„Read what I see“: Sonntagmorgen im Café

„Die Maschine iss kaputt. Deshalb können wir das nich machen. Deshalb hat die Maschine unten auch noch das Loch drinne.“
„Sie wollen mir damit sagen, dass Sie mir heute keinen frisch gepressten Orangensaft machen können?“
„Genau, die Maschine iss kaputt.“
„Von Hand pressen?“
„Des kenn ich nich.“
Ich muss den Blick nicht heben, um altbekannte Gesichter im Café hinter der Kuchentheke und als Gast im Café zu sehen. Menschen, die ich bereits hier beschrieb. http://schreiben-von-innen.de/read-what-i-see-sonntagmorgen/ 
„Des kenn ich nich“ kommt aus dem Mund der Mitarbeiterin, der ich weiterhin unterstelle, ihre Arbeitskraft besser als Magd auf einem Bauernhof einzusetzen. Nicht im direkten Kundenkontakt. Bei uns im Dorf hätte man sie früher als Trampel bezeichnet.
„Weisse, ich mach´ das hier nur nebenbei,“ klärt sie den Auszubildenden auf. „Die Woche unter schaff´ ich auf dem Rathaus.“ Meine Fantasie reicht nicht aus, um sie mir als Mitarbeiterin einer Behörde vorzustellen. Oder doch? Hat sie Kundenkontakt und jeder zweite Satz, den sie ausspricht lautet: „Von den gelben Säcken gibbet aber nur einen.“
Peng, peng. Was ist das? Erschrocken fahre ich aus meinem gemütlichen Sessel hoch. Kein Pistolenschuss, sondern ein großer Besen, der von der besagten Mitarbeiterin durch die hintere Backstube geführt wird. Anscheinend sieht sie ihre Aufgabe darin jede Ecke und jede Kante mit dem Besenstiel zu schlagen? Zu erschlagen? Peng, peng geht es weiter. Nicht nur ihr Stimmorgan ist sehr laut, auch die Besenführung. Mit dem Besen fegt sie hinter der Kuchentheke weiter und ich befürchte schon, dass die ersten Scheiben in der Theke zerbersten. Peng, peng, peng.
Ich habe mich meinem Buch gewidmet und werde abgelenkt.
„Brötchen warm kann ich nich belegen,“ höre ich. „Nich, dass die Wurst schlecht wird.“
Ich schaue auf.
„Dann nehme ich halt eines mit Salami,“ kommt es aus Richtung eines jungen Mannes.
„Ach, das gehet ja. Salami wird auf der Pizza ja auch immer warm und man wird davon nicht krank.“
Der Kunde, ein vom Fußball spielen einkehrender junger Mann, schaut mich an, verdreht die Augen und kann sich ein grinsen nur schwer verkneifen.
Ich trinke meine zweite Latte, als mich ein lauter Schwall an Sätzen aus meinem Lesegenuss reißt.
„Wir hab´n nix mehr. Die wollten heute Morgen schon alle Brötchen.“
Wer sind alle? Ja, es ist Sinn einer Bäckerei Brötchen zu verkaufen, oder?
„Ich hab´ da schon angerufen. Ob wir noch was kriegen, weiß ich doch nich.
Komm´ se nachher mal wieder.“

Nicht nur ein Kunde verlässt kopfschüttelnd das Café mit angeschlossener Bäckerei. Als sie schreit: „Kaufen Sie statt 8 Weckle doch 8 Stück Kuchen, schmeckt doch auch,“ ist es für mich an der Zeit meine Ohren auf Durchzug zu stellen. Diese Frau ist die Umsatzbremse und Kundenverscheucherin schlechthin. Wurde sie eventuell von der Konkurrenz eingeschleust? Mein Detektivsinn ist erwacht. Parallel kreist im Kopf weiterhin der Gedanke als was sie im Rathaus tätig sein könnte.
Auf der Terrasse bekomme ich Gesprächsfetzen von Kunden mit, die sich am kleinen Brunnen vor dem Café gesammelt haben.
„Kuchen statt Weckle, auf welchen Schmarrn die kommt.“
„Hier kannst Du sonntags keinen Kaffee trinken gehen, wenn sie arbeitet. All´ die Interna, die sie laut raus brüllt, das will ich doch nicht hören. Eigentlich müsste man mal in der Zentrale anrufen und dort Bescheid geben. Sie würden uns sicher einen Brezelorden verleihen.“
„Ich gehe hier sonntags eigentlich nicht mehr hin. Die lebendige Betriebs-Läster-Zeitung auf zwei Beinen muss ich mir nicht geben. Man will doch nur einen Kaffee trinken gehen oder ein paar Weckle holen, aber nicht mit Ohropax ein Café betreten müssen.“
Ohne Weckle, ohne Kuchen ziehen alle von dannen.
Ich fühle mich mit meinen Empfindungen nicht alleine.

