Kolumne: Menschen im Hotel – im Frühstücksrestaurant
Es geht doch nichts darüber das Frühstücksrestaurant im Hotel mit nüchternem Magen zu betreten. Nachdem man der Dame am Stehpult die Zimmernummer genannt hat, die geflissentlich abgeglichen wird, strömt einem bereits die übliche Duftwolke aus Damen- und Herren Eau de Toilette entgegen. Dazu eine Prise Haarspray, das Aroma der zuvor verwendeten Duschgele, die Mischung verschiedener Eierspeisen und über all´ dem der Duft von frischem Kaffee. Wie kann ich da noch von Duft schreiben? Es mieft und es trifft meine Magengrube als hätte mir jemand einen leichten Schlag verpasst. Kaum sitze ich bequem und nippe an meinem Kaffee, ist dieses Duftdurcheinander vergessen. Ich nehme es nicht mehr war, sondern sitze mitten drin. Meine im Gehirn für die Registrierung von Gerüchen zuständigen Synapsen machen gerade eine Pause. Während ich den Kaffee trinke, wundere ich mich über die Menschenschlange am Frühstücksbuffet. Ich muss mich korrigieren, weniger über die Schlange, sondern über das was den Weg auf die Teller findet. Ob es Eierspeisen, Backwaren oder Käse ist – Hauptsache die Portionen sind groß. Der Weg zur Müslibar oder der weitläufigen Ecke mit Obst wurde dabei noch nicht einmal abgegangen. Was treibt die Gäste sich so über die Auswahl zu stürzen? Hunger. Oder der Gedanke nicht zu wissen, wann es die nächste Mahlzeit gibt. Oder lockt die sehr appetitlich angerichtete Auswahl. Oder liegt es daran, dass das Frühstück Teil der Übernachtungsgebühr ist und das bestmögliche herausgeholt werden muss. Man hat ja schließlich dafür bezahlt. Vielleicht trifft ein Punkt zu, vielleicht mehrere.
Mir Gegenüber sitzt ein Mann, dessen Tischmanieren so ungewöhnlich sind, dass ich immer hinschauen muss. Zwar versuche ich mich hinter der Tageszeitung zu verstecken, es gelingt mir leider nicht. In kurzen Hosen und mit einem T-Shirt bekleidet sitzt er breitbeinig auf dem Stuhl. Er unterhält sich mit einem weiteren Gast. Die Sprache verstehe ich kaum, wenige Worte erinnern mich an meinen Russischunterricht. Vor ihm liegt ein großer Teller, auf dem sich ein Stapel mit Käse und ein Stapel mit Schinken befindet. Mit aufgestützten Ellenbogen knallt er die Gabel in die „Berge“ und schaufelt sie sich in den Mund. Bisher war mir nicht bekannt, wie schwer eine Gabel beladen werden kann. Der Mund ist noch fast gefüllt, da wird die nächste Fuhre eingeführt. Fasziniert beobachte ich, wie schnell diese Mengen in den schlanken Körper rutschen. Dieses Spiel findet seine Fortsetzung über einige Tellerladungen. Ich habe keine Idee, warum er nur diese einseitige Nahrung in diesen Mengen zu sich nimmt. Vielleicht unterzieht er sich einer Cortisonbehandlung und leidet unter Nahrungsmittelallergien?
Endlich bediene ich mich ebenfalls am Buffet und lege am Tisch die Zeitung beiseite. Mir schräg gegenüber sitzt ein Mann mit strahlendblauen Augen und Drei-Tage-Bart. Der Anzug passt zu seiner Augenfarbe und ich stufe ihn als attraktivsten Mann im Raum ein. Er nippt an seinem Kaffee, verzieht den Mund und wendet sich wieder seinem Laptop zu. Mit einer Affengeschwindigkeit schlägt er auf die Tastatur, stöhnt zwischendurch, tippt weiter, schaut kurz in den Raum, um dann erneut zu tippen. Wer mag er sein? Ein Vertriebler, der zum Quartalsende noch Umsatz vorweisen muss? Ein Fundraisingmanager, der sich mit unwilligen Sponsoren herumschlägt? Ein sich in Scheidung befindlicher Ehemann, der sich mit seinem Rechtsanwalt austauscht? Oder mit seiner Noch-Ehefrau? Zumindest ist er jemand, der früh am Morgen noch nicht seine Ruhe gefunden hat oder sie bereits verloren hat. Wer in diesem Raum konnte den Tag ruhig starten? Wer steckt bereits in seiner täglichen Tretmühle? Wo würden sie sein, wenn sie sich nicht in diesem Hotel aufhalten würden? Wir sehen jemanden und denken, was könnte er machen? Wer könnte er sein? Was macht er in seinen eigenen vier Wänden?
Darüber wird am nächsten Freitag nachgedacht.
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