Louise Kennedy: Übertretung

Klappentext:
Jeden Tag, während Cushla Lavery ihrer alkoholkranken Mutter das Frühstück macht, sich im Garten mit dem Nachbarn unterhält, ihre Grundschüler unterrichtet oder in der Bar ihrer Familie aushilft, werden die Toten und die Verletzten gezählt. Es ist 1975, und in Belfast eskaliert der Bürgerkrieg. Die katholischen Laverys betreiben ihren Pub in einer überwiegend protestantischen Vorstadt. Sie müssen vorsichtig sein – ein falsches Wort, schon findet man sich auf einer Todesliste wieder. In diesem »Höllenloch« gibt es vieles, was man besser nicht tut. Sich in einen verheirateten Mann verlieben, der nicht nur ein wohlhabender, angesehener Prozessanwalt ist, sondern auch noch Protestant. Sich einmischen, wenn ein Schüler schikaniert und sein Vater fast totgeprügelt wird. Gegen jede Vernunft beginnt Cushla eine leidenschaftliche Affäre mit dem deutlich älteren Michael Agnew, gegen jede Vernunft setzt sie sich für den kleinen Davy ein – und bezahlt einen hohen Preis. Louise Kennedys international gefeierter Roman erzählt von einer tief gespaltenen Gesellschaft, von einem Konflikt, dessen Wunden bis heute nicht geheilt sind, von Menschen, die versuchen, inmitten täglich stattfindender Gewalt ein normales Leben zu führen. Ein herzzerreißendes, bittersüßes, unvergessliches Buch.

Die junge, katholische Lehrerin Cushla ist die Hauptfigur in diesem Roman. Unterrichtet sie nicht, so wird sie durch ihre Familie eingebunden. Sie kümmert sich um die alkoholkranke Mutter und hilft im Pub ihrer Familie aus. Dazu liegt ihr ihr Schüler Davy am Herzen, dessen Familie und er schikaniert werden, da seine Mutter Protestantin ist, während der Vater Katholik ist.
In der Grundschule beginnt der Morgen mit den Nachrichten: Die Schüler zählen auf, was passiert ist: Eine Bombe hier, ein Mord dort, ein Bombenopfer hier, ein fast zu Tode geprügelter dort. Im Alltag sind dies keine außergewöhnlichen Nachrichten. Diese Geschehnisse prägen den Alltag. So ist es „normal“, dass der Nachbar täglich unter sein Auto schaut, ob dort eine Bombe platziert wurde.
In dieser Atmosphäre darf nicht geschehen, was geschieht. Sich als Katholikin in den angesehenen, älteren, protestantischen Prozessanwalt zu verlieben. Doch das geschieht Cushla, als sie im Pub der Familie Michael kennenlernt. Während sie unter einem Vorwand seine Freunde trifft, ist ihre Familie nicht informiert. Zu gefährlich wäre es für den Pub und ihre Familie.
Ich begann das Buch, als es auf der Shortlist zum British Book Award stand. Ich beendete es, als es diesen gewann. Die 304 Seiten faszinierten mich und ich las es fast in einem Rutsch. Der Inhalt fesselte mich. Nein, ich wuchs nicht in Nordirland auf, doch besuchte ich mehrmals Belfast und andere nordirische Städte. Noch über vierzig Jahre danach hat der Konflikt seine Spuren hinterlassen. Hierbei meine ich nicht die optischen. Mit Dubliner Kennzeichen versehentlich am Jahrestag in die Nähe des Marsches des protestantischen Oranier-Orden zu gelangen ist auch heute noch nicht ungefährlich.

Welch gewaltiges Buch über die Liebe. Eine verbotene Liebe. Angesiedelt in Nordirland der 70er Jahre, das von Gewalt, Religion, Politik und Alkohol geprägt ist.
Ein Buch, welches so anschaulich geschrieben ist, dass ich den Alkohol rieche, die Bombendetonationen höre und den Wunsch verspüre, dem Priester in die Fr… zu schlagen. (sorry.) Es verursachte mir mehrmals Gänsehautmomente. Natürlich werden irische Stereotypen verwendet, allerdings passend und es tut diesem tollen Buch keinen Abbruch.
Natürlich hoffte ich auf ein Happy End, obwohl der Spannungsbogen mir bewusst machte, dass es dieses nicht geben kann?

Wer so gewaltig schreibt, dass ich Raum und Zeit vergesse und das Buch nach der letzten Seite weinend weglege, der folge ich blind mit den nächsten Büchern, von denen ich hoffe, dass Louise Kennedy noch viele schreiben wird und kann. Nun bestelle ich mir erst einmal ihren Band mit Kurzgeschichten.
Und ich hoffe auf eine Verfilmung durch die BBC.

