr über Rutsche und Sandkasten. Keine Kinder hielten sich dort mehr auf. Also bespritzte er größere Kinder, die sich hätten wehren können. Nun bemerkten auch seine Eltern, dass es für Kevin eng werden könnte.  „K-Ä-W-I-N“ schrie sein Vater. „Komm her.“ Das war Kevin egal. Er schaute seinen Vater an, der weiter an seiner Bierflasche nuckelte, und bewegte sich keinen Zentimeter. Als wüsste er, dass auch sein Vater sich nicht von der Stelle bewegen würde. Kevin ging zum Kinderschwimmbecken, füllte seine große Wasserpistole auf und nahm Jugendliche ins Visier. „K-Ä-Ä-Ä-W-I-N“ brachte schier mein Trommelfell zum Platzen. Nun brüllte auch die Mutter. Der Junge bewegte sich weiterhin nicht, seine Eltern ebenfalls nicht. Inzwischen sprachen Erwachsene Kevin an, doch er reagierte nur mit weiteren Stößen aus seiner Wasserpistole. Vermutlich konnte sich niemand der Anwesenden dafür entscheiden, ob sie den unerzogenen Kevin nervig fanden oder die brüllenden Eltern, die sich keinen Zentimeter von ihren Liegen bewegten, während sie die Bierflaschen leerten. Ich verpasste den Augenblick als jemand Kevin die Wasserpistole entzog. Nun gab es erneutes Gebrüll. Allerdings ohne Namensnennung. Kevin brüllte sich die Seele aus dem Leib. Irgendwann stand sein Vater auf und zog Kevin zu seiner Liege. Auf eine rabiate Art und Weise zeigte der Jungen sein Missfallen darüber, indem er seinen Vater ins Gemächt boxte. Nicht nur ich verkniff mir ein Lächeln. Wenige Minuten später wurde es still. Kevin mit Anhang hatte das Bad verlassen.
Entspannt saß ich auf meiner Liege, trank einen Kaffee, las in meinem Buch und beobachtete über die Sonnenbrille schielend den Bereich um das Kinderschwimmbecken. Auffällig viele Männer mit Brüsten kamen auf ihrem Rückweg vom Kiosk daran vorbei. Badehosen in verschiedensten Neonfarben passierten auf zwei Beinen den Weg am Becken und manch einer konnte es nicht abwarten sofort seine Pommes zu naschen. Mit der Bierflasche in der rechten Hand, der Schale mit Pommes in der linken, gestaltete es sich ein wenig schwierig. Also wurde der Mund in die Pommes getunkt, mit den Zähnen zwei, drei verschlungen und die Mayonnaise fand den Weg an die Nasenspitze. Die Nasenspitze entsprach farblich nun der Farbe des Oberkörpers.
Das Kinderschwimmbecken füllte sich wieder mit Kindern, die plantschten, die Fontänen zu bändigen versuchten und einfach ihren Spaß haben wollten. Ein Mädchen kam mit ihrem kleinen Bruder dazu. Sie spritzten sich nass und er setzte sich auf eine Fontäne. Nun ging es los. Sobald er etwas machte, kommentierte er es mit lauten Schreien und gutturalen Lauten. Verließ er die Fontäne: schreien. Kam seine Schwester oder ein anderes Kind in seine Nähe: schreien. Innerhalb weniger Minuten hatte er das Kinderbecken leer geschrien. Auffällig war, dass er dabei immer in Richtung des großen Beckens schaute und schrie. Plötzlich wurde er still. Nein, sein Kopf war nicht unter Wasser geraten. Eine Frau, die nur auf ihr Smartphone stierte, näherte sich. Von nun an sprach er in ganzen Sätzen. Machte sie auch nur Anstalten, wieder weg zu gehen, schrie er. Er schrie sich schier seine Mutter herbei. Sie musste nur anwesend sein und dabei noch nicht einmal mit ihm sprechen oder ihn gar anschauen. Er erzählte ihr alles, was er gerade tat. Unabhängig davon, dass sie ihm nicht antwortete, sondern sich nur mit ihrem Smartphone beschäftigte. Mir tat der Junge leid. Als die Mutter wieder zu ihrem Liegeplatz ging, schrie er auf Kommando los und die inzwischen wieder eingetroffenen anderen Kinder verließen erneut das kleine Becken. Irgendwann nahm seine Schwester ihn an die Hand und sie gingen.
Es wurde so still.
Das Kinderbecken füllte sich erneut. Ich  begann einige Runden im großen Becken zu drehen bis mir ein großer, übergewichtiger Mann beim seitlichen einspringen ins Becken fast auf den Kopf sprang.
Ein Zeichen das Freibad für heute zu verlassen.