 

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Jörg Maurer: Am Abgrund lässt man gern den Vortritt: Alpenkrimi (Kommissar Jennerwein ermittelt, Band 10)

 

Klappentext:
Nur der Föhn kennt die ganze Wahrheit. Kommissar Jennerweins waghalsigster Fall – der zehnte Alpenkrimi von Nr.1-Bestsellerautor Jörg Maurer.
Kommissar Hubertus Jennerwein gönnt sich eine Auszeit. Aber schon vor der geplanten Abreise trifft er auf dem Bahnhof einen Kommissar-Kollegen aus dem Allgäu und wird aufgehalten. Gerade als die beiden so richtig ins ermittlerische Fachsimpeln kommen, erreicht Jennerwein ein Hilferuf aus dem Kurort: Ursel Grasegger, Bestattungsunternehmerin a.D., hat eine blutige Morddrohung gegen Ignaz erhalten. Ihr Mann ist seit Tagen unauffindbar. Ist er in den Händen von Entführern? Oder hat er heimlich etwas Illegales geplant, was nun schiefgegangen ist? Jennerwein weiß nur zu gut, dass die Graseggers beste Mafiaverbindungen haben. Aber er verspricht Ursel, Ignaz‘ Spur außerdienstlich zu verfolgen – und bringt sich in noch nie gekannte Gefahr. Sein Team geht derweil tödlichen Umtrieben von Medizinern nach, eine frühere Freundin von Ignaz kündigt ihre bevorstehende Ermordung an, und auf einmal steht Jennerwein vor dem Abgrund seiner Polizeikarriere…

Lese ich ein Buch von Jörg Maurer mit der Hauptfigur des Kommissar Jennerwein, so fühlt es sich an, als würde ein guter Freund zu Besuch kommen. Dieses Mal hatte ich nach dem Lesen des Buches das Gefühl, dass der gute Freund nicht in Form war und zu früh gegangen ist.
Wie immer ist das Buch mit einem himmelblauen Cover gestaltet und zum Jubiläum in 10 Kapitel unterteilt, wobei jedes Kapitel mit der gleichen Tierzeichnung versehen ist.
In diesem Buch spielt das Bestattungsehepaar Grasegger eine Hauptrolle. Ignaz Grasegger ist seit Tagen verschwunden, bedeutet die zuvor erhaltene blutige Morddrohung, dass er tot ist?
In dem 10. Krimi kommt die Spannung, der Wortwitz, der schwarze Humor und die Satire nicht zu kurz. An das Niveau gewöhnt man sich als Leser recht schnell und wird diesbezüglich auch dieses Mal nicht enttäuscht.
Die Handlung überzeugt mich einfach nicht. Natürlich vermisst man zwei Hauptfiguren, die nicht mehr im Polizeidienst beim Kommissar Jennerwein tätig sind. Doch die Geschichte um die italienische Mafia, das überstürzte Handlungsende – es passt irgendwie nicht so richtig zusammen. Hätten die 429 Seiten gekürzt werden können oder hätten sie mehr sein müssen? Diese Frage habe ich mir bis heute nicht beantworten können.
Die letzten Seiten lesen sich beinahe wie ein Abschied der Figur Jennerwein.
Vielleicht jammere ich auf hohem Niveau, doch bin ich bessere Krimis um Jennerwein und sein Team gewohnt.