 

Foto: Steidl Verlag

Jan Costin Wagner: Einer von den Guten (Die Ben Neven Krimis, Band 3)

Klappentext:
Ben Neven, leitender Kriminalermittler, glücklich verheiratet, Familienvater, von Kolleginnen und Kollegen hochgeschätzt, ist einer von den Guten. Niemand weiß von seinem Doppelleben, niemand weiß, dass Neven einmal wöchentlich einen Parkplatz weit von zu Hause ansteuert. Um dort Adrian zu treffen, einen minderjährigen Jungen.
Während der Sommer verblasst und der Herbst anbricht, verstrickt sich Neven immer tiefer und auswegloser im Dickicht seines ungeheuerlichen Doppellebens. Und Adrian lernt die gleichaltrige Vera kennen, die ihm ein ganz anderes Leben zeigt. Ein Leben, das er nicht kannte und dass er vor seinem Vater, der ihn zur Prostitution zwingt, verbergen muss.
Sowohl Ben als auch Adrian müssen radikale Entscheidungen treffen, um die unhaltbare Situation zu ändern. Doch jeder Schritt ist ein Schritt am Abgrund. Wenn Neven sich jemandem anvertraut, steht seine Existenz auf dem Spiel. Und Adrian müsste sich von seinen Wurzeln und seinem alten Leben komplett lossagen. Werden sie einen Ausweg finden? Und wenn ja, um welchen Preis? 
Eine fein austarierte, hochmoralische Meditation über Menschen am Abgrund, die uns nach dem letzten Satz sprachlos und doch mit geschärftem Blick zurücklässt.

Puh, es gibt Bücher, bei denen man nach dem Lesen einen Schnaps benötigt. Oder auch zwei. „Einer von den Guten“ ist eines dieser Bücher. Die überschaubare Seitenanzahl von etwas über 220 Seiten reichen hierzu aus, um am Ende tief Luft zu holen.
Dies ist der dritte Band um Ben Neven, den Kriminalermittler von der Wiesbadener Polizei. Band 1 und Band 2 habe ich nicht gelesen, so dass mir Ben Neven als Figur und als Ermittler unbekannt waren. Um Band 3 zu verstehen, muss man die Vorgängerbücher nicht gelesen haben.
Ben Neven ist glücklich verheiratet, Vater einer kleinen Tochter und pädophil. Einmal wöchentlich trifft er den minderjährigen, rumänischen Adrian, der von seinem Vater gezwungen wird sich zu verkaufen.
Unweit des Parkplatzes, auf dem sich Adrian anbietet, befindet sich das Schwimmbad, in dem er die gleichaltrige Vera kennenlernt. Sie zeigt ihm ein anderes Leben. Ein kindgerechtes Leben. Gibt es eine Chance für sie? Gibt es eine Chance für ihn?

Während Adrian sich in das kindgerechte Leben einfindet, verstrickt sich Ben immer mehr in seine Lebenslüge.
Er outet sich seinem Mentor gegenüber und ist dennoch nicht ehrlich. Nicht dem Mentor gegenüber, nicht sich selbst gegenüber. Er redet sich seine Neigung sehr sachlich schön, was bei mir das Bedürfnis weckte ihn zu schütteln und zu schlagen. Gleichzeitig fühlte ich mich beklemmt.

Das Buch wird aus mehreren Perspektiven erzählt. Vorrangig aus der von Ben und der von Adrian. Ein geschickter Erzählstil, der, gerade durch die Sachlichkeit von Ben, dem pessimistischen Krimi guttut und mich fesselt.

Ist dieses Buch wirklich dem Genre Krimi zuzuordnen? Wird es ein Happy End geben? Kann ein Buch mit einem pädophilen Hauptcharakter ein Happy End haben?

Nein.

Christian Handel.Andreas Suchanek: Spiegelstadt. Tränen aus Gold und Silber

Klappentext:

»Babylon Berlin« goes Fantasy:
Ein magisches Berlin in den 20er-Jahren, ein zerstörerisches Familiengeheimnis und eine Liebe, die alles verändert, sind die Zutaten für den Urban-Fantasy-Roman »Spiegelstadt. Tränen aus Gold und Silber« von Christian Handel und Andreas Suchanek.
In den Schatten unserer Welt existiert eine andere Wirklichkeit: die Spiegelstadt, ein magisches Berlin, erstarrt in den glamourösen 1920er-Jahren und bewohnt von vielgestaltigen Feen-Wesen. Reisen zwischen den Welten sind streng verboten und nur mithilfe magischer goldener Tränen möglich.
Auf einer wilden Party in Berlin, die ganz im Motto der 20er-Jahre steht, begegnet Max dem ebenso attraktiven wie geheimnisvollen Lenyo – und gerät damit mitten hinein in einen blutigen Konflikt um die Herrschaft in der Feen-Welt. Verfolgt von gnadenlosen Kreaturen und gefangen in einem Netz aus Intrigen und Machtgier, ahnt keiner von ihnen, dass sie längst zum Spielball einer gefährlichen Macht geworden sind, die die Barriere zwischen den Welten bedroht … 
Die Zusammenarbeit der beiden preisgekrönten deutschen Fantasy-Autoren Christian Handel und Andreas Suchanek ist ein echter Glücksfall für alle Urban-Fantasy-Fans: »Spiegelstadt. Tränen aus Gold und Silber« ist eine mitreißende Story in einem betörenden Setting mit einer wunderschönen queeren Liebesgeschichte.

