Kolumne: Restaurantbesitzer und ihre Definition von „barrierefreien Räumlichkeiten“:
… oder von einer, die auszog ein barrierefreies Restaurant für eine Familienfeier zu suchen und schnell merkte, dass diese Aufgabe auch bei einem größeren Aktionsradius nicht so leicht zu lösen ist.
Naiv vermutete ich zu Beginn, dass es nicht schwer sein kann, ein Restaurant für eine Familienfeier zu finden, welches für Rollstuhlfahrer geeignet ist. Es gibt Restaurants, die sich rühmen barrierefrei zu sein und dies bewerben. Es gibt sogar Restaurants, die sich mit dem Vermerk „Für Rollstuhlfahrer geeignet“ in Restaurantführer aufnehmen lassen. Bis heute ist mir nicht klar, nach welchen Kriterien diese Aufnahme erfolgte. Oder ob jemand diese Aussagen überprüfte.
Schüttelte ich zu Beginn der Suche noch den Kopf, packte mich zwischendurch die Wut. Bevor ich mir angebotene Räumlichkeiten anschaute lernte ich schnell, dass ein Telefonat zuvor unnötige Fahrtzeit ersparen und unnötigen Frust vermeiden könnte.
Meine Standardfragen an die Gastronomen lauteten meist:
„Ihre Räumlichkeiten sind für Rollstuhlfahrer geeignet?“ „Ihr Lokal verfügt über ein behindertengerechtes WC?“
Wirbt ein Restaurant damit für Rollstuhlfahrer geeignet zu sein, ist es für mich logisch, dass es über ein dementsprechendes WC verfügt. Nein, dem ist bei weitem nicht so.
„Unser Zugang zum WC ist nur 50cm breit, da kommt kein Rollifahrer rein.“Die meisten Rollstühle beginnen mit einer Breite von 63cm, es ist nur logisch, dass das nicht funktionieren kann.
„Unser Lokal ist super ausgestattet für Rollstuhlfahrer. Wenn sie die fünf hohen Eingangsstufen bewältigen können.“
Klar, Rollstuhlfahrer können ihren Rollstuhl wie einen fliegenden Teppich nutzen und ´mal eben in die Lokalität einfliegen.
„Schauen Sie sich gerne unser Lokal an. Innen ist alles barrierefrei.“ Die Betonung auf innen ließ mich aufhorchen. Wie mag es außen ausschauen?
„Draußen haben wir 18 Stufen. Unsere kräftigen Kellner tragen die Rollstuhlfahrer immer rein.“ Am liebsten wäre ich mit einem Gast vorbei gekommen, der einen elektrischen Rollstuhl nutzt. Eine kleine Armee an kräftigen Kellnern kann einen solchen Rollstuhl nicht hoch heben.
„Natürlich können wir Ihnen ein Buffet anbieten. Dann kann aber nur ein Gast im Rollstuhl anwesend sein und der muss an seinem Tisch sitzen bleiben, ansonsten ist alles zu eng.“
Aha, es werden nur sich nicht bewegende Rollstuhlfahrer gewünscht?
Es wurden Kellerräume angeboten, es gab aber keinen Aufzug um dorthin zu gelangen. Oder Räume in den oberen Etagen, die auch nur über Treppen zu erreichen waren. Diese Beispiele wiederholten sich in der Kontaktaufnahme zu den Gastronomen immer wieder und zogen sich wie ein roter Faden durch die Suche. Weiterlesen
„Read what I see“: Sollen wir heute den Hund grillen?
Ich bin ein Spanner. Korrekt gesagt eine Spannerin. Eine, die im Caféhaus nicht die Ohren verschließen kann und deren Augen vieles aufmerksam betrachten. Häufig registriere ich diese Beobachtungen erst später richtig.
Ich kann nicht anders.
So auch heute. Eine Frau um die 70 Jahre, mit dicken aufgespritzten Lippen, sitzt in meiner Nähe. Ich sehe sie nicht zum ersten Mal. Ihr rechtes Handgelenk ist stets mit breiten Goldarmbändern behangen, die ich üblicherweise nur als Halsschmuck bei Rappern kenne. Links trägt sie eine sehr große himmelblaue Armbanduhr aus Plastik. Ihren Mittelfinger ziert ein sehr klobriger Ring. Das rosa T-Shirt sitzt eng, die darüber getragene rote Kapuzenjacke beißt sich farblich mit dem T-Shirt. Die Haare sind silberfarben gefärbt und glänzen an manchen Stellen in einem leichten lila Ton. Die Brille passt sich der Haarfarbe an, die Sneakers der Uhr.
Ihr Gegenüber sitzt ein älterer Mann, der kaum auffällt. Fast unscheinbar wirkt. Nur wenn er redet, wirkt er lebendig. Ich vermute in ihm ihren Ehemann.
