Kolumne: Umtopfen
Ich muss sortieren.
Meinen Garten im Kopf aufräumen.
Die Schlingpflanzen entwirren,
die jungen Triebe finden,
sie pflegen,
mich von den vertrockneten Trieben trennen.
Kürzen.
Trennen.
Abschneiden.
Pflegen.
Nicht entsorgen.
Umtopfen.
Einen kleinen Ableger schenke ich Dir.
Foto: ich
Juli 2020
Juli 2020
Jetzt stehe ich hier und kann Dich auf dieser Trauerfeier nicht gehen lassen, ohne Dir noch einige Worte auf den Weg zu geben. (Sorry, ich kann einfach nicht anders.)
Du weißt, die Vorstellung von einem Himmel oder einer Hölle, des Mannes im weißen Gewand und mit weißem Rauschebart überzeugten mich nie. Aus irgendwelchen Gründen glaube ich ja fest an die Wiedergeburt.
So absurd die Vorstellung eines Himmels für mich ist, so kann ich mir gut vorstellen, dass Du neben Deinem Bruder Manni auf einer Wolke sitzt, die Beine baumeln lässt und Dich dort wohlfühlst – wo immer diese Wolke auch sein mag. Manni hat eine Thermoskanne mit starkem Kaffee zwischen Euch stehen, nimmt einen kräftigen Zug von seiner Zigarette und sagt. „Hey, Petra, schaue hinunter. Dort unten: Das ist heute DEIN Tag!“
Von hinten kommt Dein Vater in kleinen Schritten und flucht, dass er Euch erst jetzt gefunden hat. Tante Hilde nimmt heute eine Auszeit von der Wolke.
Denke ich darüber nach, kommen mir bereits die Tränen. Ich versuche tapfer zu sein, damit Du meine Worte verstehen kannst und sie nicht erahnen musst.
Welche Spuren kann ein Mensch auf der Erde oder dem Universum hinterlassen? Du hast Deine Spuren hinterlassen. Fünf Kinder und sechs Enkel würde es ohne Dich nicht geben. Mich würde es nicht geben.
Während ich über die Worte für Deinen Abschied nachdachte, fiel mein Blick auf die Einladungskarte zu Deinem 60. Geburtstag. Du hattest eine große Feier geplant und dann kam der Nierenkrebs dazwischen. Wir hatten für Dich eine Reise nach Irland gebucht, dem Land in dem Du zweimal Urlaub gemacht hast, als ich dort wohnte. Du wolltest so gerne noch einmal dorthin reisen.
Die große Feier und die Reise fielen aus und konnten nie wieder nachgeholt werden.
Ab dann gab es immer wieder kritische gesundheitliche Situationen in Deinem Leben.
Ich weiß nicht mehr genau, wie oft Du dem Tod von der Schüppe gesprungen bist. Auch, weil Deine Patientenverfügung missachtet wurden. Du kamst immer wieder hoch. Du hast dem Tod immer ein Schnippchen geschlagen, warst schneller. Wie im Juli vor zwei Jahren, als auch mit Mimis Hilfe, Dein Leben gerettet wurde.
Nun haben wir wieder Juli, dieses Mal bist Du nicht von der Schüppe gesprungen. Jetzt hast Du einen Weg gefunden, Deinen Weg zu gehen, ohne dass Dir noch einmal jemand in Form von Krankenhaus, Notarzt o.ä. dazwischen pfuscht.
Du hast einen stillen Weg genommen, der für Dich hoffentlich friedlich war. Und ist.
Montag telefonierten wir noch und am Donnerstag gab es Dich plötzlich nicht mehr. Das Wort „plötzlich“ hat für mich nun eine ganz andere Dimension bekommen.
Apropos Weg: Während ich das Wort ausspreche, denke ich an den Weg in Oberstdorf, der am Bach entlangführte. Diesen Spaziergang am Bach entlang mochten Didi und Du so gerne. Er gehörte zu Euren Urlauben in Oberstdorf dazu. Gelegentlich besuchte ich Euch dort.
Erinnerst Du Dich, als ich bei einem Spaziergang am Bach entlang. die nicht eingelaufenen roten Schuhe trug und mir böse Blasen lief? Wenn wir uns später daran erinnerten lachten wir meist, da ich mir nach dem Spaziergang humpelnd im Schuhgeschäft die erstbesten Schuhe, die hinten offen waren, kaufte. Oder an den Eisstand mit dem leckeren Eis? Und an den feschen Jungbauern in der Milchbar? Erst im Mai schauten wir uns noch Erinnerungsstücke aus Oberstdorf an.