Ich musste 55 Jahre alt werden um den Begriff „Urban-Fantasy“ kennenzulernen, zu verstehen und in Form des Buches „Spiegelstadt: Tränen aus Gold und Silber“ als Lesestoff zu genießen.
Nicht erst seit Babylon Berlin mag ich Bücher und Filme, die in den 20er Jahren spielen. Insbesondere, wenn der Handlungsort Berlin ist.
Max reist nach dem Tod seiner Großmutter nach Berlin. Mit seiner Freundin aus Kindheitstagen besucht er eine Motto-Party der 20er Jahre. Dort trifft er auf Lenyo, doch bevor er ihn auf der Party näher kennenlernen kann, flieht er mit ihm von dieser. Auf der Flucht erklärt ihm dieser die Spiegelstadt, die von Feen-Wesen bewohnt ist und in den 20er Jahren stehen geblieben ist. Es gibt also das magische Berlin der 20er Jahre mit Feen-Wesen, der Spiegelstadt und das Berlin der heutigen Zeit. Reisen zwischen diesen Welten sind streng verboten und nur durch magische goldene Tränen möglich.
Mit Freundin aus Kindheitstagen und Lenyo befindet sich Max nun als Andersartiger und gleichzeitig Grenzgänger in der Spiegelstadt. Der Weg zurück ist gefährlich.
Während Max immer mehr über die Spiegelstadt, die Feen-Wesen und das Königshaus erfährt, kommt er Max näher.
Nach der Rückkehr ins heutige Berlin ist seine Reise nicht beendet. Etliche Fragen finden eine Antwort, weitere neue ergeben sich.
Um nicht zu spoilern, möchte ich nicht mehr erzählen. Nur so viel: Der Kampf um die Welten vergeht nicht ohne Gefahren und Blut, ist dabei so spannend und fantasievoll geschrieben, dass man die 352 Seiten nicht so schnell umblättern kann, wie man möchte.
Ich hätte viele weitere Stunden lesen können. Gemein, richtig gemein empfand ich das Ende. Ja, es soll der Auftakt einer Trilogie sein, doch empfand ich die letzte Seite definitiv nicht als Cliffhänger, sondern als .. ja, was? Lest selbst und bildet Euch eine Meinung.

Angelika Rehse: Josses Tal

Klappentext:
1930: Josef ist ein uneheliches Kind und eine Schande für seinen Großvater, der ihn seine Enttäuschung mit Schlägen täglich spüren lässt. Mit seiner Mutter im Haus der Großeltern erlebt Josef eine Kindheit, die geprägt ist von Angst und Schuld, fehlender Nähe und Geborgenheit. Als er seinen Nachbarn Wilhelm kennenlernt, erfährt er zum ersten Mal in seinem Leben Freundschaft und Zuneigung. Wilhelm beschützt und fördert Josef – und nutzt dessen Arglosigkeit aus, um für ihn, der Hitler treu ergeben ist, die Bewohner im Ort auszuspionieren. Stolz auf diese Aufgabe und seine neue Uniform wird er zu einem folgsamen Gehilfen, doch dann erfährt Josef etwas, das sein bisheriges Leben aus den Fugen geraten lässt …

Eine Postkarte aus September 1945, die ein Josef Tomulka schrieb, führte dazu, dass Helen 2004 nach Norwegen reist, um von ihm die Hintergründe zu dem Tod ihrer Urgroßmutter zu erfahren. In Norwegen trifft sie auf Josef Tomulka, der als Einzelgänger spartanisch in „Josses Tal“ lebt. Ihr erzählt er erstmalig seine Lebensgeschichte.
Als unehelicher Sohn wächst er mit seiner Mutter bei den Großeltern auf. Hier erfährt er weder Nähe oder Geborgenheit. Stattdessen verprügelt ihn sein Großvater ständig, so dass der kleine Josef in Furcht lebt. Mit dem Umzug in ein Dorf lernt er den Nachbarssohn Wilhelm kennen, der dem prügelnden Großvater Einhalt gebietet. Wilhelm nimmt ihn unter seine Fittiche und integriert ihn in seine Familie, wo er Zuneigung und Freundschaft erlebt.
Wilhelm, der Medizin studiert, ist schon recht früh ein strammer Nazi und lenkt Josef ebenfalls in die Richtung. Manipuliert ihn und fährt mit ihm zur Bücherverbrennung nach Berlin, an der beide aktiv teilnehmen. Diese wird sehr lebendig beschrieben, so dass das Gefühl entsteht als Leser live dabei gewesen zu sein. Schwer beeindruckt gerät Josef immer mehr in „die Fänge“ von Wilhelm und spioniert überzeugt die Dorfbewohner aus. Als Wilhelms Protegé geht er über die Jahre seinen braunen Weg und wird dadurch nicht nur von den Mitschülern akzeptiert.
Im Sterbebett erzählt Josefs Mutter von seinem Vater, was diesen schockiert, so dass er Zuflucht bei Wilhelms Familie sucht.
Es gibt viele Bücher, die sich mit der Nazizeit beschäftigen. Was macht dieses Buch anders oder warum lässt es sich so leicht lesen? Sicherlich liegt es an der Geschichte des kleinen, misshandelten Josef, der als er endlich wahrgenommen wird, sich manipulieren lässt und überzeugt einem Nazi/den Nazis folgt. Wie viele andere Kinder mit anderer Geschichte. Oder der Beschreibung der Dorfbewohner, die nicht alle überzeugte Nazis sind. Es gibt Widerstand, versteckten Widerspruch, der ebenfalls beschrieben wird. In Josef wachsen mit der Zeit Zweifel und er fühlt sich schuldig. Nicht nur in Bezug auf die Folgen seiner Spionage, den Tod von Helens Urgroßmutter und den Dorfbewohnern, die abreisen müssen. Diese Schuld begleitet ihn bis ins hohe Alter.
Seine aufkommenden Zweifel teilt er nicht mit Wilhelm. Auch mit niemand anderem. Wie und warum er in Norwegen als Einzelgänger lebt ist schlüssig erzählt. Ich las „Josses Tal“ recht schnell und atmete tief durch als ich es beendete. Die 408 Seiten über die gesellschaftliche Entwicklung während des Nationalsozialismus in Deutschland, anhand des Lebens von Josef zu erzählen, ist mehr als gelungen. Überzeugend, bildhaft und Nachdenkens wert. Da verzeihe ich den einen oder anderen handwerklichen Schnitzer in der Zeichnung der Figuren.

