Joachim Meyerhoff: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war

Klappentext:
Ist das normal? Zwischen Hunderten von körperlich und geistig Behinderten als jüngster Sohn des Direktors einer Kinder- und Jugendpsychiatrie aufzuwachsen? Der junge Held in Joachim Meyerhoffs zweitem Roman kennt es nicht anders – und mag es sogar sehr. Sein Vater leitet eine Anstalt mit über 1.200 Patienten, verschwindet zu Hause aber in seinem Lesesessel. Seine Mutter organisiert den Alltag, hadert aber mit ihrer Rolle. Seine Brüder widmen sich hingebungsvoll ihren Hobbys, haben für ihn aber nur Häme übrig. Und er selbst tut sich schwer mit den Buchstaben und wird immer wieder von diesem großen Zorn gepackt. Glücklich ist er, wenn er auf den Schultern eines glockenschwingenden, riesenhaften Insas­sen übers Anstalts­gelände reitet. Joachim Meyerhoff erzählt liebevoll und komisch von einer außergewöhnlichen Familie an einem außergewöhnlichen Ort, die aneinander hängt, aber auseinandergerissen wird. Und von einem Vater, der in der Theorie glänzt, in der Praxis aber stets versagt. Wer schafft es sonst, den Vorsatz zum 40. Geburtstag, sich mehr zu bewegen, gleich mit einer Bänderdehnung zu bezahlen und die teuren Laufschuhe nie wieder anzuziehen? Oder bei Flaute mit dem Segelboot in Seenot zu geraten und vorher noch den Sohn über Bord zu werfen? Am Ende ist es aber wieder der Tod, der den Glutkern dieses Romans bildet, der Verlust, der nicht wieder gutzumachen ist, die Sehnsucht, die bleibt – und die Erinnerung, die zum Glück unfassbar pralle, lebendige und komische Geschich­ten produziert.
Das Buch fand ich eher zufällig und dachte mir: Auf dem Psychiatriegelände aufzuwachsen und darüber zu schreiben kann im Ergebnis nur ein gutes Buch werden.
Erst dann las ich ein wenig über den Autor nach und erfuhr, dass er Schauspieler, Regisseur, und Autor ist.
Als Schauspieler spielte er erfolgreich sein Programm: Alle Toten fliegen hoch ( in 6 Teile unterteilt). Hier wird seine eigene Geschichte bzw. die Geschichte seiner Eltern und Großeltern erzählt. Aus dem Programm entstand der (preisgekrönte) Roman „Amerika“ als Band 1 der Romanserie:
Band 1: Amerika
Band 2: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie wieder war
Band 3: Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke
Band 4: Die Zweisamkeit der Einzelgänger
Mich zog das Buch von der ersten Seite in den Bann und ich schämte mich fast darüber, dass ich eine so geringe Erwartungshaltung hatte, sondern das Buch nur auf den „Wohnort“ des Ich-Erzählers reduzieren wollte.
Ganz schnell ist es während der Besprechung geschehen, dass ich eine mehrseitige Inhaltsangabe schrieb. Ja, wie ein Schüler, der einen Aufsatz schreibt.
Beschreibe ich das Buch, müsste ich eigentlich eine Zusammenfassung des gesamten Buches schreiben. Eigentlich….. Die Erlebnisse, die Beschreibungen: Sie sind anrührend, teilweise witzig, nie beleidigend, sehr lebendig, amüsant, liebevoll.