Ich verbrachte einige Urlaube mit Dir und Didi im Allgäu. Gemeinsame Erinnerungen, die weiter bestehen bleiben. Die Kaffeepausen im schlichten Museumscafé in Wangen, der Rundweg am Waldsee in Lindenberg. Lindau, den Bodensee und viele andere Orte erlebten wir gemeinsam.
Mama, wenn ich an Dich denke, sehe ich nicht nur die letzten 9 Jahre, in denen Dich seit dem Nierenkrebs häufig Krankheit und Phantomschmerzen dominierten.
Du warst rst so viiiiel mehr:
Die die jüngsten Enkel abgöttisch liebte
Die ein großes Haus nicht nur in Schuss hielt und dieses später räumte. Am Wochenende des Umzugs lud ich Dich nach Hamburg ins Hotel Atlantik ein, damit Du am eigentlichen Akt des Umzugs nicht anwesend sein musstest. Wir logierten im schicken Hotel. Auch hier lachten wir später über gemeinsame Erinnerungen. Wie ich erst im anderen, falschen schicken Hotel einchecken wollte und mich kaum davon abbringen ließ, dass ich die Hotelnamen verwechselt hatte und somit an der falschen Rezeption stand.
Die großzügig war
Du konntest tanzen und Dich führen lassen. 1.2.3. tschatschatscha klappte bei Dir wunderbar
Die damals so viel Spaß mit ihren Strickweibern hatte
Die eine Überlebenskämpferin war
Die ihren Dickkopf und auch Egoismus durcchzusetzen wusste
Die Spaß an der Arbeit mit Gästen in der Gastronomie u.ä. hatte
Die ihren Didi betüdelte solange sie es konnte
Die es genoss in einer „Hells Angels“ Kneipe eine Cola zu trinken und irgendwie hoffte, dass jetzt auch etwas passieren würde 🙂
Im März und Mai sahen wir uns noch und nichts deutete auf den 9. Juli hin. Nichts. Heute bin ich froh, Dich diese insgesamt viereinhalb Wochen noch gesehen und erlebt zu haben.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie Du, auf dem Weg in die Stadt, mit Deinem Elektro Rolli den Bürgersteig verließt, auf die Straße fuhrst, an deren Straßenrand sehr viele Autos parkten und entgegen der Fahrtrichtung mit geradem Rücken Gas gabst. Autos, die um die Kurve kamen, mussten bremsen. Scharf bremsen. Auf mein ängstliches Geschrei reagiertest Du nicht. Was würde ich drum geben, Dir noch einmal ein „Bist Du narrisch, passe auf“, hinterherrufen zu können.
Gerade sehe ich Dich wieder auf Deiner Wolke. Mit Deinem Ellenbogen schubst Du Manni an und sagst. „Das habe ich Dir doch gerade erzählt. Gleich fällt der Satz, sie ist emotional überfordert.“
Diese Anspielung beziehen sich auf die Momente als ich Dich Mama, im März und im Mai, nach dem Umsetzen aus dem E-Rolli in den anderen Rollstuhl in die Wohnung schob. Du hielst Dich, mit dem Gesicht zu mir, an den Rändern fest und schautest mich mit Deinen großen, braunen Kulleraugen unter den dichten Wimpern von unten an. In dem Moment bestandst Du für mich nur aus diesen großen Augen und dem Griff. Darauf vertrauen zu müssen, dass ich Dich vorsichtig in die Wohnung schob. Währenddessen sahst Du so klein und so verwundbar aus. Ich unterdrückte meine Tränen und antwortete auf Deine Frage, dass ich gerade „emotional überfordert bin“. „Das musst Du doch nicht.“ Und tätscheltest meine Hand. Doch, Du wirktest so furchtbar verletzlich.
Mama, wir beide hatten sicherlich eine spezielle Beziehung. Dies ändert nichts daran, dass ich Dich jetzt schon vermisse.
Wer weiß, wann und wie wir uns wiedersehen? Oder spüren?
Danke Mama, dass es Dich
Gab
Gibt
Und weiter gibt
Nachtrag: Januar 2021:
Die Trauer ist weiterhin da. Anders. Folgend zitiere ich den Satz eines Enkelkinds: „Oma Petra kommt wieder. Dann hat sie auch wieder Beine.“
Wie ich zuvor schrieb: „Und weitergibt“
Zum Teufel mit Weihnachten
So stand er nun in voller Pracht und schaute auf die Menge herab. Mit seinen knapp zwei Metern, die an allen Stellen durchtrainiert waren und einen wohldefinierten Körper zeigten, malte er sich Chancen für einen Platz auf dem Siegertreppchen aus.
