Kolumne: Tage wie dieser …

Bei dem beschriebenen Tag handelte es sich nicht um einen Freitag, den 13. Oder einen Tag, an dem man verschlafen hatte und seinen Rhythmus im Laufe des Tages nicht fand. Nein, der besagte Tag war ein Tag wie jeder andere. Er unterschied sich nur darin, dass „viel“ Porzellan zu Bruch ging und er überhaupt nicht so rund lief wie angedacht. Ein wichtiges Utensil wurde vermisst und die Suche darauf verlief eine Zeitlang ergebnislos. Viele Stunden wurden verloren und die Frustrationstoleranzgrenze im Laufe des Tages in gewissen Zeitabständen unfreiwillig getestet.
Ein Schusseltag von Schussel für Schussel.
Der besagte Tag begann schwül und die Wechseldusche sollte meine Geister wecken. Ich hatte geplant viel zu lesen und zu schreiben. Angedacht.
Auf dem Balkon machte ich es mir mit dem Notizblock, einem Kaffee und einem Buch bequem. Ein neuer Text sollte entstehen und wenn das Hirn zu müde gewesen wäre, um weitere Buchstaben sinnvoll aneinanderzureihen, würde ich es mit einer Lesepause zu einer Pause zwingen, um neuen Buchstabensalat zu kreieren. Während ich schrieb, ließ ich mich vom Nachbarn gegenüber ablenken. Im Achselshirt und mit langen, rosafarbenen Gummihandschuhen bekleidet, ging er einem Teil seiner Kehrwoche nach. Mich irritierte der Anblick. Wenn Mann schon Gummihandschuhe trägt, würde ich für die männliche Variante in blau plädieren.Ja, ich bin eine Frau, die manchmal in Klischees denkt. Mein Blick wanderte weiter. Auf dem Boden wuselten Ameisen emsig umher. Ich hoffte, sie würden sich noch im Laufe des Sommers als nützlich erweisen. Ihre gelegentlichen Bisse an meinen Waden versuchte ich zu ignorieren.
Der Notizblock füllte sich Seite um Seite, so dass ich mir Kaffeenachschub verdient hatte. Mit meiner schönen Tasse in der Hand ging ich durch die breite Balkontür. Nun kam ein Moment, den ich manchmal gerne als „Ich stehe neben mir“ bezeichne. Nein, ich dissoziiere nicht. Oder bin in einer anderen Art gespalten. Mein Kopf erkennt die Breite der Balkontür und mein Körper ignoriert es bewusst.
Mit Schwung schepperte die Tasse gegen den Balkontürrahmen und zersprang in viele Stücke. Ungewollt hatte ich wieder etwas Platz im Küchenschrank geschaffen. Die Scherben kehrte ich zusammen und machte eine kurze Pause, um ein paar T-Shirts anzuprobieren. Dazu nahm ich meine Brille ab und legte sie auf den Stuhl im Schlafzimmer. Die Anprobe war beendet, die Brille konnte wieder aufgesetzt werden. Hätte aufgesetzt werden können, wenn sie nicht verschwunden wäre. Sie war weg. Einfach weg. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich einem Verfolgungswahn verfallen würde und nach einem Dieb suchen würde, der sich in die Wohnung eingeschlichen hätte, hinter meinem Rücken meine Brille stahl und sich nun unter meinem Bett verstecken würde. Innerlich schlug ich mir an meine Stirn und betrachtete es nur als Fortsetzung der „Ich zerdeppere meine Kaffeetasse“ Szene. Den Stuhl schaute ich gewissenhaft an und gab ihm den lautlosen Befehl meine Brille wieder herauszurücken. Mir gab ich den Befehl richtig hinzuschauen. Wie, wenn die Brille nicht auf der Nase sitzt? Zwei Stunden durchsuchte ich meine Wohnung. Nichts war vor mir sicher. Natürlich schaute ich unter das Bett. Doch weder Brille, oder der ursprünglich vermutete Dieb, hatten es sich neben einigen, wenigen Wollmäusen gemütlich gemacht. Um mich abzulenken und den Geistesblitz herauszufordern, der das Geheimnis um meine Brille lüften würde, begann ich meinen kleinen Backofen zu reinigen. Mein altes Sparschwein, welches ich ungefähr im zarten Alter von 13 Jahren geschenkt bekam, stand oben auf dem Backofen.
Stand.