 

Kolumne: Tage, wie dieser

Bei dem beschriebenen Tag handelte es sich nicht um einen Freitag, den 13. Oder einen Tag, an dem man verschlafen hatte und seinen Rhythmus im Laufe des Tages nicht fand. Nein, der besagte Tag war ein Tag wie jeder andere. Er unterschied sich nur darin, dass „viel“ Porzellan zu Bruch ging und er überhaupt nicht so rund lief wie angedacht. Ein wichtiges Utensil wurde vermisst und die Suche darauf verlief eine Zeitlang ergebnislos. Viele Stunden wurden verloren und die Frustrationstoleranzgrenze im Laufe des Tages in gewissen Zeitabständen unfreiwillig getestet.
Ein Schusseltag von Schussel für Schussel.
Der besagte Tag begann schwül und die Wechseldusche sollte meine Geister wecken. Ich hatte geplant viel zu lesen und zu schreiben. Angedacht.
Auf dem Balkon machte ich es mir mit dem Notizblock, einem Kaffee und einem Buch bequem. Ein neuer Text sollte entstehen und wenn das Hirn zu müde gewesen wäre, um weitere Buchstaben sinnvoll aneinanderzureihen, würde ich es mit einer Lesepause zu einer Pause zwingen, um neuen Buchstabensalat zu kreieren. Während ich schrieb, ließ ich mich vom Nachbarn gegenüber ablenken. Im Achselshirt und mit langen, rosafarbenen Gummihandschuhen bekleidet, ging er einem Teil seiner Kehrwoche nach. Mich irritierte der Anblick. Wenn Mann schon Gummihandschuhe trägt, würde ich für die männliche Variante in blau plädieren. Ja, ich bin eine Frau, die manchmal in Klischees denkt. Mein Blick wanderte weiter. Auf dem Boden wuselten Ameisen emsig umher. Ich hoffte, sie würden sich noch im Laufe des Sommers als nützlich erweisen. Ihre gelegentlichen Bisse an meinen Waden versuchte ich zu ignorieren.
Der Notizblock füllte sich Seite um Seite, so dass ich mir Kaffeenachschub verdient hatte. Mit meiner schönen Tasse in der Hand ging ich durch die breite Balkontür. Nun kam ein Moment, den ich manchmal gerne als „Ich stehe neben mir“ bezeichne. Nein, ich dissoziiere nicht. Oder bin in einer anderen Art gespalten. Mein Kopf erkennt die Breite der Balkontür und mein Körper ignoriert es bewusst.
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Zum dritten Mal ein 9. Mai ohne Dich

Das war der 9. Mai im vergangenen Jahr und im Jahr zuvor:

9. Mai

Kein runder Geburtstag für Dich.
Kein Muttertag für Dich.
Viele Grüße nach …
ja wohin?
Einem Ort, an dem es Dir besser geht?
Einem Ort, an dem Dich nichts mehr an vor dem 9. Juli erinnert?

Du fehlst.

Immer noch.