Dieses liebevoll möchte ich an einer Szene festmachen: Der Ich-Erzähler geht gerne mit seinem Vater an den Strand. Wenn es heimgehen soll, schlägt er dem Vater immer noch vor: „Noch einen Bauchnabel voll bleiben“. Der Vater stimmt dem zu und widmet sich wieder seinem Buch. Sohnemann geht ans Meer, füllt seine Hände mit Wasser und kippt sie dem Vater in den Bauchnabel. Wenn das Wasser verdunstet ist, geht es heim.
Dementsprechend groß ist seine Angst, als sein Vater plötzlich von Plänen erzählt, um abzunehmen: Was geschieht dann mit dem Bauchnabel? Wird dieser kleiner? Verkürzt es zukünftig die Badezeit?
Auf den ersten Blick ein sehr heiteres Buch, aber nicht nur. Es ist tragisch, es ist komisch, es ist traurig. Denn auch vor dem Tod wird in dem Buch nicht halt gemacht.
In„Wann wird es endlich wieder so, wie es niemals war“ wird nicht chronologisch erzählt. Es ist ein Buch über eine Kindheit, die voller toller und komischer Geschichten steckt. Nicht nur durch das Aufwachsen neben einer Kinder- und Jugendpsychiatrie wird plastisch dargestellt, auch die Hauptfigur in dem Buch, der Vater. Ein Vater, der eine Anstalt leitet, im Leben aber herrlich versagt. Auf dem ersten Joggingversuch nach seinem 40. Geburtstag verletzt er sich mit einem Bänderriss. Oder schafft es bei Windstille in Seenot zu geraten und währenddessen versehentlich seinen Sohn von Bord zu schlagen. Oder lädt an seinen Geburtstag nur Patienten zu sich ein. Nie geht er unter Leute, arbeitet oder ist daheim. Während der „Daheim Zeit“ sitzt er in seinem Sessel und liest und liest. Es gibt nichts, was er sich nicht erlesen hat. Macht sein Sohn eine Reise, so hielt er sich durch seine gelesenen Bücher dort bereits auf.
Der größte Teil des Buches ist von diesen lustigen, drolligen Geschichten geprägt. Man lacht mit, amüsiert sich und denkt manchmal, dass es in dieser Form nicht geschehen sein kann. Wie kann es sein, dass der Erzähler am besten bei dem aus der Anstalt herüberwehendem Gebrüll einschlafen kann?
Es wird auch über ernste Momente geschrieben. Der Tod kommt ins Spiel, der Erzähler wird älter, und die Familie entwickelt sich in eine Richtung, die man vorher nicht erwartet hat.
Mir kam das ein wenig zu plötzlich, da ich weiter auf heitere, wenn auch manchmal nachdenkliche, Erzählmomente eingestellt war. Aber Eltern und somit auch sein von Lebensfreude und Übergewicht geprägter Vater werden älter. Und krank.Dem Buch tut es keinen Abbruch, beschreibt er den Tod des Vaters ernst, betroffen, ehrlich und liebevoll zugleich.
Ist es eine Hommage an den Vater? Ein „liebevolles“ Vaterbuch? Oder doch nur ein erinnern?
Wurde wirklich alles so erlebt oder doch ein wenig erdichtet? Man darf nicht vergessen: Joachim Meyerhoff ist Schauspieler, führt eigene Programme auf und er scheint ein kleiner Selbstdarsteller zu sein.
Mir ist es egal, denn das Buch hat mich über viele Stunden gut unterhalten.