Ohne mein Zutun kam es ins Rutschen, fiel auf den darunter stehenden Küchenschrank und zerbrach. 37 Jahre überlebte es, machte etliche Umzüge, inklusive eines Auslandsumzugs mit grob motorischen Umzugshelfern mit, und stürzte sich nun in die Tiefe. Vielleicht war es frustriert, weil ich es zu selten gefüttert hatte? Oder litt es unter Osteoporose? Ich rechnete es ihm hoch an, dass es nur wenige Millimeter neben meinem schönen, selbstgemachten Essig fiel. Dieses Glas ist für eine Freundin gedacht und sollte noch ein paar Tage überleben. Frustriert schrubbte ich den Ofen, kehrte wieder Scherben zusammen und wollte eine Leserunde auf dem Balkon einläuten. Ohne Brille ging das leider nicht. Ein letztes Mal ging ich ins Schlafzimmer und sagte laut: „Wo, wo bist Du.“ So oft ich den Stuhl auch anschaute, so fand ich meine Brille nicht. Inzwischen an meinem Verstand zweifelnd, tastete ich den Stuhl ab. Was soll ich sagen? Das kleine Miststück hatte sich mit einem Bügel an einer Strebe verfangen und verschmolz farblich mit dem Holz. Ich hatte wieder den optischen Durchblick. Um den Zeitverlust, der mit der Suche und der Backofenreinigung entstanden war,  wieder gutzumachen, schaltete ich den PC an und begann die ersten Seiten meiner Notizen zu übertragen und zu überarbeiten. Zwar hatte ich Kaffeedurst, doch traute ich mich nach meinen bisherigen Missgeschicken nicht mehr, irgendeine Flüssigkeit in der Nähe meiner Tastatur oder anderen elektronischen Geräten aufzubewahren.
Irgendwann ging es auf Mitternacht zu. Keine weiteren Missgeschicke, ob mit oder ohne mein Zutun, geschahen. Die Dusche überstand ich unbeschadet und kurz vor Mitternacht wollte ich endlich ins Bett kriechen. Zuvor noch ein Glas Wasser trinken.
Wollte.
Als ich das Glas aus dem Küchenschrank nahm, kam mir eine Lebensmittelmotte entgegen. Iiiiih. Mein Hausfrauengewissen ließ es nicht zu diesen Schrank einfach zu schließen und mir keine weiteren Gedanken darüber zu machen. Lebensmittel bewahrte ich in diesem nicht auf. Also wurden alle Gläser kochend heiß gespült, in Essigwasser geschrubbt und sicherheitshalber noch einmal in die Spülmaschine gesteckt. Das machte ich ebenfalls mit dem Küchenschrank. Er wurde nicht in die Spülmaschine gesteckt, aber ebenfalls mit heißem Wasser und mit Essig ausgeschrubbt. Irgendwann lag ich im Bett und wollte nur noch schlafen. Das war mir aus irgendwelchen Gründen nicht gegönnt. Lesen oder Musik hören brachte mich nicht zum Einschlafen. Irgendwann verfiel ich auf ein, normalerweise, altbewährtes Mittel: Filme auf dem Handy anzuschauen. Dummerweise landete ich bei einem düsteren Krimimehrteiler. Der verfehlte definitiv seine Rolle als Einschlafmittel. Es wurde 5 Uhr, es wurde fast 6 Uhr morgens. Noch eine Viertelstunde und ich würde wissen, wer der Serienmörder war. Leider musste ich darauf bis zum nächsten Abend warten. Wie ich lernen musste, wurde der Film um 6 Uhr mittendrin gestoppt. Filme ab FSK16 werden nur bis 6 Uhr gezeigt. Puh, wer war nun der Killer? Diese Gedanken machten mich richtig wach. Um mich abzulenken, begann ich in einem Buch zu lesen. Noch könnte ich etwas Schlaf bekommen. Der Morgen würde halt etwas später starten. Meine Augen wurden kleiner und kleiner. Die Zeilen im Buch nahm ich immer schlechter auf. Kurz nach dem letzten Blick auf die Uhr um 7.15 Uhr schlief ich ein.
Ob ich schöne Träume hatte? Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Und wenn, so waren sie kurz. Eine sehr deutliche Erinnerung ist das laute „Mäh, mäh“ Geräusch in meinen Ohren. Nein, es stammte nicht von einem Schaf. Es stammte von der elektrischen Gartenschere, die meine Vermieterin um 7.45 Uhr in Betrieb nahm.
Spontane, böse Fantasien unterdrückend, fragte ich mich stattdessen, wie man einen Garten täglich behandeln muss, um die Gartenschere dafür mehrere Stunden zum Einsatz zu bringen. Der Rasen wird mit einem Rasenmäher gemäht.
Oder doch nicht?
In dem Moment freute ich mich auf den Winter.

Foto: pixabay.com, thomaspedrazolli

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