Frank Willmann: Der Pate von Neuruppin (Vom Imbisswagen zum Drogenimperium)

Klappentext:
Breaking Bad in Brandenburg – der größte Kriminalfall des Ostens

1990 eröffnen ein paar Jugendfreunde eine Imbissbude. 14 Jahre später werden sie wegen Kokainhandel, illegalem Glücksspiel, Erpressung, Betreiben eines Bordells und Gründung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Dazu kommt ein ungeklärter Mordfall. Zum ersten Mal erzählen die Mitglieder der sogenannten »XY-Bande« die unglaubliche, aber wahre Geschichte ihres Erfolgs und ihrer Verfolgung. Ein spektakulärer Fall, der die Verbrüderung von Kapitalismus und Verbrechen offenbart. Und ein authentisches Porträt des wilden Ostens in den Neunzigerjahren.
Als Olaf Kamrath im August 2004 bei einer groß angelegten Polizeirazzia festgenommen wird, ist er nicht mehr der kleine Junge des örtlichen Kneipenbesitzers, sondern der Kopf einer gut geölten Geldmaschine: Die »XY-Bande« versorgt alle zwischen Rostock und Berlin mit erstklassigem Stoff aus Amsterdam. Olaf, Kalle, Joschi und Franky sind vier Jugendfreunde, die mit dem Fall der Mauer die Chance zum großen Erfolg wittern und es wagen, sie zu ergreifen.
Die ersten tausend Mark verdient Olaf mit den Würstchen aus seiner Imbissbude. Dann kommen Spielautomaten, ein Fitnesscenter und ein Puff dazu. Doch spätestens mit der Eröffnung der eigenen Großraumdisco beginnt für die Freunde eine neue Ära, denn jetzt steigen sie auch in das Drogengeschäft ein.
Frank Willmann hat in langen Gesprächen das Vertrauen aller Beteiligten gewonnen. Erstmals wird hier die ganze Geschichte erzählt. Unglaublich, aber wahr.

Ein paar Freunde tun sich in den 90er Jahren in Neuruppin zusammen, um reich zu werden. Beginnend mit der Pommesbude, über Automatenaufstellungen, Spielhöllen, Puff und Drogenhandel sind sie recht flexibel unterwegs. Zum Schluss „seriös unterwegs“ holt sie die kriminelle Vergangenheit ein, da zwei Kronzeugen aussagen. Bekannt wurden sie als „XY“ Bande, benannt nach ihren Autokennzeichen.
Mir war weder die „XY“ Bande bekannt noch der Prozess oder Neuruppin. Oder der Autor.

Frank Willmann beschreibt das Milieu aus Sicht einiger Bandenmitglieder. In chronologischer Reihenfolge erzählen sie plastisch abwechselnd von der Kindheit bis zum Prozess und dem Gefängnisaufenthalt. Dabei wird auf die moralische Keule und Bewertung durch den Autor verzichtet.

Das Buchmit seinen 228 Seiten habe ich in einem Rutsch gelesen, da der Inhalt spannend war. Durch die verschiedenen Schreibstile, je nachdem wer erzählt, wird es nie langweilig. Manchmal musste ich schmunzeln, manchmal wunderte ich mich, wie leicht Drogenschmuggel und -verkauf sein konnten. Die Jahre schienen so selbstverständlich leicht zu sein. Als Leser bekam ich einen authentischen Eindruck dieser Zeit.

Schön hätte ich es gefunden zu lesen, wie es den erzählenden Protagonisten heute geht. Die Freundschaft existiert noch, doch wie leben sie jetzt. Von Olaf Kamrath ist es bekannt.

 