„Read what I see“: Im Pub

In der Nähe des Eingangs sitzen wir an einem Tisch. Die Theke habe ich im Blickfeld, den Zigarettenduft in der Nase und die Musik in den Ohren. Ich sitze in einem Pub, einem urigen kleinen Irish Pub. Ein Teil der Wände ist in einem dunklem grün gestrichen, Werbeplakate zum St. Patrick´s Day zieren die Wände und grüne Lamellen hängen vereinzelt von der Decke herab. Kleeblätter als Dekoration erfüllen für manch einen Klischees. Die Stimmung ist gut. Liegt es an der reichlichen Whiskeyauswahl oder an der Live-Musik oder an der Wirtin? Ein jeder wirkt entspannt. An der Theke sitzen Frauen mit der Zigarette in der Hand, ihre Handtaschen haben sie an den kleinen Haken unter dem Tresen aufgehängt. Sie schauen in die Richtung des Musikers, der gerade „Nothing else matters“ covered. Nicht nur sie singen die Zeilen, die sie kennen, mit. Ich nippe an meinem Guiness. Dem Wunsch nach einem kleinen Bier wurde entsprochen und ein Glas mit 0,4l serviert. Innerlich schmunzele ich über die hier eingesetzte Definition von klein. Es stört  mich nicht. Im Gegenteil, es passt hierher. Der Baileys im kleinen Cognacschwenker schwimmt über einem Eiswürfel und schmeckt in der Kombination mit dem leicht bitteren Guiness extra lecker. Meine Tischnachbarn singen ebenfalls mit. Es geht weniger darum den Ton zu treffen, als sein sich wohl fühlen über die Lautstärke des Gesangs und dem sich mitwiegen zur Musik öffentlich zu zeigen.
Links in den Nischen sitzen, auf den alten Sitzbänken mit aufgeschlagenen Kissen, junge und alte Gäste nebeneinander. Auch hier wird mitgesungen und geraucht. Rechts von uns tanzen ein Mann und eine Frau. Sie scheint nicht mehr ganz nüchtern zu sein und den Tanz umso mehr zu genießen. Ihre Augen leuchten und die Asche ihrer Zigarette fällt zu Boden, während sie die Hüften wiegt. In der Nähe der Theke ist die Stimmung nicht leiser. Es wird mitgesungen, getrunken und geraucht. Ein Gefühl von Gemeinsamkeit und Toleranz herrscht vor. Nur ein Open Fire Place und der Duft nach Torf fehlen, um sich wie in einem Pub an der irischen Küste zu fühlen. Hier redet jeder mit jedem, es wird geduzt und die aufmerksame Wirtin kümmert sich um alle. Die eine oder andere Runde wird spendiert. Die von ihr und dem Kellner getragenen Guiness T-Shirts benötigen sie nicht, um sich als „Mitarbeiter“ zu erkennen zu geben. Sie sind Gastgeber und vermitteln dieses Gefühl durch und durch. Sie sind Gastgeber in ihrem Wohnzimmer.
Schaue ich mich um, sehe ich Menschen, die Zufriedenheit ausstrahlen. Es gibt niemanden, der nicht lächelt oder gar schweigsam ist. Sie scheinen sich über den gelungenen Abend, der allmählich in die Nacht übergeht zu freuen.
Und fühlen sich, mit mir zusammen, angenommen und sauwohl im WohnzimmerPub.

Jocelyne Saucier: Ein Leben mehr

Klappentext:
Dies ist die Geschichte von drei alten Männern, die sich in die nordkanadischen Wälder zurückgezogen haben. Von drei Männern, die die Freiheit lieben. Eines Tages aber ist es mit ihrer Einsiedelei vorbei. Zuerst stößt eine Fotografin zu ihnen, sie sucht nach einem der letzten Überlebenden der Großen Brände, einem gewissen Boychuck. Kurze Zeit später taucht Marie-Desneiges auf, eine eigensinnige, zierliche Dame von achtzig Jahren. Die Frauen bleiben. Und während sie dem Rätsel um Boychucks Überleben nachgehen, entsteht etwas unter diesen Menschen, das niemand für möglich gehalten hätte.

Ein Leben mehr ist ein wundersam beseelter und berührender Roman, eine leidenschaftliche Hommage an die Liebe, die Freiheit und die Natur. Ein Roman wie das Leben selbst: traurig und schön.
Was soll ich nur sagen? Ich habe ein wunderschönes Buch gelesen, welches ich jedem ans Herz legen mag.
Woran liegt es? Gibt es Bücher, in denen mit Respekt und ganz viel Einfühlungsvermögen über das hohe Alter geschrieben wird? Die meisten Bücher sind doch eher lustig, geschweige respektvoll geschrieben.
Sehr feinfühlig wird über drei Männer geschrieben, die sich in einem Wald in Kanada zurückgezogen haben. Sie wollen selbstbestimmt Leben, diesem Leben etwas abgewinnen, dem Tot entgegentreten und wenn es so weit ist, selbstbestimmt sterben.
Sie leben frei.
Ihre Ruhe wird gestört, als die Fotografin auf der Suche nach Boychuck zu ihnen stößt. Sie vermutet, dass der letzte Überlebende der Großen Brände bei den drei Männern lebt, bzw. einer von ihnen ist.
Kurz darauf kommt Marie hinzu. Eine kleine, zierliche Dame von über 80 Jahren , die fast ihr ganzes Leben in der Psychiatrie verbrachte. Hier kann und wird sie würdevoll leben.
Nun geht es in diesem poetischem Büchlein (die 192 Seiten ergeben wirklich nur ein dünnes Büchlein) auch um die Liebe.
Mehr mag ich über das Buch nicht schreiben, außer: Lesen und sich in den Bann ziehen lassen. Das Titelbild auf sich wirken lassen. Den Gedanken der alten Männer folgen, sich davon inspirieren lassen und die Essenz für sich ziehen.

Slide 1

 

Slide 2