Hans, der neben ihm positioniert wurde, war mit seinen ein Meter siebzig, und den teilweise kahlen Stellen, keine Konkurrenz für ihn. Oder Fritz
den Traummaßen, der beim Interview seine geistige Beschränktheit bewies, welche dem Moderator währenddessen ein Zucken um die Mundwinkel bescherte. Sven wiederum meisterte sein Interview sehr gut, da er hier seine Eloquenz und Cleverness unter Beweis stellen konnte.
Der pummelige Andreas überzeugte ebenfalls den Moderator und das Publikum, vor allem das weibliche. Sein starkes lispeln wirkte herzallerliebst auf die Zuschauer, seine Kleinmädchenstimme weckte bei manch einem Burschen den Beschützerinstinkt. Der smarte Sven witterte einen starken Konkurrenten in ihm.
Bernd, der von seinen Mitbewerbern nur „W.W.“, die Abkürzung für wabbelnder Wackelpeter, genannt wurde, würde sicherlich nicht auf eines der Siegertreppchen kommen.
Emil, Kevin und Marcel saßen mit Hans in einem Boot. Mit jeweils ein Meter sechzig waren sie zu klein, um zu gewinnen. Zukünftige Werbepartner würden auf ihnen zu wenig Fläche zur Verfügung haben, die sie schmücken könnten.
Ein kleiner, dicker Junge aus dem Publikum schaute ihn intensiv an. Seine stämmigen Beine lugten aus der Lederkniebundhose hervor. Seine Pausbacken waren ein knappes Pfund zu viel für einen 10-jährigen Bub. Eine Ähnlichkeit zu Franz Josef Strauß ließ sich nicht verleugnen. Genauso wenig verleugnen wie das Wissen, das in diesem Tal gerne miteinander und untereinander in den Familien – ja was schon – geschah. Offene Geheimnisse, die nicht einmal die BILD Zeitung mehr interessierten.
„Meins, meins, Opa“ rief er in Richtung seines Opas.
Der Opa schaute ihn an und nickte mit dem Kopf. „Pssssst.“
Dieser Junge war ein Kind zum Kneifen. Zumindest hätte seine Mutter ihn so bezeichnet.
Sven, der nicht umsonst der smarte Sven genannt wurde, schaute wütend zurück. Er zog die Nadelbehandlung der Kneifbehandlung vor. Der Betroffene hatte länger etwas davon. Und Sven ebenfalls. Langsam, Stück für Stück, würde er die Nadeln in die Waden stecken. Leider war der Kontakt zum Publikum verboten und führte zur sofortigen Disqualifikation.
Manchmal überkamen ihn böse Gedanken. Bevorzugt in der stressigen Advents- und Weihnachtszeit, wenn viele Menschen kurz vor´m durchdrehen waren.
Um sich abzulenken, schaute er zu Ludmilla hinüber, die mit ihren Traummassen den Miss Wettbewerb gewonnen hatte. Ihre rote Schärpe aus Seide betonte ihre Kurven nur noch mehr. In Höhe der ersten Reihe stand sie kerzengerade mittig im Gang.
Er wackelte mit seinen unteren Extremitäten und hatte die Worte seiner Ex im Ohr: „Was wackelst Du denn immer da unten rum? Willst Du wieder eine andere anmachen?“
Ja, die schöne Ludmilla benebelte seinen Verstand gehörig.
Erneut hörte er den Jungen wieder „Meins, meins“ sagen und dieses Mal auf Ludmilla zeigen. Mensch, konnte der Bengel nicht einmal in ganzen Sätzen sprechen!
Der Opa stand auf. Mit der Geldbörse in der Hand ging er Richtung Kasse.
Erschrocken schaute sich Sven nach Ludmilla um, die in seine Richtung nickte.
Den Satz: „Der Gewinner der Mr. Tannenbaum Wahl 2019 ist der smarte Sven“ hörte er kaum noch. Als ihm daraufhin die goldfarbene Schärpe angelegt wurde, lief er los. Der ersehnte Wahlsieg interessierte ihn nicht mehr. Behände sprang er von der Bühne, schnappte sich Ludmilla, verknotete ihrer beider Schärpen und verließ mit wehenden Ästen und Ludmilla auf den Ästen den Veranstaltungsort. Nicht umsonst wurde er zusätzlich auch der schnelle Sven genannt.
Zum Teufel mit Weihnachten! Er würde heute Nacht und an vielen weiteren Nächten, mit Ludmilla für Nachwuchs für den nächsten Kinderwettbewerb sorgen.
In diesem Sinne: Frohe Weihnachten