„Read what I see“: Intelligenzvakuumisten

Intelligenzvakuumisten, ein auf dem ersten Wort unaussprechliches Wort, welches Menschen verschiedener Arten und Denkweisen beschreiben kann.
Bereits vor zwei oder drei Jahren beschrieb ich die folgende Begegnung. Heute überarbeitete ich sie. Inzwischen kann ich sie um viele weitere Momente ergänzen, in denen ich für mich leise, und manchmal laut, sagte: „Du Intelligenzvakuumist“.
Der Begriff „Intelligenzvakuumisten“ wird in keinem Duden oder anderem Nachschlagewerk zu finden sein. Es ist eine Wortschöpfung, die erfunden und dabei selbsterklärend ist. Oft nutze ich sie, wenn ich auf Menschen treffe, die ich in ihrer Ansicht oder ihrem Verhalten so unschön empfinde, dass ich sie nur mit dieser Wortschöpfung begreifen kann.
Ursprünglich hatte ich vor, verschiedene Menschen mit ihren verschiedenen Einstellungen und Aussagen zu beschreiben. Situationen mit ihnen wieder zu geben, in denen ich voller Unverständnis den Kopf schüttelte und innerlich sprachlos dachte:
Wie kann ein erwachsener Mensch solche Aussagen treffen?
Wie kann ein erwachsener Mensch nur solche Handlungen begehen?
Wie kann ein erwachsener Mensch über so wenig Empathie verfügen und ausschließlich sich in den Mittelpunkt des Weltgeschehens setzen?
Eine Reise und das Zusammentreffen mit einem Ehepaar brachten mich dazu, die Beobachtung auf zwei Personen zu begrenzen.
Erstmalig bemerkte ich sie am Bahnhof. Ich schätzte beide auf Mitte 60. Er: Um die 1,75m groß, Brillen- und kleiner Bauch- und Brustträger mit weißen Haaren. Gekleidet in einem gestreiften Poloshirt mit Jeans. Sie: Etwas kleiner, weiße Haare mit Dauerwelle, ebenfalls in Jeans gekleidet, mit einer Bluse und einer Handtasche aus den 80er Jahren versehen. Sie fielen mir auf, weil sie merkwürdiges Schuhwerk trugen. Nicht bunt oder anderweitig auffallend, sondern in einer viel zu kleinen Schuhgröße. Er trug eine Art Sandalen, deren Zehen soweit herausragten, dass sie fast den Boden berührten. Der Blick des Betrachters wurde automatisch auf sie gelenkt. Sicherlich auch, weil diese Zehen aussahen, als hätten sie tausende Meilen barfuß Laufens hinter sich gebracht.
Bei ihr sah es gemäßigter aus.  Die bestrumpften Füße steckten ebenfalls in Sandalen. Wobei nur geschätzte 3-4cm Zehen herausschauten.
Sehr schnell wirkten die Beiden auf mich als ewige Gestrige aus den neuen Bundesländern, die im Schwabenland, dem ungeliebten Westen, einfach nicht ankommen wollten. Früher war alles besser. Drüben war alles besser. Ja, sie verwendeten den Ausdruck drüben sehr häufig. Verwundert stellte ich bei dem Besuch eines DDR Museums fest, dass sie auch hier über ausgestellte Dinge der ehemaligen DDR schimpften. Es scheint ein gemeinsamer, grundlegender Charakterzug von ihnen zu sein, alles negativ zu betrachten?
Schon nach wenigen Stunden erinnerten sie mich an die bekannten drei Affen, die vollkommen meinungslos und desinteressiert erscheinen. Die drei Affen, die nichts sehen, nichts hören, nicht sprechen. Nein, das traf auf das Ehepaar nicht zu. Sie sahen alles, und sie hörten alles. Sie redeten ausgiebig. Vorrangig redeten sie bösartig und sehr abwertend über Mitreisende.
Könnte ich sächsisch zitieren, würde sich hier die Gelegenheit bieten, ausgiebig zu zitiren. Leider kann ich Dialekte nicht zitieren. Sie schimpften darüber: „Warum sind die ganzen Schwarzen hier im Bus.“ (Flüchtlinge waren Bestandteil der Reisegruppe und egal welcher Nationalität sie entstammten, alle wurden als Schwarze tituliert)
“Warum fahren die Schwarzen überhaupt mit? Die wollen sicherlich alles umsonst bekommen.“
Kaum verließ die Gruppe das Hotel, beschwerten sie sich lauthals beim Reiseführer: „Boh, die Schwarzen sind wieder so langsam. Wegen denen kommen wir bestimmt heute nirgends mehr an.“ Hinweise durch den Busfahrer, Gruppenteilnehmer oder den Reiseführer,  sich nicht so respektlos und rassistisch zu äußern, ignorierten sie geflissentlich. Sie hatten eine dermaßen überzogene Wahrnehmung von sich die einen konstruktiven verbalen Austausch nicht zuließen. Verfügten sie überhaupt über eine Wahrnehmung? Oder lebten sie „zurück gezogen“ in ihrer eigenen, gestrigen Welt? Denke ich an ihr Schuhwerk (ich muss gestehen, dass ich von ihrem heimlich ein Foto machte), dass sie diesbezüglich zumindest anders sind.

Zitiert habe ich einige Sätze, die sich endlos aneinanderreihen lassen würden. Sie ließen keine Gelegenheit aus, über die Mitreisenden lautstark ihren Unmut zu äußern. Ich bekam mein Fett, aufgrund meiner Figur und meines Einschreitens weg. Mitreisende Kinder, weil sie es wagten sich ein wenig zu bewegen. Der Reiseleiter, weil er „die Schwarzen nicht wegschickte“, der „Staat, weil er Flüchtlinge überhaupt reinlässt“. Vorrangig bekamen leider die ausländischen Mitreisenden ihren Unmut zu hören. Unmut oder Dummheit? Beleidigungen wurden getätigt. Andererseits verweigerten sie die direkte Kommunikation mit ihnen und schauten, Hände vor der Brust verschränkt, über sie hinweg.
Speisten wir in einem Restaurant zu Mittag oder zu Abend, bemängelten sie das Essen, scheuchten das Personal auf oder fielen durch ähnlich gelagerte Aktionen auf.
Für ein Gemeinschaftsfoto verließen sie demonstrativ den Raum. Ich empfand es als große Respektlosigkeit. Vielleicht wollten sie ihre Schuhe und die altmodische Dauerwelle auch einfach nicht zur Schau stellen? „Ironiemodus“ aus. Sie waren mir unangenehm und ich schämte mich teilweise für sie.
Äußerungen am Denkmal der verstorbenen Roma und Sinti: „Wie, das ist alles? So ein Aufwand für die paar Toten.“ Wir sprechen von geschätzten 500.000 Menschen. Oder in einem Museum über die Nazi Verbrechen „Jetzt könnten sie aber mal Ruhe geben“ zeigten mir, welch Geistes Kind sie sind. Auf einem Friedhof sagten sie lauthals: „Da sollten man die Hälfte der Insassen des Busses eingraben“. (Blick auf die mitreisenden Ausländer)
Doch wie soll man mit solchen Menschen umgehen? Ich hätte sie am liebsten rein zufällig aus dem Bus fallen sehen und hätte vergessen ihnen die Hand zur Hilfe zu reichen. Wollte ihren dummen Dunstkreis verlassen. Mit Argumenten konnte man bei ihnen nichts erreichen. Sie leben in ihrer eigenen Welt, ihrem eigenen Kosmos und nur sie haben Recht. Ihr respektloses Verhalten widert mich immer noch an. Daher haben sie die Ehre hier als die ersten Intelligenzvakuumisten beschrieben zu werden.
Einige Monate später sah ich sie erneut, als sie auf dem Weg zu einer Veranstaltung der AfD waren.

