„Read what I see“: Im Café Mai 2022 Teil I

„Boh, jetzt muss ich die ganze Kinderschokolade umtauschen.“
„Musst Du nicht, überprüfe doch erst einmal die Chargennummern.“
„Chargen Watt?
„So Nummern auf der Schokolade. So steht es im Internet.“

Ich liebe es eine Spannerin zu sein und stehe zu dieser Vorliebe. In einem Café als passive Zuhörerin Unterhaltungen mitzuhören und teilweise anzuschauen ist immer wieder ein Quell der Freude. Während der Pandemie vermisste ich einige Dinge. Vor allem die Besuche in Cafés. Unfreiwillig in Geschehnisse eingebunden zu werden, die zu eigenen Gedankengängen, Vermutungen und Geschichten führen ist eine schöne Kopfarbeit. Die Qualität des servierten Kaffee ist manchmal zweitrangig.
Heute wurde ich ein einem Café am Niederrhein fündig. Eine nette Mitarbeiterin schaufelte mir im wahrsten Sinne des Wortes noch einen Platz in der Ecke, neben zwei Seniorenpärchen, frei. Der Parkplatz ist rappelvoll mit Fahrzeugen jeder Art, an der Theke gibt es eine ständige Schlange und die Gäste, aber auch die Mitarbeiter, wirken entspannt. Den gewünschten Milchkaffee bekam ich schnell serviert, fuhr den Laptop hoch und stellte fest, dass ein kostenlosen WLAN-Zugang angeboten wird. Die ersten Satzfetzen der Gäste, die meine Ohren erreichen, deuten an, dass mir der Aufenthalt hier gefallen wird. Die runden, blaugrauen Sessel sind gemütlich. Die Tischdeko ist dezent, aber farblich abgestimmt. In den grau angemalten Marmeladengläsern von „Glück“ wurde etwas Stroh und Holz reingelegt, dazu ein Stecker mit „It´s spring time“ aufgehängt.
Die meisten Gäste scheinen hier zu frühstücken. Auf einem Tisch steht eine Etagere mit Marmelade, Wurst usw. Auf den anderen Tischen Thermoskannen mit Kaffee. Daneben kleine Müslischalen mit abgepackter Kondensmilch und Zuckerwürfeln in Papier eingewickelt. Später erfahre ich, dass es eine Kaffee Flatrate gibt. Unbewusst erwarte ich den Spruch: „Draußen gibt es nur Kännchen.“
Die zwei Pärchen neben mir diskutieren, wie bereits erwähnt, über den großen Rückruf der Kinderschokolade Produkte und wundern sich, wie es geschehen konnte.
„Boh, jetzt muss ich die ganze Kinderschokolade umtauschen.“
„Musst Du nicht, überprüfe doch erst einmal die Chargennummern.“
„Chargen Watt?“
„So Nummern auf der Schokolade. So steht es im Internet.“
„Wie konnte datt nur passieren?“
„Da wird wohl Scheisse in die Produktionsanlage gelaufen sein.“
Würde Ferrero dies zugeben?

Ich nippe an meinem heißen Milchkaffee und mutiere erneut ungewollt zur ohralen Spannerin.
„Mein Mann hat nur noch wenige Hobbies: Fernsehen, essen und furzen.“
„Warum besorgst Du Dir dann keinen neuen?“
Fast spucke ich meinen Kaffee aus. Mit ach und krach kann ich verhindern ganz laut loszulachen.
Die Sätze fallen in einer Frauenclique, die aus sechs Frauen besteht. Die anderen Frauen dieser Clique scheinen den besagten Ehemann zu kennen und gehen nicht weiter auf die Hobbies oder die neue Besorgung ein. Sie widmen sich mit ihrer Unterhaltung nun anderen Themen. Mir ist dieser Ehemann unbekannt, dennoch bauen sich vor meinem Auge einige Bilder auf. Wer kennt besagte „“Helden“ nicht von Erzählungen betagter oder auch weniger betagter Damen?

Es gibt viel zu hören und zu sehen. Hinter der Verkaufstheke arbeitet ein junges Mädchen, die mit jedem zweiten Satz sagt: „Weiß ich nicht.“ Nichts zu wissen ist nicht schlimm. Doch wie sage ich gerne: Man sollte sein Nichtwissen kompetent und eloquent verkaufen. Oder?
Ob es eine Auszubildende ist oder eine Schülerin, die sich in den Osterferien ihr Taschengeld aufbessert? Die vorgeschriebene, lange Schürze mit Rüschen steht ihr gut und lässt sie kaum älter als 16 Jahre wirken. Wo werden noch Schürzen mit Rüschen getragen? Oder mit Spitze? Der Einheitslook – oder die Corporate Identity- gibt meist die bequemen langen Bistroschürzen vor. Die weißen Bauchschürzen aus gestärkter Baumwolle gehören schon lange dem letzten Jahrhundert an.
Schauen, zuhören, Gedanken fließen lassen und parallel dazu zu schreiben führt heute vermutlich dazu, dass ich den einen oder anderen Schreibfehler fabriziere?
Von der Frauengruppe höre ich noch: „Jetzt werden zwei Ehemänner an ihrem Grab stehen. Das ist doch schön.“
„An meinem wird keiner stehen und das ist auch schön.“
Die Unterhaltung driftet in das promiskuitive Verhalten der Freundin mit den zwei Ehemännern ab. So sehr die Frauen es in ihrer weiteren Unterhaltung verurteilen, so sehr bewundert es eine von ihnen. Wenn sie noch einmal die Zeit zurückdrehen könnte, ja dann … Was würde ich machen, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte?
Was würdest Du machen?
Eine Frage, die sich manch einer nicht nur an seinem Geburtstag stellt? Momente rückgängig machen, in denen Menschen verletzt wurden? Der einen oder anderen Versuchung nachgeben?

Fortsetzung folgt ….

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