Betreten beide das Café, so setzt sie sich an einen Platz, während er das Frühstück und den Milchkaffee für beide holt. In der Zeit greift sie zu ihrem Smartphone und tippt etwas hinein. Etwas? Dieser Vorgang ist nicht zu überhören. Zum einen klappern die dicken Goldarmbänder, zum anderen klappert jede Buchstabeneingabe unerträglich laut. Sie hat den Ton am Smartphone bei der Ziffern- oder Buchstabeneingabe nicht deaktiviert. So selig, wie sie beim Tippen lächelt, vermute ich dass dieser Ton in ihr irgendwelche erogenen Zonen aktiviert? Anders kann ich es mir nicht erklären, wie sie ohne Pause minutenlang irgendetwas eintippt, während ich schier verrückt werde. Mich törnt dieser Ton in dieser Frequenz und in dieser Häufigkeit überhaupt nicht an. Im Gegenteil. Ich werde unruhig und möchte ihr das Smartphone entwenden und versehentlich in den Gulli fallen lassen. Ihr Mann tritt an den Tisch, verteilt das Frühstück und für einen kurzen Moment kehrt Ruhe ein.
Stille.
Sie sprechen nicht miteinander. Rühren Zucker in den Milchkaffee, trinken ihn und schlürfen dabei ein wenig. Laute, die ich als eine Wohltat gegenüber dem „Tipp,tipp“ empfinde.
Die Brötchen werden mit Butter beschmiert, Marmelade darauf verteilt und langsam hinein gebissen. Fast. „Ich bin unterzuckert“ sagt sie und schiebt sich das halbe Brötchen auf Ex, an den aufgespritzten Lippen vorbei, in den Schlund.
Ich halte mich bereit, um notfalls das Heimlich-Manöver anwenden zu können. Weiterlesen
Anne
Anne saß in ihrem großen, roten Ohrensessel in ihrer Wohnküche. Mit ihren weit über 80 Jahren fror sie immer, so dass der Kachelofen auch im Sommer brannte. Der Holzhändler freute sich darüber, wenn er ihr wieder eine große Fuhre Kleinholz anlieferte. Ihr war es egal. Eine kleine Marotte durfte sie sich in ihrem Alter doch leisten. Ihre Wohnküche mutierte zu ihrem Lebensmittelpunkt. Die Haustür war nie verschlossen, so dass ein jeder der wollte sie besuchen konnte ohne dass sie die Tür öffnen musste.
Sie mochte ihr betagtes, kleines Haus. Das Wohnzimmer wurde höchstens noch an Weihnachten benutzt, ihr Schlafzimmer nur noch zum Umkleiden. Ihr reichte die alte Küchencouch zum Schlafen. Tagsüber machte sie, auch wenn die halbe Verwandtschaft um sie herum schwirrte, ein Nickerchen in ihrem Ohrensessel. Manchmal wurden es auch zwei Nickerchen. Sie hörte den Unterhaltungen um sie herum, und gelegentlichen Streitereien, in denen es häufig um Kinkerlitzchen ging, nicht zu. Es interessierte sie nicht. Anne interessierten die Menschen, nicht ihre Verstrickungen untereinander.
Das letzte Nickerchen war heute nicht so erholsam. Sie träumte, dass Eimerweise Flugsand über sie geschüttet und sie ersticken würde. Als sie wach wurde, merkte sie, dass ihre Katze es sich auf ihrem Kopf gemütlich gemacht hatte und ihr dicker Schwanz Anne die Nase verstopfte. Blödes Viech. Sie so zu erschrecken und aus dem Schlaf zu reißen. Anne unterstellte ihr schon eine gewisse Absicht. Die Katze lief ihr vor einigen Wochen zu und mochte es nicht, dass Anne sie auf den Namen „Eisbär“ taufte. Bei dem weißen Fell eine logische Entscheidung, dachte sich Anne. Eisbär boykottierte die Entscheidung, indem sie mit keck aufgerichtetem Schwanz nur kam, wenn frisches Futter bereitgestellt wurde. Auf alle weiteren Rufe reagierte sie nicht.
Während Anne in ihrem Ohrensessel an einer Decke, bestehend aus Granny Squares, häkelte, dachte sie an die gestrige Unterhaltung mit ihrer Tochter. Anna hatte wieder einmal einen Kontrolltermin bei ihrem Hausarzt vergessen. Was heißt vergessen? Es ziepte nirgends in ihrem Körper und ihr Verstand war mopsfidel (wie sollte sie sich auch anders die schwierigen Häkelmuster ausdenken und ohne Notizen gemacht zu haben, los häkeln können?).
Daher sah sie nicht ein, den Landarzt aufzusuchen.
Ihre Tochter schimpfte und nahm gleich das böse Wort Demenz in den Mund. Ach, soll sie doch schimpfen und Modeworte verwenden. Letztens sprach ihre Tochter sogar davon, dass sie bald auf einen Burn Out zusteuern würde, wenn sie ihren Stresslevel nicht endlich senken würde. Anne war auf diesem Ohr taub und wechselte das Thema.
Nein, Anne hatte ihre Zeit viel sinnvoller verbracht. Über den Sommer weilte der Vater des netten Nachbarn beim Sohn und sie ging viel lieber mit ihm an den Rapsfeldern entlang spazieren, als in einer vollen Arztpraxis Stunden warten zu müssen.
Während dieser Spaziergänge fror sie auch nie. Vielleicht lag es daran, dass er sie immer keck anlächelte, wenn er in ihre Küche kam, um sie abzuholen?
Schreibübung zu den folgenden vorgegebenen 8 Wörter:
Kinkerlitzchen, Weihnachten, Flugsand, häkeln, keck, Eisbär, eimerweise, mopsfidel