Als ich den Text zum ersten Mal schrieb, waren mir ein solches Verhalten, und auch solche Äußerungen, von Menschen unbekannt. Inzwischen ist es salonfähig geworden und nicht nur auf Stammtischen anzutreffen.
Intelligenzvakuumisten sind überall anzutreffen. Beim Bäcker, an der Kasse im Supermarkt, in der Nachbarschaft und und und.
Wann habt ihr zum letzten Mal einen getroffen und ihn dabei vielleicht mit einer anderen Bezeichnung versehen?

Foto:pixabay.com

Andrew

Andrew war wütend. Während sich seine Boys aufwärmten, inspizierte er die Bühne. Es war doch immer dasselbe in diesen Dorfbuden. Die Deko der gestrigen Veranstaltung stand immer noch in der Ecke herum. Die Landfrauen, die gestern ihren jährlichen „Applecrumble Wettbewerb“ mit anschließender Siegerinnenehrung durchführten, hatten vergessen einen Teil der Deko weg zu packen.
Er verstand nicht so recht die Verbindung eines „Applecrumble“ zu einem Weihnachtskaktus. Wahrscheinlich verwendeten die Landfrauen die Deko, die der Fundus her gab und stopften die Bühne damit voll. Schnell schob er den riesigen Weihnachtskaktus hinter die Bühne und ging in die Garderobe zu den Boys. Die noch am Boden liegende Lichterkette nahm er sicherheitshalber mit.
7 waren sie an der Zahl. Der Zahn der Zeit nagte auch an ihnen. Die Knochen knirschten, die ersten Zähne waren bereits ausgetauscht. Mangels Zahnarztbesuchen zuvor, war deren Lebensdauer deutlich reduziert.
Als sich ihr Fußballteam damals auflöste, waren sie auf der Suche nach einem neuen Hobby. Mit 40 Jahren wurden im Dorf grundsätzlich alle Sportteams aufgelöst. Sie wollten die „alten“ Männer vor weiteren Sportunfällen schützen.
Die jetzigen Unfälle entstammten meist aus den Schlägereien im Pub. Ab einem bestimmten Alkoholpegel gehörte das automatisch dazu.

Die 7 taten sich zusammen und tourten mit ihrer Show durch die Grafschaft. Sie waren alle Singles und erhofften sich, durch die Show, die nächste Ehefrau zu finden. Nach 10 Jahren hatte keiner von ihnen eine Mrs. Right gefunden. Manchmal bekam einer von ihnen eine Frau für eine Nacht ab, wenn sie genug Vanillekipferl gegessen hatte. Verlassen konnte man sich darauf aber auch nicht mehr. Bei all´ den Lebensmittelallergien, wollte die eine nichts mit Vanillezucker essen, die andere nichts mit Gluten.
Andrew war das egal. Er war der Bäcker unter den Boys und bekam dafür etwas mehr Gage. Auf dem Weg zur Garderobe dachte er daran, dass er das nicht mehr lange mitmachen wollte.

Mrs. Right mit einem anständigen Gehalt musste her.
In der Garderobe betrachtete er seine Boys: Die „Silver Boys“. Wer von ihnen noch Haare auf dem Kopf hatte, verweigerte sich diese zu färben. Das gesparte Geld wurde lieber in ein Ale investiert.
Die Boys beendeten ihre Aufwärmübungen, Andrew verzichtete darauf. An ihm, in ihm knirschte alles. Was sollte er sich noch quälen.
Stattdessen ließ er die große Keksdose herum gehen. Manch einer trank sich im Pub die Frauen schön, seine Boys naschten sich ihr Publikum schön. Unter drei Vanillekipferl betrat keiner die Bühne, denn nicht nur die Frauen mussten durch den Verzehr in eine erotisierende Stimmung versetzt werden.
Andrew aß nur zwei Kipferl. Ab dem Verzehr des dritten lief seine Nasenspitze rot an, so dass er sich zurück halten musste.
Einer der Boys verließ die Garderobe und verteilte draußen im Saal die Vanillekipferl unter den Frauen. Er war einfach der beste unter ihnen, der sie zu dem Verzehr  überzeugen konnte. Gleich würde er zurückkommen und in seine geflickte Uniform schlüpfen.
Gemeinsam standen sie nun hinter dem Vorhang. Die Musik ertönte. Wie üblich begannen sie mit YMCA und sprangen auf die Bühne.
Ein Blick ins Publikum genügte Andrew um die Anzahl der Besucherinnen zu schätzen. Ihm war das egal. Sie hatten eine feste Gage ausgemacht.
Gleich beim ersten Takt klatschten die Frauen, nach dem ersten Song standen sie auf den Stühlen und grölten bei jeder kleinen Bewegung der Boys.
An Andrew perlte das alles ab. Seine künstliche Hüfte spielte heute nicht mit. Der Schmerz brannte innerlich so hell wie die Lichterkette, die er sich aus einer Laune heraus um den rasierten Kopf geschlungen hatte.
Dennoch nahm er den Blick der in pink gekleideten Frau aus der ersten Reihe war. Betrachtete er ihre Figur, so hatte sie mindestens den halben Inhalt der Keksdose genascht. Betrachtete er ihren Blick, so verfehlten die Kekse bei ihr nicht die Wirkung.

Sein Abend schien gerettet zu sein, dachte er noch, bevor sie alle ihr letztes Kleidungsstück, den rosafarbenen Slip mit Elefantenrüssel, fallen ließen und das Licht ausging.
Ob sie akzeptieren würde, dass er heute nur auf dem Rücken liegen konnte?

 

Schreibübung zu den folgenden, vorgegebenen, Wörtern:

Lichterkette
Nasenspitze
abperlen

Lebensdauer
künstlich

Weihnachtskaktus
erotisierend

Vanillekipferl

Jakob Arjouni: Idioten. Fünf Märchen

Klappentext:

Was, wenn einem eine Fee einen Wunsch gewährt? Einziger Haken: Die Klassiker, also Wünsche betreffend Unsterblichkeit, Gesundheit, Geld und Liebe, sind ausgeschlossen. Außerdem hat, wie alles im Leben, auch die Wunscherfüllung zwei Seiten. Fünf moderne Märchen über Menschen, die sich lieber blind den Kopf einrennen, als einen Blick auf sich selber zu wagen Menschen also wie Sie und ich.
Fünf moderne Märchen über Menschen, die sich mehr in ihren Bildern vom Leben als im Leben aufhalten, die den unberechenbaren Folgen eines Erkenntnisgewinns die gewohnte Beschränktheit vorziehen, die sich lieber blind den Kopf einrennen, als einen Blick auf sich selber zu wagen – Menschen also wie Sie und ich. Davon erzählt Arjouni lustig, schnörkellos, melancholisch, klug.
Stellen Sie sich vor, zu Ihnen käme eine Fee und Sie hätten einen Wunsch frei, Keine Fee, wie man sie sich normalerweise vorstellt, eher eine trockene Sachbearbeiterin mit prallem Terminkalender und Überstunden. Sie würde Ihnen erklären, dass Wünsche in den Bereichen Unsterblichkeit, Geld und Liebe ausgeschlossen sind. Und sie würde darauf hinweisen, dass Wunscherfüllungen nicht immer genau das bewirken, was sich die Wünschenden vorstellen.

„Idioten. Fünf Märchen“ habe ich mir in 2003 gekauft und lese es seitdem immer wieder. Jetzt war es wieder einmal an der Zeit. In 2003 erschienen, ist es ein noch immer zeitloses Buch, in dem in fünf Geschichten erzählt wird, sich seine Wünsche sehr genau zu überlegen.
Die Fee, deren Chef sie vom Sternschnuppendienst in den Kreis der Feen beförderte, weist darauf hin, dass der materielle Wert den Wert einer Spülmaschine nicht übersteigen darf. Diese sogar auf Platz vier der Wünsche liegt. Platz eins wird vom Wunsch „berühmt zu sein“ belegt. Hier ließ der Chef sich die Talkshows einfallen. (Man bedenke, dass das Buch in 2003 erschien)
Wie erwähnt, die Wünsche wollen gut überlegt sein. Wie erzählt die Fee: „Oder neulich wollte jemand Fleisch für Nordkorea, und der Chef ist dann auf die Idee mit der BSE-Krise gekommen und dass die Europäer ihre kranken Rinder rüberschicken….“
Erzählt werden mal lustig, mal nachdenklich, mal hart die Geschichten hinter den Wünschen. Vom Vizechef einer Werbefirma, vom jungen Filmregisseur, von der Mutter, vom Groschenromanautor und einem erfolglosen Journalisten. 153 Seiten werden gefüllt, die man in einem Rutsch lesen kann – lässt man sich keine Zeit die Geschichten zu reflektieren.

Ich genieße es immer wieder dieses Buch zu lesen.

Leider verstarb Jakob Arjouni viel zu früh in 2013. Ich bin fest davon überzeugt, er hätte noch viele weitere gute Bücher geschrieben.